Seit der ersten Stunde bedroht der russische Krieg in der Ukraine zahllose Kulturgüter, Museen und Denkmäler. Zur Sicherung derselben fehlen dem heimtückisch überfallenen Land oft die notwendigen Hilfsmittel, sei es Verpackungsmaterial, Brandschutz- und Bekämpfungsmittel oder Materialien für die restauratorische Ertüchtigung fragiler Objekte vor dem Transport ins sichere Depot. Rasch formierte sich daher im Verband Deutscher Kunsthistoriker die Überzeugung, dass diese bestürzende Situation nicht nur Rat, sondern vor allem Tat erfordert.
So entstand in Windeseile ein Netzwerk, das zunächst mithilfe eines Mainzer Busunternehmens, welches Flüchtlinge in den Westen holt, dringend benötigte Materialien für den Kulturgutschutz in die Ukraine schickte. Der Landesfeuerwehrverband Rheinland-Pfalz stellte rasch Materialien für die Brandbekämpfung und den Brandschutz zur Verfügung, es fanden sich Spender von Verpackungsmaterial, eine Mainzer Ballettschule fungierte als behelfsmäßige Sammelstelle für die Sachspenden. Gleichzeitig bildete sich aus einem vom Verband Deutscher Kunsthistoriker organisierten Online-Treffen Anfang März ein erstes Netzwerk für den Empfang und die Verteilung der dringend benötigten Sachspenden auf ukrainischer Seite.
Gleichgesinnte Organisationen verfolgten in den ersten Kriegswochen einen ähnlichen Ansatz. Die in Berlin ansässige Dachorganisation World Heritage Watch brachte mit zahlreichen Spenden aus Museen namhafte Hilfslieferungen auf den Weg. Die Berliner Museen, die Akademie der Künste, das Kunstforum der Berliner Volksbank, das Deutsche Historische Museum beteiligten sich. Gleichzeitig engagierten sich auch Exponenten des Kunsthandels und der Kunsttransportfirmen. Alle genannten haben sich seither zu einem lockeren Verbund, dem Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine, zusammengetan. Ihnen und vielen weiteren, die sich spontan einsetzten, stellte die Deutsch-Ukrainische Gesellschaft für Wirtschaft und Wissenschaft eine Plattform zur Verfügung, so dass über diese gemeinnützige Organisation nun auch Geldspenden eingeworben und mit einer Spendenbescheinigung quittiert werden können.
Doch je mehr Schwung die Initiative erhielt, desto mehr kamen die Beteiligten, die sich alle neben einem ausgefüllten Berufsleben ehrenamtlich engagieren, an die Grenzen ihrer zeitlichen Verfügbarkeit. Da erwiesen sich die Ernst von Siemens Kunststiftung und die Hasso Plattner Foundation als Retter in der Not: Sie sicherten die Finanzierung einer Koordinierungsstelle zu, sofern dafür eine geeignete Person gefunden würde. Erneut liefen die Drähte heiß – und dann erwies sich die ukrainisch-stämmige Kunsthistorikerin Olena Balun als der Glücksgriff, der die Dynamik der Initiative zu sichern vermochte. Seit April versieht sie unter größtem Einsatz die dringend benötigte Koordinierungsarbeit, organisiert LKW- und Bahntransporte, spricht mit Spendern, übersetzt, stellt Zolllisten zusammen, beruhigt die Fahrer und nimmt sich im Dialog mit den Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine auch der Verteilung auf der Empfängerseite an.
Mit diesem Ansatz verfolgt das Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine eine andere Strategie als diejenigen Initiativen für den Kulturgutschutz, welche auf anonyme Spenden setzen, die in der Ukraine durch die Regierung verteilt werden. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass Hilfslieferungen, die im direkten Kontakt mit der Ukraine entstehen und gezielt verschickt werden, nicht nur viel schneller eintreffen, sondern auch besser auf die Bedürfnisse abgestimmt sind. Dies beweist auch die immer längere Liste an Hilfslieferungen, die wir auf unsere Webseite dug-ww.org/artaid publizieren; dort finden sich auch Informationen für alle, die uns mit Spenden unterstützen möchten.
Es bestärkt uns der Zuspruch, den wir glücklicherweise erfahren, denn unser Netzwerk durfte in den letzten Wochen viele weitere Sachspenden, etwa Feuerlöscher von der Firma Johnson Controls, entgegennehmen. Ebenso dankbar sind wir für namhafte Geldspenden, etwa von der ZEIT-Verlagsgruppe oder von Weng Fine Art. Nunmehr hoffen wir, dass Zuwendungen des Bundes uns ein längerfristiges Agieren ermöglichen werden, denn auch nach dem Krieg – der hoffentlich bald enden wird! – bleibt ein immenser Bedarf an Unterstützung bei der weiteren Sicherung und Wiederherstellung von gefährdetem und beschädigtem Kulturgut. So möchten wir dazu beitragen, dass das überaus reiche kulturelle Erbe der Ukraine, ein Hauptpfeiler ihrer Identität, die furchtbare Aggression dieses verbrecherischen Krieges trotz allem so unbeschadet wie möglich überstehen wird.