In Brüssel arbeiten wir derzeit daran, Möglichkeiten für einen EU-weiten Ansatz zur Unterstützung der Kultur- und Kreativsektoren und -industrien zu erkunden, wobei der Schwerpunkt auf der Wiedereröffnung der kulturellen Veranstaltungen und Veranstaltungsorte in Europa liegt. Unser Ziel ist es, eine reibungslose und sichere Rückkehr zu Veranstaltungen und einen koordinierten Ansatz auf der Grundlage gemeinsamer Indikatoren zu diskutieren, der dazu beiträgt, Beschränkungen aufzuheben und gleichzeitig das Vertrauen des Publikums zu stärken, dass die Wiedereröffnung auf verantwortungsvolle Weise erfolgt. Dies wird für das Überleben der Kultur- und Kreativwirtschaft, die von den Beschränkungen, die zur Eindämmung der Pandemie verhängt wurden, besonders stark betroffen ist, von entscheidender Bedeutung sein. Die Kultur- und Kreativsektoren verloren im Jahr 2020 rund 31 Prozent ihrer Einnahmen, wobei die Branchen, die am stärksten von Live-Events abhängig sind, so wie die darstellenden Künste (Rückgang von 90 Prozent) und Live-Konzerte (Rückgang von 76 Prozent) am stärksten betroffen sind. Gemeinsam mit der Europäischen Kommission, die vor Kurzem ihre Mitteilung über »einen gemeinsamen Weg zur sicheren und nachhaltigen Wiedereröffnung« veröffentlicht hat, arbeiten wir im Europäischen Parlament nun an den notwendigen nächsten Schritten, die für eine koordinierte, schnelle und sichere Wiedereröffnung des Kultursektors unternommen werden müssen.

Wie in der Mitteilung der Kommission zu Recht erwähnt, erfordert eine effiziente und erfolgreiche Wiedereröffnung eine Koordinierung auf EU-Ebene. Ohne diese wird die Wiedereröffnung länger dauern, mehr kosten und weniger nachhaltig sein. Darüber hinaus gewährleistet eine koordinierte Wiedereröffnung die Kontinuität des Binnenmarktes, der untrennbar mit dem wirtschaftlichen und sozialen Leben der Europäer verbunden ist.

Für die kommenden Monate, die für viele Künstler und Kulturunternehmen in der EU existenziell wichtig sind, bleibt nicht viel Zeit, wir müssen jetzt Perspektiven schaffen. Viele Vertreter aus dem Kultur- und Kreativsektor haben in den vergangenen Monaten eng mit den nationalen und lokalen Regierungen sowie den nationalen und EU-Gesundheitsbehörden zusammengearbeitet. Sie haben Testveranstaltungen organisiert, wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen und Standards entwickelt, die zeigen, wie sichere Veranstaltungen für das Publikum gestaltet werden können. Diese sollten die Ausgangsbasis und ein nützlicher Bezugspunkt für uns in Europa bei der weiteren Arbeit an der sicheren Wiedereröffnungsstrategie sein.

Ein Beispiel für ein erfolgreiches Pilotevent hat in Barcelona stattgefunden. Ende März hatten 5.000 Fans die Show der Rock-Indie-Band »Love of Lesbian« besucht. Zwei Wochen nach dem Konzert hat es in den Daten des staatlichen Gesundheitssystems »kein Anzeichen« für eine Übertragung des Coronavirus während der Großveranstaltung gegeben. Das Konzert fand unter aufwendigen Sicherheitsmaßnahmen statt. Alle Besucher mussten vorher einen Corona-Antigen-Test machen und ein negatives Ergebnis vorlegen. Außerdem mussten sie FFP2-Masken tragen. Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme wurde in der Mehrzweckhalle eine besonders leistungsfähige Lüftungsanlage installiert. Außerdem wurde strikt darauf geachtet, dass sich in kritischen Bereichen wie den Toiletten nicht zu viele Menschen aufhielten. Abstand halten mussten die Konzertbesucher nicht. Anfang März fand eine ähnliche Veranstaltung in den Niederlanden mit 1.300 Teilnehmern statt. In der Arena Leipzig hatte Pop-Musiker Tim Bendzko im August unter der Aufsicht von Wissenschaftlern ein Konzert mit 1.500 Zuschauern gegeben.

Die Erkenntnisse aus diesen Testveranstaltungen sollen nun dabei helfen, eine europäische Wiedereröffnungsstrategie zu entwickeln. Diese könnte unter anderem beinhalten, die Regierungen aufzufordern, die Planungssicherheit für die Branche zu erhöhen und dafür belastbare »Wiedereröffnungskalender« zu erstellen, die auf transparenten und nachvollziehbaren Kriterien beruhen: Impfquoten, Krankenhauskapazitäten, Anzahl der positiven Fälle … Außerdem sollten Vorschläge für leicht umzusetzende Sicherheitsprotokolle für Veranstaltungen erstellt werden, um so die Sicherheit des Publikums beim Besuch von Konzerten zu gewährleisten. Auch könnten die Mitgliedstaaten ermutigt werden, die Mehrwertsteuersätze auf Ticketverkäufe für die nächsten 12 Monate zu senken, um die Branche zu unterstützen. Gleichzeitig brauchen wir einen transparenten und klaren Ansatz für internationale Tourneen und die Organisation von grenzüberschreitenden Kulturveranstaltungen innerhalb der EU. Dafür ist auch eine schnelle, aber sichere Rückkehr zu unserer europäischen Freizügigkeit, die das grenzüberschreitende Reisen von Künstlern ermöglicht, unabdingbar.

In vielen weiteren Mitgliedstaaten hat es ebenfalls erfolgreiche Pilotprojekte und Testveranstaltungen gegeben, allerdings ist der Grad des politischen Engagements in dieser Sache von Land zu Land unterschiedlich. Die Rolle der Europäischen Institutionen, die Wiedereröffnung nun zu einer politischen Priorität zu machen, bewährte Verfahren zu fördern und die Mitgliedstaaten zu überzeugen, eine sichere und nachhaltige Wiedereröffnungsperspektive zu entwickeln, ist daher absolut entscheidend für die Sektoren, für die gesamte europäische Wirtschaft und für die Gesundheit, die Sicherheit und das Vertrauen der Bürger.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2021.