Silke Burmester kämpft mit einem Magazin und mit Kampagnen gegen die Altersdiskriminierung von Frauen ab 47. Ludwig Greven spricht mit ihr über die Unterschiede zu älteren Männern und den Wert von Falten.

Ludwig Greven: Sie setzen sich gegen Altersdiskriminierung von Frauen ab 47 ein. Ist frau da schon alt?

Silke Burmester: Es ist unklar, wann man überhaupt alt ist. Aber Frauen erleben spätestens ab dem mittleren Alter, dass sie weniger wahrgenommen und gesellschaftlich gesehen werden. Ich wollte ein Onlinemagazin für diese Frauen machen. Es geht mir um den Umbruch. Wir haben alle die 20, 30 Jahre davor etwas gemacht. Wir sind in einen Beruf gekommen, in eine Partnerschaft, haben Kinder großgezogen. Dann kommen die Wechseljahre. Und auf einmal passen die Parameter nicht mehr. Viele Frauen erleben da eine große Unzufriedenheit. Das möchte ich abbilden und mit diesen Frauen ins Gespräch kommen. Das geht meist mit Ende 40 los. Da war für mich 47 eine schöne Zahl.

Warum nicht 50?

Das klingt trutschig. Nach »Bild der Frau«.

Sie meinen aber etwas anderes als Midlife-Crisis?

Dieser Begriff wird lustigerweise meist nur bei Männern verwendet. Bei Frauen ist es eher im Kontext der Wechseljahre, eine hormonelle Umstellung ähnlich wie in der Pubertät. Frauen werden da oft komplett durchgeschüttelt. Alles justiert sich neu. Und da ist die Frage, wie man damit umgeht. Zugleich ist dieser Prozess oft sehr schmerzhaft, weil es um Veränderung und Abschied geht. Ein Beispiel: die Veränderung meines Körpers. Ich muss mich von dem, den ich kannte, verabschieden. Dazu kommt die Abwertung durch die Gesellschaft und die geringere Wahrnehmung. Das ist eine ex trem ungünstige Kombination.

Dabei werden Frauen heute im Schnitt über 83 Jahre alt. 47 ist also mitten im Leben. Wieso werden Frauen in diesem Alter bereits abgewertet?

Ältere Männer werden eher positiv attributiert, als reif und erfahren. Bei Frauen wird das nicht positiv aufgeladen. Grauhaarige Männer gelten als attraktiv, grauhaarige Frauen als verbraucht.

Wer hat diese Bilder geprägt? Was steckt dahinter?

Es geht um sexuelle Attraktivität. Die Wechseljahre läuten das Ende der Fruchtbarkeit ein. Früher hatten Frauen, wenn sie nicht mehr fruchtbar waren, für die Gesellschaft keinen Wert mehr. Sie hatten ihre Rolle erfüllt und ausgedient. Männer kön-nen dagegen noch ewig zeugen. Daher kommt auch die unterschied liche Bewertung von Alter.

Ist das nicht längst überholt? Der Wert einer Frau macht sich doch nicht mehr daran fest, ob sie Kinder bekommen kann.

Diese Bilder hängen fest. Männer wollen mit einer jungen Frau ins Bett, nicht mit einer alten. Natürlich nicht alle. Aber man möchte sich mit der Jugend schmücken. Wenn Sie als Mann eine junge Frau an der Seite haben, steht das für die eigene Kraft und Jugendlichkeit. Und natürlich geht es dabei um ein sehr fragwür diges Frauenbild.

Die meisten Frauen stehen heute nicht mehr als Heimchen am Herd, sondern im Beruf, meistern daneben oft noch die Familienarbeit. Weshalb sind die alten Bilder so wirkungsmächtig?

Wenn wir z. B. an die Medien denken, werden diese Vorstellungen dort ständig reproduziert. Wir haben im vergan genen Jahr eine Kampagne gemacht für ein zeitgemäßes Bild von älteren Frauen in Film und Fernsehen. Bisher werden Frauen da noch immer oft nur im Kontext von Männern

und Beziehungen dargestellt, nicht so, wie sie sind. Das ist komplett aus der Zeit gefallen.

Wenn Frauen mehr in den Vordergrund treten, verlieren Männer an Einfluss und Posten.

Es geht immer darum, Frauen egal in welchem Alter in den Hintergrund zu drängen. Man kann das als Macht- und Verteilungskampf begreifen. Frauen sind selbstbewusster geworden, sie sind gut ausgebildet und pochen auf ihre Rechte. Männer wollen aber nicht abgeben. Das kann man nachvollziehen. Es geht aber nicht mehr. Die Zeiten sind vorbei.

Empfinden sich Frauen in den Wechseljahren selbst als weniger attraktiv und agil, oder wird ihnen das nur zugeschrieben?

Wenn wir Jugendlichkeit als Maßstab und Wert nehmen, sind wir in dem Alter nicht mehr so anziehend. Uns geht es daher darum, ein neues Bild von Alter zu schaffen und zu verankern. Ich finde, Reife hat eine ganz eigene Schönheit. Aber wenn ich mich mit einer jungen Person vergleiche, verliert man dem gängigen Denken nach durch die Falten. Deshalb müssen wir mit einer anderen Betrachtung kommen. Doch das ist schwierig, da sich der Körper verändert und altert. Das ist für alle schwer auszuhalten.

Bei Männern gelten Falten als attraktiv. Frauen lassen sie sich wegmachen.

Das machen Männer zunehmend auch. Mir wollte ein Arzt schon vor 30 Jahren meine Denkerfalten wegmachen. Ich bin nie wieder zu dem Arzt gegangen.

Falten gehören dazu, sie zeigen, dass wir gelebt haben.

Aber das will ja niemand mehr. Alle wollen jugendlich bleiben und tun so, als sei das Altern aufzuhalten. Dabei werden wir alle sterben, egal wie wir aussehen.

Gleichzeitig werden wir immer älter. Das kann man doch eigentlich nicht verdrängen.

Deshalb geht es uns um eine Selbstermächtigung, sich von diesen Zuschreibungen zu befreien und zu sagen, es ist mir völlig egal, was die anderen von mir denken und wie sie mich sehen. Ich für mich und wir unter uns finden uns spannend und sind neugierig aufeinander. Das ist die Idee unseres Magazins »Palais F*luxx«: Wenn die Gesellschaft den Scheinwerfer nicht mehr auf uns richtet, dann machen wir es selbst. Wir brauchen die anderen nicht.

In unserer alternden Gesellschaft sind Frauen ab 47 aber nicht irgendeine Randgruppe.

Wir sind 21 Millionen, ein Viertel der Gesellschaft. Da sind natürlich auch die 80-Jährigen dabei. Aber es ist ein erheblicher Teil der Bevölkerung.

Es gibt ja auch nur noch wenige Junge.

Auch deshalb ist es so fatal, dass wir das Alter abwerten. Das können wir uns gar nicht leisten. Stattdessen sollten wir das Alter als einen spannenden Teil unseres Lebens begreifen. Wenn wir es anders wahrnähmen, würden wir als Gesellschaft erheblich weiterkommen. Es ist doch auch total anstrengend, ewig jung bleiben zu wollen, sich zu cremen und unterspritzen zu lassen. Das kostet Zeit und Geld und es schmerzt. Die Zeit kann man viel besser nutzen.

Worin sehen Sie die Vorteile des Alterns?

Was ich schön finde, ist die Gelassenheit, die kommt. Dass man nicht mehr abhängig ist von dem, was im Außen passiert, dass man mehr in sich ruht. Und bei uns Frauen finde ich toll, dass der Östrogenspiegel sinkt. Östrogen ist das Harmoniehormon. Deshalb kümmern wir uns um die Brut und alle anderen. Wenn das abnimmt, werden Frauen krawalliger. Die ganze Zeit sind wir geplagt von diesem dummen Hormon. Für uns Frauen sehe ich es als ganz großen Bonus, dass das mit dem Alter weniger wird. Es ist super, renitent zu sein, ich möchte eine Renitenz-Revolution! Das ist eine wunderbare treibende Kraft. Da passt mir etwas nicht, ich will es anders. Das erleben viele Frauen in dieser Lebensphase, die sich dann neu aufstellen, aus einer Beziehung ausbrechen, einen neuen Job suchen, auf eine lange Reise gehen.

Auf welchen Anteil der Frauen trifft das zu?

Jedenfalls auf viele, die bei uns andocken. Aber natürlich erreichen wir nur eine bestimmte Gruppe. Weniger die Frauen, die im Supermarkt an der Kasse sitzen. Denen sind wir zu unorthodox. Die Frauen, die bei uns andocken, haben ihre Rolle oft unabhängig von Männern gefunden. Sie verstehen ihre Berufstätigkeit als Ausdrucksmöglichkeit. Kreative, Selbstständige, die schon in jüngeren Jahren mit eigenem Kopf unterwegs waren. Die werden immer mehr. Denn diejenigen, die jetzt heranaltern, sind anders sozialisiert. Da spielt Popkultur eine große Rolle, die auch »Palais F*luxx« prägt. In der Popkultur liegt der Drang nach Freiheit, nach Selbstbestimmung, danach, andere Wege zu gehen. Das zahlt sich jetzt aus.

Wie war die Resonanz auf ihre Kampagne für ein anderes Bild älterer Frauen in Film und Fernsehen? Gibt es Produktionen, in denen Frauen nun anders vorkommen und besetzt werden?

Die Reaktionen waren unterschiedlich. Thomas Schreiber, der Chef der ARD-Degeto, hat gesagt: »Ich gebe das nicht gerne zu, aber Sie haben recht.« Das ZDF tut dagegen noch immer so, als wären wir nicht ganz dicht. Mit der Degeto und den verantwortlichen Mitarbeitenden sind wir im Gespräch. Die haben verstanden, dass sich da etwas ändern muss. Auch Netflix fand super, was wir mit »Let’s Change the Picture« machen. In der Branche ist das wie ein Blitz eingeschlagen. Über Frauen wird da zum Teil immer noch menschenverachtend gesprochen. Für Frauen, die das ändern wollen, war die Aktion eine wichtige Argumentationshilfe. Man sieht das auch schon bei einigen Produktionen. Bisher wurde oft nur eine Rolle mit einer älteren Frau besetzt, die Gegenspielerin ist eine junge. Nun gibt es auch mal eine Gegenspielerin, die genauso alt ist. Die Geschichten werden anders. Man merkt das auch daran, dass älteren Frauen nun Erotik zugestanden wird. Da wird sich noch eine Menge ändern.

Sie haben jetzt eine neue Kampagne gegen Diskriminierung älterer Frauen in der Arbeit gestartet. Werden Frauen, die oft noch 20 Jahre bis zur Rente haben, von Firmen bei der Einstellung oder Beförderung benachteiligt, obwohl überall Arbeitskräfte fehlen?

Frauen werden ihr ganzes Berufsleben lang benachteiligt. Frauen, die sich in dem Alter bewerben, erhalten oft nicht einmal eine Antwort. Oder es heißt: »Wir haben uns für eine Jüngere entschieden.«

Was wollen Sie mit der Kampagne erreichen?

Wir wollen die Wirtschaft darauf aufmerksam machen, dass sie es sich trotz des Arbeitskräftemangels leistet, ein großes Potenzial von Menschen, die hohe Qualifikationen und viel Erfahrung haben, nicht einmal anzuschauen. Das ist absurd. Auf der anderen Seite wollen wir Frauen ermuntern zu sehen, dass sie mit dem, was sie mitbringen, einen Wert für den Arbeitsmarkt haben. Das ist vielen nicht klar. Viele haben keinen linearen Berufsweg, weil sie wegen der Kinder lange ausgesetzt haben. Aber wenn man sich anschaut, was sie da gemacht haben, die Familie zu managen, die Finanzen zu verwalten, Konflikte zu bewältigen, dann ist das genau das, was Firmen verlangen.

Und sie haben noch einen großen Vorteil: Sie können nicht mehr schwanger werden, anders als Männer, die immer noch Kinder kriegen können.

Die Botschaft heißt also: Weniger bescheiden sein?

Genau.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2024.