In Zeiten, in denen unser plural-demokratisches Gemeinwesen scheinbar keine Selbstverständlichkeit mehr ist, brauchen wir Menschen, die sich für Demokratie und gegen Diskriminierung einsetzen. Empowerment-Projekte spielen hierbei eine wichtige Rolle.

Vielfalt, Teilhabe, Inklusion jetzt!?

Eine neue Generation junger Aktivistinnen und Aktivisten und zivilgesellschaftlicher Initiativen hat in den vergangenen Jahren ihre Forderung nach mehr Demokratie und Maßnahmen gegen Diskriminierung, Rassismus und Ungleichheit nachdrücklich in die Öffentlichkeit getragen. Viele Projekte und Organisationen setzen dabei auf »Empowerment« als Methode, Weg oder Ziel ihrer Arbeit. Ursprünglich über die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA und später die Frauenbewegung der 1960er und 1970er Jahre bekannt geworden, ist das Konzept in Deutschland heute aus der Sozialen Arbeit, den Initiativen marginalisierter und diskriminierter Gruppen, aus Selbsthilfeorganisationen, der staatlichen Demokratieförderung und der aktivistischen Kunst kaum mehr wegzudenken. Aber worum geht es bei diesem Konzept eigentlich und warum sollen sich Menschen und Gruppen empowern? Und überhaupt, was können Demokratieprojekte zum Empowerment beitragen bzw. inwieweit helfen sie, z. B. Diskriminierung entgegenzutreten?

You have got the power

Empowerment-Ansätze in der Demokratieförderung und Vielfaltgestaltung beziehen sich in der Regel auf zwei große Traditionslinien, die sie jeweils für ihre aktuellen Fragestellungen adaptieren: In erster Linie wird Empowerment als machtkritischer, politischer Prozess der Selbstermächtigung und Forderung nach Gleichheitsrechten verstanden. Diese folgt der Tradition sozialer Bewegungen, insbesondere der Bürgerrechtsbewegung des Schwarzen Amerika und den Befreiungsbewegungen in Ländern des »Globalen Südens« (Herriger, 2020). Dabei geht es um Widerstandsprozesse, in denen Gruppen, die bisher aus Politik und Gesellschaft ausgeschlossen und unterdrückt waren, ihre Ohnmacht überwinden, sich ihrer Stärken bewusst werden und sich mittels kollektiver Selbstorganisation mehr Teilhabe und Rechte erstreiten.

In der zweiten, historisch jüngeren Linie wird Empowerment als Ansatz im Rahmen der (psycho-)sozialen Beratung und Arbeit genutzt, um Menschen zu befähigen, ihr Leben eigenverantwortlich und selbsttätig zu gestalten. In diesen Feldern Tätige sollen ihre Zielgruppen entsprechend nicht länger aus einer defizit- und versorgungsorientierten Perspektive beraten und begleiten, sondern sie als »Expertinnen und Experten in eigener Sache« wahrnehmen und unterstützen. Empowerment realisiert sich hier z. B. durch den Erwerb von Orientierungswissen und Kompetenzen sowie durch die Stärkung des Selbstwertgefühls und der Handlungsmotivation – dies ist nicht nur individuell wichtig, sondern auch Voraussetzung für eine gesellschaftliche Teilhabe.

Was unsere Demokratie braucht

Denn interessanterweise stellt unsere Demokratie zwar über zentrale Strukturen – wie Wahlen und Parteien – Mitspracherechte bereit, wir sehen aber immer deutlicher, dass dies nicht ausreicht, um das Vertrauen in und die Identifikation mit einem Gemeinwesen zu erhalten. Aus der Forschung wissen wir schon lange, dass beide Größen nicht auf einer abstrakten Ebene entstehen können, sondern nur durch aktive Beteiligung und Mitgestaltung.

Demokratische Beteiligungs- und Mitgestaltungsräume finden wir in der Zivilgesellschaft unter anderem in Vereinen, Verbänden, Initiativen. Diese sind zu einer neuen Art von sozio-politischem Akteur in einer stärker »von unten« geprägten Demokratie geworden. Über sie werden Anliegen der Bürgerinnen und Bürger sichtbar gemacht sowie die politische Selbstwirksamkeit und gesellschaftliche Teilhabe aktiviert. Zudem unterstützen sie die Übernahme relevanter Themen in den öffentlichen Diskurs.

In einer pluralen, teilhabeorientierten Demokratie muss der öffentliche Diskurs nicht nur die Interessen der Mehrheit, sondern auch die der Minderheiten aufnehmen. Der Blickwinkel diverser Gruppen bereichert nämlich die Politik im Sinne einer Perspektivenvielfalt, die der vielfältigen Realität näherkommt und dadurch problemgerechter wird. Besonders im Kontext der bestehenden Post-Migrationsgesellschaft verspricht dies ein Mehr an Teilhabe, an Pluralität und demokratischer Qualität und komplementär dazu ein Weniger an individueller und struktureller Diskriminierung und Marginalisierung.

Für marginalisierte und diskriminierte Gruppen bestehen jedoch nicht selten Beteiligungsbarrieren. Sich der Hindernisse, aber auch der demokratischen Handlungsräume bewusst zu werden und diese produktiv zu nutzen, kann sehr durch die Zivilgesellschaft unterstützt werden, z. B. durch Projekte der diskriminierungskritischen und emanzipatorischen kulturellen und politischen Bildung, Migrantinnen- und Migranten(selbst)organisation oder Empowerment-Initiativen.

Auf jeden Fall kulturelle und politische Bildung

In Empowerment-Projekten werden Menschen und Gruppen unterstützt, ihre Ziele und Interessen sichtbar zu machen, gegenüber anderen zu vertreten und demokratisch durchzusetzen. Gleichzeitig sollen auch immer gesellschaftliche Machtgefälle und Ressourcenungleichheit hinterfragt werden. Träger der Projekte kommen aus allen Bereichen: von der aktivistisch-künstlerischen Szene über Wohlfahrtsverbände, Bildungseinrichtungen bis hin zu diversen Communitys.

Von Diskriminierung »Betroffene« überwinden so z. B. über das kollektive Erinnern, Erzählen und Dokumentieren der verdrängten und verschwiegenen Widerstandsgeschichte ihrer Gruppen in geschützten Räumen Ohnmacht und Unterdrückung und werden handlungsfähig.

Empowerment kann dabei, muss aber nicht, durch Sprache und Kognition formatiert werden. Auch kulturelle Projekte empowern, wenn beispielsweise sozial marginalisierte Jugendliche Mittel und Raum bekommen, sich fortzubilden und selbstbestimmt künstlerisch tätig zu sein, z. B. mit Videos, Graffiti oder Theaterstücken, und sich ihnen dadurch bisher verschlossene Wege in den Kulturbereich öffnen.

Menschen in privilegierten gesellschaftlichen Positionen können durch Empowerment-Projekte Wege gezeigt werden, wie sie verantwortungsvoll mit Macht umgehen, Mehrheitsdominanzen in Institutionen und auf Entscheidungsebenen hinterfragen und diese abbauen.

Spotlights aus der Praxis

Empowerment-Projekte eröffnen in den Themenfeldern der Demokratieförderung und Vielfaltgestaltung viele neue Optionen für diverse Zielgruppen.

Ein Beispiel ist das – durch »Demokratie leben!« geförderte – Projekt »ismie mie« (mein Name ist Hundert), dessen Fokus auf dem Empowerment von FLINTA (Frauen, Lesben, inter sexuelle, nicht binäre, trans und agender Personen) liegt, die durch anti-muslimischen Rassismus diskriminiert werden. Die durchgeführten Workshops dienen der Vernetzung und dem kollektiven Austausch von Diskriminierungserfahrungen und Umgangsstrategien in einem sicheren Raum, in dem die Teilnehmenden gestärkt werden sollen. Neben den Workshops ist das Projekt auch auf der künstlerischen Ebene empowernd und produziert Filmporträts von Menschen aus der eigenen Community, bereitet diese in Videoclips auf und veröffentlicht sie in einem eigenen YouTube-Channel.

Andere Projekte wie »Chasak!« sprechen Jugendliche aus strukturschwachen Regionen mit geringem Zugang zu kultureller und historisch-politischer Bildung an. Durch niedrigschwellige, künstlerisch-kulturelle Angebote wird Antisemitismus mit heterogenen Gruppen in ländlichen, von Rechtsextremismus geprägten Räumen entgegengewirkt: Jugendliche und junge Menschen gärtnern zusammen, malen, machen Theater oder erzählen. Neben dem Empowerment der Jugendlichen entsteht eine partizipativ erarbeitete Ausstellung zu jüdischem Leben und Widerstand. Chasak! setzt sich zudem mit Antisemitismus in Kunst und Kultur auseinander, indem es Handlungsempfehlungen entwickelt, mit denen kulturell Bildende für Antisemitismus sensibilisiert werden. Innerhalb der Projekte entstehen oft Produkte, die für die Allgemeinheit verfügbar sind: unter anderem breitenwirksame YouTube-Clips; multilinguale Webseiten, Lesungen und Ausstellungen, Broschüren und Schulungen; Porträts von Menschen aus den Communitys, Fortbildungs- und Vernetzungsveranstaltungen für Multi plikatorinnen und Multiplikatoren sowie Video-, Audio- und Textbeiträge.

Kritisch bleiben, selbst denken

Bei allem Zuspruch, den divers-empowernde Bewegungen erhalten, nicht alle sind von ihnen begeistert. Der zunehmende gesellschaftliche neoliberale und (rechts-)konservative Backlash wird aktuell auch deutlich in der Diskussion über das »Demokratiefördergesetz«. Das Gesetz, mit dem der Bund eine Rechtsgrundlage zur Förderung von Demokratie- und Vielfaltprojekten schaffen wollte, findet derzeit keine Mehrheit im Parlament.

Aus einer populistischen bzw. Der-Markt-reguliert-alles-Logik heraus mag dies öffentliche Aufmerksamkeit generieren. Sinnvoll ist es jedoch nicht. Unsere Demokratie kann nicht allein von ihren Strukturen leben und wird dauerhaft nur bestehen, wenn ihr gesellschaftlicher Unterbau intakt ist. Dazu gehört, eine möglichst vielfältige Zivilgesellschaft und Organisationen zu stärken, die aktiv für unsere plurale Demokratie eintreten.

Ziel jeder empowernden kulturellen und politischen Bildung ist es deshalb letztendlich, bereits einen Teil des demokratischen Versprechens einzulösen und die Gesellschaft hin zu mehr Vielfalt, Inklusion und Teilhabe zu verändern. Jetzt.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2024.