Über Diversität zu sprechen, aus einer Bundeseinrichtung heraus, die noch aus der Helmut-Kohl-Ära und der Bonner Republik stammt, könnte ein wenig anmaßend anmuten. Dennoch oder vielleicht genau deswegen versuchen wir, uns intensiv mit der eigenen Transformation zu beschäftigen. In Zeiten eines soziokulturellen Wandels tut sich ein großer Tanker mit entsprechenden Standortbedingungen, wie wir sie haben, meines Erachtens besonders schwer mit Veränderung allgemein und einer »diversitätssensiblen Öffnung«, wie sie fast alle Kultureinrichtungen anstreben, im Speziellen. Um es überzeichnet darzustellen, wollen wir uns vom »Elfenbeinturm« hin zu einem Kunst- und Kulturzentrum entwickeln, als das unser Haus von Künstlerseite von Anfang an gefordert war.

Oberstes Gebot ist hierbei immer die Inklusion, die bei uns am Haus seit einem Jahrzehnt intensiv und beispielsweise mit dem Pilotprojekt »Verbund Inklusion« und einer beratenden Fokusgruppe mit Menschen, die besonderen Assistenzbedarf haben oder aufgrund körperlicher oder kognitiver Einschränkungen andere Zugänge zu unseren Räumen und Inhalten benötigen, verfolgt wird – erfolgreich, möchte ich meinen. Erste Amtshandlung meiner eigenen Ära am Haus ab 2020 war es, dass wir verstärkt zum »Sender« gesellschaftspolitischer Inhalte und zu einem diskursiveren Ort wurden. So haben wir das hybrid angelegte Talk-Format Studio Bonn gegründet, das gesellschaftliche Themen immer aus der Per spektive der Kunst und Kultur verhandelt. Aktuell sind es die brennenden Fragen rund um Antisemitismus, Rassismus und Postkolonialismus, die mithilfe vieler Expertinnen und Experten seziert werden — was nicht zuletzt auf die Diversifizierung einzahlt. Mit einem umfassenden und von der BKM geförderten Volontariatsprogramm konnten wir 2021 zwei Personen mit grenzüberschreitenden Biografien in eine zweijährige Ausbildung holen. Ziel und Zweck war es, mit und durch die Volontärin Elizabeth Namwanje und den Volontär David Muñoz Aristizabal auch eine in stitutionskritische Selbstreflexion anzuregen, um die Diversität von Publikum und Personal in den Blick zu nehmen. Ihnen verdanken wir als Ergebnis ihrer Tätigkeiten nicht nur eine andere Bewusstseinsbildung hausintern zu diesem Thema. Auch ein umfassendes Programm mit einem Festival für mehr Diversität − »Das [neue] Wir« − wurde von den beiden gemeinsam mit Nuray Demir und Michael Annoff kuratiert.

In Direktionskreisen wird viel, auch international, darüber debattiert, wie ein Programm für eine Mehrheitsgesellschaft aussehen könne und ob es wirklich förderlich sei, Ausstellungen nicht publikumsspezifisch, sondern für einen Bevölkerungsquerschnitt zu entwickeln. Wir halten es für nachhaltig sinnvoll, eher die Vermittlungsformate zu diversifizieren und die Art und Weise, wie eine Ausstellung gemacht wird, immersiv und inszenatorisch zu verändern, als zu stark auf monokausale Blockbuster zu setzen. Die Bundeskunsthalle ist seit jeher ein Haus, das einem breiten inhaltlichen Spek trum verpflichtet ist, und diese großen Linien sollen auch fortgeführt werden – als »Halle für Alle«, wie beim Festival »Das [neue] Wir« proklamiert.

Mit unserer im letzten Jahr parallel laufenden Ausstellung zu Deutschland als Einwanderungsland unter dem Titel »Wer wir sind. Fragen an ein Einwanderungsland« hat dieser Programmschwerpunkt sich kongenial eingefügt. Zur Seite stand ein großes kuratorisches Team mit konzeptioneller Beratung aus verschiedensten Expertisen. Dazu gehören auch unterschiedliche kulturelle Perspektiven, eigene Migra tionsbiografien oder Rassismuserfahrungen. Die Vorbereitungen auf die Ausstellung haben auch dazu geführt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit eigener migrantischer Familiengeschichte im Team erstmals über ihre Erlebnisse und Erfahrungen gesprochen haben. Diversitätscoachings sollen gewährleisten, dass dieses Engagement im Haus auch gewahrt bleibt und verstetigt wird. Darüber hinaus hat sich eine Diversity-AG gebildet und die beiden Organisationen Neue deutsche Medienmacher*innen und Diversity Kartell waren sehr hilfreich in der Aufmerksamkeit für diskriminierungssensible Sprache.

Dank des KabARex-Programms der Bundesregierung (Programm des Kabinetts ausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus) wurde ein » Salon« als Outreach-Programm in einem nahegelegenen, als Brennpunkt gelesenen Standort eingerichtet. Seit diesem Jahr verfügt auch unser Haus selbst über einen solchen Salon als weiteren Dritten Ort.

Kürzlich erst haben wir unsere Sinus-Milieus studiert und damit einhergehend eine Selbstanalyse in Form einer 6P-Strategie (im Hinblick auf Publikum, Programm, Personal, Premises, PR und Partnerschaften) für unsere Gremien aufgesetzt, um dem Ansinnen auch eine kontinuierliche, nachhaltige Direktive zu geben. So ist – in Kurzfassung – das Pu blikum unser erster Fokus, das anders adressiert werden muss. Nicht zuletzt mit einem offeneren Kulturbegriff in unserem Programm, der sich vor allem verstärkt mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzt. Die Zukunftsfähigkeit unseres Hauses bemisst sich danach, wie erfolgreich Audience Deve lopment mit abwechslungsreichen, familienfreundlichen, inklusiven und integrativen Zielen ist. In postpandemischen Zeiten können wir uns nicht auf den Bus-Tourismus verlassen, sondern müssen verstärkt nun individuell unser Publikum finden. Eine Nichtbesucheransprache sowie die Erschließung eines bislang nicht kultur- und kunstaffinen Publikums sind vonnöten. Unter anderem dafür haben wir als eine der ersten Kulturinstitutionen weltweit einen demokratischen Bürgerbeirat ins Leben gerufen, der uns unter dem Titel »Gesellschafts-Forum« perspektivisch in vielen Fragestellungen berät. Die Entwicklung des Personals wird in Zukunft dabei genauso integraler Bestandteil sein müssen, nicht zuletzt bei den Führungskräften. Die Revitalisierung unserer Liegenschaft (Premises), die starken Partnerschaften vor Ort und eine abgestimmte PR müssen auf Dauer diese Ansinnen unterstützen.

Im Sommer dieses Jahres zeigen wir die Ausstellung »Für Alle! Demokratie neu gestalten«. Der Claim des Konzepts heißt verkürzt, dass Menschen die Demokratie gestaltet haben; also kann sie von ihnen auch umgestaltet werden. In dieser Hinsicht hoffe ich, dass es uns in Zukunft gelingt, mit der Öffnung hin zu einem diverseren Publikum und Personal dem Wunsch einer »Halle für Alle« immer besser gerecht zu werden. Anstelle eines Tempels der Kunst wollen wir lieber ein Tempel für unsere Besucherinnen und Besucher werden. Ein relevanter Ort, der einen Stellenwert für ein möglichst breites und vielfältiges Publikum hat und der anregt: zur Begegnung, zur Inspiration, zur Bildung, zur kreativen Entwicklung, für viele Erkenntnisse und wunderbare Erlebnisse.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2024.