Wenig Gestaltungswillen in Fragen der Kulturpolitik zeigt der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Obwohl ein neues »Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung« sowie das Amt des »Staatsminister für Sport und Ehrenamt« als oberste Bundesbehörde geschaffen werden, wird wiederum kein Bundeskulturministerium eingerichtet. Schade, eine Chance zur Stärkung und Sichtbarmachung der Bundeskulturpolitik wurde vertan, zumal die BKM mit ihren 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und vier nachgeordneten Behörden (Bundesarchiv, Bundesinstitut für Kultur und Geschichte des östlichen Europa, Kunstverwaltung des Bundes, Bundesamt für Äußere Restitution) den Vergleich zu anderen Bundesministerien nicht zu scheuen braucht. Allein das Bundesarchiv hat schon mehr als 2.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Auch eine Erklärung, das Staatsziel Kultur endlich im Grundgesetz zu verankern, ist nicht zu finden. Es wäre 20 Jahre nach Vorlage der einstimmigen Handlungsempfehlung durch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags »Kultur in Deutschland« Zeit, endlich das Grundgesetz um den Artikel 20b »Der Staat schützt und fördert die Kultur« zu vervollständigen.
Kultur- und Medienpolitik
Das Kapitel »Kultur- und Medienpolitik« wird mit der Aussage eingeleitet, dass Kultur gesellschaftsrelevant ist und eine lebendige kulturelle Infrastruktur zur Daseinsvorsorge gehört. Die Pflege und Weiterentwicklung des kulturellen Reichtums, der kulturellen Vielfalt und der Teilhabe aller Menschen werden als Aufgabe benannt. Erleichternd ist, dass der Begriff »Leitkultur« nicht verwendet wird.
Es wird klargestellt, dass Kunstfreiheit bedeutet, dass der Staat keine inhaltlichen Vorgaben macht. Projekte, die antisemitische, rassistische oder andere menschenverachtende Ziele verfolgen, sollen nicht gefördert werden. Es ergeht ein Prüfauftrag, rechtssichere Förderbedingungen zu schaffen.
Die BKM soll ein verlässlicher Partner von Kultureinrichtungen, Freier Szene und Breitenkultur sein. Die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Novelle des Kulturgutschutzgesetzes sollen abgeschlossen werden. Ein wirksames Restitutionsgesetz soll auf den Weg gebracht und das Denkmalschutzsonderprogramm fortgesetzt werden. Wichtig ist weiter, dass die Digitalisierung des Bundesarchivs und die Standortentwicklung vorangetrieben werden sollen. Im Klartext würde das die Umsetzung anstehender Baumaßnahmen bedeuten.
Der Kulturpass und die Green Culture Anlaufstelle, zwei Lieblingsprojekte der ehemaligen Kulturstaatsministerin Claudia Roth, werden mit einem Prüfauftrag versehen. Der Kulturpass wurde seinerzeit unter der Überschrift initiiert, neues Publikum für Kultureinrichtungen und Kulturunternehmen zu öffnen; dies soll insbesondere die nicht-digitale Kultur stärken. Wenn diese stärker wirtschaftlich gedachte Ausrichtung noch enger mit dem Gedanken der Teilhabe verknüpft wird, bestehen sicherlich noch Potenziale. Ehrlich gesagt ist die Green Culture Anlaufstelle so neu auch nicht, sie hatte nur einen weniger klangvollen Namen, wurde aber in der zweiten Amtsperiode von Kulturstaatsministerin Monika Grütters etabliert.
Hinsichtlich der Erinnerungskultur werden die drei großen Themenkomplexe, Erinnerung an NS-Zeit und hier besonders Erinnerung an die Shoah, Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie Aufarbeitung des Kolonialismus, angeführt. Die Gedenkstättenkonzeption des Bundes soll wissenschaftsgeleitet und im Austausch mit den Akteuren angepasst werden.
Akzentuiert wird die Kulturförderung nach § 96 Bundesvertriebenengesetz. Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen sollen verlässlich gefördert werden. Wenn sich die Aussagen über die Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung allein auf eine Aufstockung der Förderung beziehen, wäre wenig zu befürchten. Sollte damit klammheimlich eine Einhegung verfolgt werden, wäre dies deutlich bedenklicher. Die Stiftung hat sich mit der Direktorin Gundula Bavendamm einen sehr guten wissenschaftlichen Ruf und in einem teils »verminten« europäischen Gelände Anerkennung erarbeitet. Dies darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Eine »Wundertüte« ist die benannte gemeinsame Strategie von Bund und Ländern »Kultur und KI«. Es bleibt unklar, was damit geplant ist und inwiefern eine Einbindung dieser Strategie in die Digitalisierungsanstrengungen erfolgen wird.
Als Megathema durchzieht Digitalisierung den gesamten Koalitionsvertrag. »Digitalpolitik ist Machtpolitik« steht darin, und der Anspruch für ein digital souveränes Deutschland wird formuliert. Die digitalen Kompetenzen sollen gestärkt, die Resilienz durch Verbesserung der IT-Technik gesteigert, digitale Teilhabe gewährleistet, die Nationale Forschungsdateninfrastruktur verstetigt und darüber hinaus massiv in Cloud- und KI-Infrastruktur investiert werden. Erhofft wird sich insbesondere, dass Verwaltungsprozesse dank der Digitalisierung schneller und bürokratieärmer ablaufen. Aus dem Kulturbereich wird der Games-Industrie eine wichtige Schlüsselrolle bei Investitionen und Marktdurchdringung digitaler Prozesse beigemessen. Dieser Kulturwirtschaftszweig soll gestärkt werden. Im Bundeswirtschaftsministerium soll eine Expertenkommission angesiedelt werden, die sich mit Wirtschaft und KI befassen soll. Es wäre wichtig, dass der Kulturbereich in diese Expertenkommission einbezogen wird. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Kulturmärkte bedeutsame Indikatoren sind, um zu erkennen, welche Chancen, aber auch welche Risiken mit neuen Technologien verbunden sind.
Selbstverständlich spielt KI im Kontext der Digitalisierung eine wesentliche Rolle. Umso wichtiger wird es sein, die Expertise des gesamten Kulturbereiches in die Überlegungen zu Kultur und KI einzubeziehen. Was die einen als Erleichterung ihrer Arbeit ansehen, kann für die anderen der Entzug der Geschäftsgrundlage bedeuten. Im in der letzten Wahlperiode von der BKM geförderten Projekt »Datenraum Kultur« war es sehr aufwendig, immer wieder klarzumachen, dass es im Kulturbereich in erster Linie um Werke und nicht um Daten geht. Der Deutsche Kulturrat wird sich daher in die Erarbeitung der Strategie »Kultur und KI« einmischen.
Kulturwirtschaft
Mit Blick auf die Kulturwirtschaft werden zwei Branchen besonders in den Blick genommen, die Film- und die Gameswirtschaft. Die zweite Stufe der Reform der Filmförderung mit der Etablierung eines steuerlichen Anreizsystems und einer Investitionsverpflichtung soll zeitnah angegangen werden. Die Gamesförderung soll verlässlich gestaltet werden, geplant sind steuerliche Anreize und verlässliche Programme. Ferner soll sich für die Initiative Musik und andere Vorhaben der Musikwirtschaft eingesetzt werden. Zusammen mit den Ländern soll eine strukturelle Verlagsförderung geprüft werden.
Einwanderungsland Deutschland
Unmissverständlich steht im Koalitionsvertrag, dass Deutschland als Einwanderungsland von Menschen unterschiedlicher Herkünfte geprägt ist. Der Diskriminierungsschutz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll gestärkt werden. Eine Antirassismusstrategie, die auf einem wissenschaftsbasierten Rassismusbegriff basiert, soll erarbeitet werden. Einen wichtigen Stellenwert nimmt im Koalitionsvertrag die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland ein. Gleichzeitig soll die irreguläre Migration begrenzt werden. D. h. im Klartext, dass Deutschland wie andere Einwanderungsländer, z. B. Kanada oder Australien, stärker steuern und auswählen will, wer nach Deutschland kommt und hier längerfristig leben kann. In diesem Kontext wird deutlich gemacht, dass Integration gefördert und sozialer Zusammenhalt gestärkt werden soll. Hier sind, wie die Initiative kulturelle Integration schon lange betont, alle gefordert, die, die hier schon lange leben, und diejenigen, die neu nach Deutschland kommen.
Resilienz
Auf die Bedeutung, die IT zur Sicherung von Resilienz beigemessen wird, wurde bereits verwiesen. Ferner soll die zentrale Rolle des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gestärkt werden. Der Deutsche Kulturrat bringt sich hierzu im Rahmen der Nationalen Resilienzstrategie ein. In den Blick genommen wird auch die demokratische Resilienz. Gegenüber den Feinden der Demokratie soll »Null Toleranz« gelten. Es wird klar formuliert, dass jedweder Destabilisierung der freiheitlich demokratischen Grundordnung entgegengewirkt werden muss. In diesem Zusammenhang wird namentlich die systematische Bekämpfung der Ausbreitung rechtsextremen Gedankenguts und rechtsextremer Bestrebungen genannt. Der gesellschaftliche Zusammenhalt, Vielfalt und Toleranz sollen gestärkt werden, um so der Destabilisierung der Gesellschaft durch Rechtsextremisten entgegenzuwirken. Wehrhafte Demokratie hieß dies bislang im Bundesinnenministerium. Es wird darauf ankommen, dass dies auch künftig zur DNA des »Verfassungsministeriums« Bundesinnenministerium gehören wird.
Weiter ist vorgesehen, die Vielfalt jüdischen Lebens zu fördern und sicherzustellen, dass keine Organisationen finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten oder das Existenzrecht Israels in Frage stellen.
AKBP
Von der Auswärtigen Kultur- und Gesellschaftspolitik (AKGP) der letzten Wahlperiode geht es offenbar wieder zurück zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP). Diese wird als zentraler Bestandteil der Außenpolitik und wichtiges »Element der Soft Power Deutschlands« bezeichnet. Die AKBP soll als strategisches Element im globalen Wettbewerb dienen, »um Ansehen, Einfluss, Narrative, Ideen und Werte« zu stärken. Sie soll den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland stärken.
Mit Blick auf die Kultur geht es neben der Kulturförderung insbesondere um die Gestaltung der gesetzgeberischen Rahmenbedingungen.
Sport und Bürgerschaftliches Engagement
Der Sport wird künftig als Ansprechpartner eine Staatsministerin im Bundeskanzleramt haben, die zugleich für das Ehrenamt zuständig sein wird. Mit Blick auf das bürgerschaftliche Engagement wurden konkrete Vorhaben wie die Erhöhung der Übungsleiterpauschale, die Erhöhung der Freigrenze für wirtschaftliche Geschäftsbetriebe gemeinnütziger Vereine, die Modernisierung des Katalogs gemeinnütziger Zwecke und anderes mehr in einem »Zukunftspakt Ehrenamt« genannt. Die designierte Staatsministerin Christiane Schenderlein, bisher kulturpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag, wird sicherlich einen Blick für das wichtige Engagement der Kultur haben. Der Kultursektor in seiner Vielfalt ist nach dem Sport der zweithäufigste Engagementbereich.Auch steht wieder einmal die Aufgabe an, zu verdeutlichen, dass bürgerschaftliches Engagement in der Kultur über das klassische Ehrenamt hinausreicht.
Spannend wird sein, ob Teile aus der derzeitigen Heimatabteilung des Bundesinnenministeriums und die Engagementabteilung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur neu zu schaffenden obersten Bundesbehörde »Sport und Ehrenamt« verlagert werden und welche Auswirkungen dies möglicherweise auf die Freiwilligendienste haben wird, die ausgebaut und deren überjährige Finanzierung sichergestellt werden soll.
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Ganz oben steht hier mit Blick auf den Kultursektor eine wirksame Reform des Statusfeststellungsverfahrens, um Rechtssicherheit für Auftraggeber und Selbstständige zu schaffen. Mit Blick auf Honorarkräfte in der Lehre wurde in der letzten Wahlperiode kurz vor Toresschluss noch eine Übergangsregelung bis Ende 2026 verabschiedet. Daraus folgt, dass dieses Thema rasch angegangen werden muss. Hier ist auch der Deutsche Kulturrat gefordert, konkrete Lösungsvorschläge in die Diskussion einzubringen.
Ein Dauerbrenner der letzten Wahlperioden ist die Altersvorsorge für Selbstständige. Bereits seit 2013 wird das Thema ventiliert. Im Koalitionsvertrag wird die Einbeziehung neuer Selbstständiger in die gesetzliche Rentenversicherung und bessere Absicherung von Bestandsselbstständigen angekündigt. Das geht mit der Überlegung konform, die soziale Sicherung für nicht in der Künstlersozialkasse versicherte Selbstständige aus dem Kulturbereich zu verbessern. Mit Blick auf die Künstlersozialkasse ist die Stabilisierung der Künstlersozialabgabe vorgesehen. Ebenso sollen digitale Verwertungen in die Künstlersozialabgabe einbezogen werden. Beabsichtigt wird ferner, Mutterschutz für Selbstständige einzuführen. Weiter soll das Elterngeld für Selbstständige flexibilisiert werden.
Gleichstellung
Als Ziel wird die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien, in Politik und Parlamenten formuliert. Hier kann die neue Bundesregierung mit einer geschlechtergerechten Besetzung von Ministerien mit gutem Beispiel vorangehen. Im öffentlichen Dienst sollen mehr Frauen Führungspositionen innehaben, auch hier können die Bundesministerien sowie nachgeordneten Bundesbehörden und Bundesunternehmen – wie vorgesehen – beispielgebend handeln. Das trifft auch auf flexiblere Arbeitszeitmodelle zu.
Generell soll die Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöht werden. Als neues Instrument ist ein jährliches Familienbudget für Unterstützungsleistungen bei kleinen und mittleren Einkommen vorgesehen, damit mehr Frauen erwerbstätig sein und bleiben können. Hinsichtlich Selbstständiger sollen spezielle Förderungen für Gründerinnen ausgebaut werden. Bei diesen Modellen müssen unseres Erachtens die spezifischen Anforderungen der Kulturwirtschaft berücksichtigt werden. Auch in wissenschaftlichen Führungspositionen soll der Anteil von Frauen erhöht und hierzu das Professorinnenprogramm verstärkt werden.
Zentral ist, dass an der ressortübergreifenden Gleichstellungsstrategie die BKM beteiligt wird, damit die besonderen Belange von Frauen in Kultur und Medien entsprechend berücksichtigt werden.
Urheberrecht
Ein fairer Ausgleich der Interessen aller Akteure – Kreative, Wirtschaft und Nutzer – ist mit Blick auf das Urheberrecht vorgesehen. Eine klare Aussage wird zur Nutzung künstlerischer Werke durch generative KI getroffen. Hier sollen die Urheber angemessen vergütet werden. Weiter wird mehr Transparenz bei Abrechnungen von Streamingplattformen eingefordert. Mit Blick auf die Musiknutzung wird als alter Hut wieder hervorgeholt, dass die GEMA bei Lizenzvergaben die Interessen von Vereinen, Weihnachtsmärkten und Sommerfesten von Kindergärten berücksichtigen soll.
Fazit
Die Vorhaben im Koalitionsvertrag im Kulturbereich sind richtig und wichtig. Was fehlt, ist der Esprit oder der Gestaltungswille, wohin es gehen soll. Es gibt viele Anknüpfungspunkte für den Kulturbereich, wo seine Expertise gefordert ist und wo es gilt, sich einzumischen. Und vor allem kommt es auf den künftigen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer an. Was im Koalitionsvertrag steht, ist das eine, was umgesetzt wird, das andere. Gerade bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen wird es darauf ankommen, sich eng mit den anderen Ressorts abzustimmen. Von Bedeutung werden dabei insbesondere die SPD-geführten Ministerien Finanzen, Arbeit und Soziales sowie Justiz sein.