Freie und unabhängige Medien sind neben freien Wahlen unverzichtbar für unsere Demokratie. Doch gerade diese Medienfreiheit steht unter erheblichem Druck, ja sie gerät in Gefahr. Deshalb steht für mich auch am Anfang aller Überlegungen zur Rundfunkreform die Grundsatzfrage: Welche Medien braucht die Demokratie?
Die Antwort ist für mich klar: Wir brauchen im dualen System die privaten und die öffentlich-rechtlichen Medienmacher, denn die Schnipsel in den sozialen Netzwerken reichen nicht aus, um über eine Vernissage oder eine Premiere zu berichten. Die Kurzversion von Nachrichten auf Instagram ersetzt keine Nachrichtensendung. Wo Menschen keine vertrauenswürdigen Qualitätsmedien mehr konsumieren, schwindet die Demokratie. Das wird leider schon vielerorts sichtbar, insbesondere in den USA.
Mit Sorge sehe ich, dass unsere freien Medien immer weiter unter Druck und in eine Vertrauenskrise geraten. Die Signale sind bedrohlich. Zudem bricht die wirtschaftliche Einnahmeseite bei den Privaten enorm ein. Bei den Zeitungen ist die Lage wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Situation und der Preisentwicklung bei Papier, Druckplatten und Zustellung dramatisch. Viele Abonnenten wägen ab, ob sie sich das noch leisten können. Die Einnahmeverluste im Bereich Werbung sind hoch. Das trifft nicht nur den Hörfunk. Werbekunden wandern auf die digitalen Plattformen.
Vor dieser Kulisse richte ich den Blick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), der gleichzeitig geliebt und gehasst wird. Als Medienpolitikerin bin ich überzeugt: Wir brauchen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aber er muss sich ändern, damit er einerseits seinem Auftrag gerecht wird, andererseits Vertrauen zurückgewinnt und Akzeptanz genießt. Der Auftrag ist nichts Geringeres als die Grundversorgung der gesamten Bevölkerung mit Informationen, Kultur, Bildung, Beratung und Unterhaltung. Doch das veränderte Mediennutzungsverhalten zeigt: Es gelingt immer schwieriger, alle Altersgruppen zu erreichen.
In ganz Europa ist der Druck auf die »public service media« spürbar. Die Volksabstimmung zu »No Billag« in der Schweiz oder die Äußerungen des ehemaligen britischen Premierministers Boris Johnson und seines Beraters Dominic Cummings haben Breitenwirkung erzielt, die BBC muss sich gerade neu erfinden. Auch in Deutschland geht es nicht allein um eine zusätzliche Vertrauenskrise, die durch den rbb-Skandal ausgelöst wurde. Es geht um eine breitere diffuse Kritik. Pauschale Forderungen, nach einer »Reform des ÖRR« werden in den Raum gestellt, ohne dass die Reformziele klar definiert werden. Für die einen geht es darum, dass der Rundfunkbeitrag nicht weiter steigt, für andere darum, dass sie die Rolle der Medien als »Watchdog« lästig bis störend empfinden, andere wollen den Programmmachern Vorgaben machen, etwa mit dem Ziel der Reduzierung auf einen sogenannten »Marken- und Wesenskern« bei dem wohl gemeint ist, dass die Unterhaltung wegfallen soll.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk »must be loved and used« sagte der BBC-Direktor Tim Davie kürzlich. Eine starke, auch emotionale Verankerung in der Gesellschaft ist elementar für ein Angebot, das»public service« als Teil seiner DNA versteht. An der Onlineanhörung zum 3. Medienänderungsstaatsvertrag, mit dem der Auftrag geschärft, die Flexibilisierung der Spartenkanäle möglich, aber vor allem auch die Gremienkontrolle gestärkt wird, haben sich sehr viele Menschen beteiligt. Das zeigt für mich: Das Interesse an Medien ist groß, der Wunsch nach Veränderung aber auch. Interaktion, Partizipation und Teilhabe werden eingefordert. Deshalb werden wir auch einen verpflichtenden Publikumsdialog einführen.
Vielen Studien zufolge genießt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland noch ein hohes Vertrauen, dennoch schwächt sich die Akzeptanz auch in den jüngeren Generationen deutlich ab. Sie konsumieren zwar einzelne Angebote des Onlineformats FUNK über Drittplattformen, nehmen aber die Quelle, also den öffentlich-rechtlichen Ursprung des Angebotes, nicht wahr. Ihr Potenzial können die Öffentlich-Rechtlichen nur durch eine Kursänderung erreichen. Wir Länder, als Verantwortliche für Medien, haben drei Reformfelder definiert: »Digitale Transformation gestalten und Qualität stärken«, »Strukturen und Zusammenarbeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks optimieren und Beitragsstabilität sichern« sowie »Good Governance weiter stärken«.
Doch die großen Herausforderungen können nur gemeinsam durch die Länder, die Anstalten und ihre Gremien, aber vor allem mit den Nutzern, dem Publikum und der Hörerschaft bewältigt werden. Im Augenblick laufen mehrere parallele Prozesse, die wir Ende des Jahres zusammenführen wollen. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) bewertet die Bedarfsanmeldungen bis Jahresende. Die Rundfunkkommission will das Prinzip »Zusammenarbeit soll die Regel werden« auch in den Staatsverträgen verankern und den ARD-Staatsvertrag überarbeiten.
Zur Entwicklung einer langfristigen Perspektive für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seiner Akzeptanz über das laufende Jahrzehnt hinaus hat die Rundfunkkommission temporär einen Rat für die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, kurz Zukunftsrat, eingesetzt. Dieser ist ein zusätzliches beratendes Gremium. Er soll als Thinktank den Blick in die Zukunft richten. Wie kann eine langfristige Perspektive für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk über das laufende Jahrzehnt aussehen? Das Gremium ist interdisziplinär zusammengesetzt mit Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen der Medienwirtschaft und Medienwissenschaft. Die Mitglieder des Zukunftsrates wurden aufgrund ihrer Unabhängigkeit und ihrer ausgewiesenen Fach- und Sachkompetenz ausgewählt.
Wie der Erneuerungsprozess des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gelingen kann, dazu will ich meine Überlegungen hier skizzieren:
Die Mehrheit der Gesellschaft muss die Angebote gern und selbstverständlich auf allen Verbreitungswegen nutzen. Die gesetzlichen Regelungen im Medienstaatsvertrag schaffen hier Raum für mehr Flexibilität. Diesen Raum müssen die Anstalten nutzen. Qualität muss dabei vor Quantität stehen. Wie viele Spartenkanäle, Hörfunkprogramme, Apps notwendig sind, um den Auftrag zu erfüllen, muss in diesem Sinne und der Wirtschaftlichkeit überprüft und konsolidiert werden.
Der ÖRR muss durch Qualität überzeugen; Inhalte müssen konstruktiv und faktenbasiert den gesellschaftlichen Informationsauftrag erfüllen. Mit einem weltweiten Korrespondentennetzwerk ist eine exquisite Basis für eine globale Einordnung von Ereignissen und Entwicklungen gegeben. Es besteht aber auch die klare Erwartung, Nachrichten und Kommentar klar zu trennen. Haltungs- und Meinungsjournalismus wird abgelehnt. Das wurde von den Menschen in den verschiedenen Beteiligungsverfahren zu den Staatsverträgen der Länder immer wieder eingefordert. Die Interaktion mit dem Publikum muss verstetigt werden, damit solche Anregungen aufgenommen und umgesetzt werden.
Die Inhalte müssen die Menschen ohne kommerzielle Datennutzung erreichen. Vor allem bei den Jüngeren löst die digitale On-Demand-Nutzung die lineare Nutzung ab. Zwar werden auch jetzt schon die öffentlich-rechtlichen Inhalte online in den Mediatheken, auf Plattformen und in den sozialen Netzwerken verbreitet – jedoch meist auf US-amerikanischen oder chinesischen Plattformen, die durch die werbefreien Angebote zusätzlichen »Traffic« und damit Werbeeinnahmen erzielen. Eine Mediathek für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk würde die Sichtbarkeit erhöhen. Die Verlinkung der Mediatheken von ARD und ZDF kann nur ein erster Schritt sein. Mit Arte und 3sat gibt es erste Ansätze für eine europäische Plattform, diese sollte in der European Broadcasting Union (EBU) zu einer europaweiten Vernetzung der Angebote der »public service media« erweitert werden.
Der ÖRR muss gerade wegen seiner Beitragsfinanzierung neutral, unabhängig und transparent aufgestellt sein. Dabei müssen für die Verwendung der Mittel hohe Standards bei Transparenz und Compliance gewährleistet werden. Mit dem 4. Medienstaatsvertrag werden wir hierfür einheitliche Regeln schaffen.
Der ÖRR muss ein fairer Vertragspartner sein. Wer aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, hat eine besondere Verantwortung, das gilt auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Arbeit- oder Auftraggeber.
Die Gremien müssen selbstbewusst, präsent und kompetent ihre Aufgaben wahrnehmen. Sie sind die Parlamente der Anstalten und haben eine besondere Verantwortung. Unabhängige Gremiengeschäftsstellen müssen diese Arbeit unterstützen.
Die Organisationsstrukturen im ÖRR müssen schlanker und effizienter zusammenarbeiten. Das gilt nicht nur für Produktion, Technik und Verwaltung. Insbesondere die Arbeitsgemeinschaft der ARD-Anstalten mit ihren rund 50 Gemeinschaftseinrichtungen muss sich der Überprüfung stellen.
Lösungen sind nicht auf einfache und schnelle Art zu finden, und ein Zukunftsrat allein baut noch keine Zukunft. Aber ich bin davon überzeugt und will engagiert dafür werben, dass wir für unsere Demokratie daran arbeiten müssen, wie die Menschen auch in Zukunft verlässliche Information und vielfältige Kultur erreichen können.