History-Influencer fassen ganze Epochen in Anderthalb-Minuten-Videos zusammen. Figuren der Geschichte, von KI zum Leben erweckt, geben selbst Auskunft über ihre Biografie. In Videospielen werden große Ereignisse der Geschichte detailliert nachgespielt – und dann mit einer weltweiten Gaming-Community diskutiert. Es ist fast schon eine Binse: TikTok, Instagram oder Computerspiele prägen zunehmend die Geschichtsbilder junger Menschen. Das Interesse ist hoch, das Angebot jedoch durchwachsen: Die traditionellen Gatekeeper historischer Bildung bewegen sich oft noch zögerlich auf den neuen Plattformen.

So überrascht es nicht, dass sich hier auch geschichtsrevisionistische, antisemitische und NS-relativierende Inhalte oft ungehindert im Mainstream verbreiten – teils als populäre Trends, teils durch gezielte rechtsextreme Strategien. Das Gedenken an den Nationalsozialismus wird in diesen Räumen herausgefordert, historische Verbrechen werden relativiert oder in Opfermythen umgedeutet. Das ist umso gefährlicher, da Wissenslücken zur Shoah in der jungen Generation weit verbreitet sind. Vier von zehn jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren wissen nicht, wie viele Menschen im Holocaust ermordet wurden. In der MEMO-Studie der Stiftung EVZ äußerte im April 2025 erstmals eine relative Mehrheit der Befragten (38,1 Prozent) Zustimmung zur Forderung, die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit zu beenden. Die Einschätzung, der Nationalsozialismus werde zu einseitig negativ bewertet und habe auch »gute Seiten« gehabt, vertreten 28 Prozent – ein Anstieg gegenüber 22 Prozent vor fünf Jahren. Der Leipziger Autoritarismus-Studie zufolge sind 13,4 Prozent latent der Meinung, die NS-Verbrechen seien »stark übertrieben«. Zudem glauben fast zwei Drittel der 16- bis 25-Jährigen, ihre Vorfahren hätten nicht zu den Tätern gehört.

In ihrem aktuellen Report »Der Holocaust als Meme. Wie in digitalen Räumen Geschichte umgedeutet wird« der Bildungsstätte Anne Frank untersuchen wir systematisch, welche Inhalte und Strategien in sozialen Netzwerken, Games und KI-Anwendungen zur Normalisierung oder Relativierung der NS-Verbrechen beitragen.

Teils sind es uralte Ideologeme, die dem neuen Medium und der jugendlichen Zielgruppe angepasst werden. Dazu zählt etwa die Erzählung vom »Schuldkult«, die insbesondere in rechten Influencer-Kreisen kursiert. So verbreiten reichweitenstarke TikTok-Accounts, die sich vorgeblich mit »deutscher Geschichte« befassen, die Legende, deutsche Opfer würden in der offiziellen Erinnerungskultur systematisch ignoriert, während die Alliierten als Kriegsverbrecher dargestellt werden müssten. Solche Beiträge bedienen das Motiv der nationalen Opfererzählung und relativieren die historischen Täter-Opfer-Verhältnisse. Typisch ist auch die Rekontextualisierung der NS-Ideologie. Auf YouTube kursieren Videos mit Titeln wie »Hitler war links«, die suggerieren, der Nationalsozialismus sei im Kern eine linke Bewegung gewesen. Der historische Faschismus wird dadurch entpolitisiert und seine ideologischen Grundlagen verschleiert. Besonders erfolgreich sind dabei Formate, die sich populärwissenschaftlich, pseudo-journalistisch (etwa in Straßenumfragen) oder satirisch inszenieren, wodurch die Grenze zwischen Aufklärung und Revisionismus weiter verwischt wird. Es gibt aber auch reichlich Eindeutiges: Einem breiten Publikum dürfte etwa der TikTok-Kult um die verstorbene Ursula Haverbeck völlig unbekannt sein. War die mehrfach verurteilte Holocaust-Leugnerin in der öffentlichen Wahrnehmung eine eher randständige Figur, gibt es auf der Videoplattform Accounts mit Hunderttausender-Reichweite, die sie als »Märtyerin der Meinungsfreiheit« inszenieren.

Mit der Verbreitung generativer KI verschärft sich das Problem. Der Report dokumentiert mehrere Fälle, in denen NS-Verbrechen durch KI-basierte Inhalte verharmlost oder verfälscht werden. In einem Beispiel tritt eine Deepfake-Version von Anne Frank auf und spricht in modernem Jargon über ihr »Schicksal« – verfälscht jedoch wichtige Fakten der eigenen Biografie. In einem anderen Fall ist es der KZ-Arzt Josef Mengele, der sich in einer KI-generierten Selbstanklage als »Monster in Menschengestalt« darstellt. Seine Taten und die dahinterstehende politische Ideologie bleiben unkonkret, während sein persönliches »Drama« in den Vordergrund gestellt wird.

Diese Formate stellen nicht nur eine ethische Grenzüberschreitung dar, sie verbreiten auch Pseudo-Wissen in ästhetisch ansprechender Form. Die Tatsache, dass solche Inhalte oft in bildungssprachlichem Duktus auftreten, erhöht ihre Glaubwürdigkeit und erschwert die Einordnung für ungeübte Rezipienten. Gerade KI-generierter History-Content ist ein Wachstumsmarkt: Der Bildungskontext verspricht große Reichweiten und einfache Monetarisierbarkeit – die historische Wahrheit steht hintenan. Wir dokumentieren ernst gemeinte »Bildungsvideos«, die etwa die Frage »Warum sind Juden so reich« beantworten. Die KI-generierten Bilder, die die Präsentation untermauern sollen, zeigen in einer konfusen Sammlung optischer Anachronismen z. B. antike Juden, die in osteuropäischem Habit in babylonischen Palästen agieren.

Neben sozialen Medien widmet sich der Report auch digitalen Spielen als Erinnerungsmedien. Dabei zeigt sich: Viele populäre Weltkriegsspiele wie »Call of Duty« oder »Hearts of Iron IV« lassen den Holocaust komplett aus – trotz ihres Anspruchs, historisch authentische Kriegsszenarien zu inszenieren. Die NS-Zeit erscheint in diesen Formaten primär als militärischer Konflikt, der Faschismus als »Regierungsform«, während die systematische Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden sowie anderer Opfergruppen keine Erwähnung finden. In den dazugehörigen Gaming-Communitys entstehen eigene Narrative, in denen historische Fakten durch Spielmechaniken überformt und moralische Bewertungen durch Erfolgskriterien ersetzt werden. Der Holocaust wird dadurch aus dem kollektiven Gedächtnis digitaler Generationen tendenziell ausgeblendet. Es entsteht ein Milieu ethischer Ambivalenz, in dem Meme-Kultur und grenzüberschreitender Humor zugleich ein Einfallstor rechtsextremer Agitation darstellen können.

Die digitalen Räume, in denen sich Jugendliche bewegen, sind nicht nur Erinnerungs-, sondern auch Kampfzonen um die Deutungshoheit über Geschichte. Der Konsens über Erinnerungskultur ist brüchig geworden – zum Teil durch schlichte Bildungsmängel, zum Teil durch eine entpolitisierende Online-Kultur, nicht zuletzt aber auch durch aktive rechtsextreme Medienstrategien. Führende Ideologen der sogenannten Neuen Rechten haben schon vor vielen Jahren die Parole ausgegeben, eine kulturelle Hegemonie insbesondere in jugendnahen Medien herzustellen, durch welche die Grenzen des Sagbaren kontinuierlich verschoben werden. Revisionistische Inhalte treten auch deshalb nicht offen auf, sondern oft in Form entpolitisierter Unterhaltungsangebote.

Politische Bildung steht damit vor einer doppelten Herausforderung: Sie muss einerseits historische Fakten vermitteln, andererseits junge Menschen zur kritischen Medienkompetenz befähigen. Dazu gehört auch das Wissen über digitale Funktionslogiken, über Algorithmen, Reichweitenmechanismen und die mediale Ästhetik extremistischer Kommunikation. Der Erfolg rechtsextremer Narrative in digitalen Räumen beruht nicht zuletzt darauf, dass viele Bildungsakteure diese Dynamiken nicht kennen oder unterschätzen.

Dabei ist das Interesse an Geschichte durchaus vorhanden. Die Herausforderung besteht darin, Inhalte dort anzubieten, wo junge Menschen sich aufhalten – ohne dabei historische Wahrhaftigkeit preiszugeben. Bildungseinrichtungen und zivilgesellschaftliche Organisationen sind gefragt, digitale Formate zu entwickeln, die sowohl inhaltlich fundiert als auch ästhetisch anschlussfähig sind. Denn digitale Erinnerungskultur entscheidet zunehmend darüber, wie Gesellschaft sich ihrer Geschichte erinnert – oder sie vergisst.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2025.