Thüringen, das war in den letzten Monaten nicht nur im kulturpolitischen Kontext das Stichwort, wenn es um die Wahlen in Ostdeutschland und vor allem um das Abschneiden der AfD ging. Der »Verfassungsblog« hat ein eigenes Projekt, das Thüringen-Projekt, gestartet, um zu untersuchen und zu beschreiben, wie demokratiefest eine Landesverfassung ist und welche Auswirkungen Wahlen haben können.
Am 26. Mai 2024 fand als erste Wahl im »Superwahljahr 2024« die Kommunalwahl in Thüringen statt. Es stand die Frage im Raum, ob es einen »blauen Durchmarsch« der vom thüringischen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD geben würde. Obwohl zum Redaktionsschluss noch nicht alle Wahlkreise ausgezählt sind, kann festgehalten werden, dass kein AfD-Kandidat auf Anhieb ein Landrats- oder Bürgermeisteramt erringen konnte. In einigen Städten und Landkreisen konnten die Amtsinhaber von CDU oder SPD ihr Mandat verteidigen. In vielen Städten und Landkreisen steht eine Stichwahl zwischen Kandidaten von CDU oder SPD und AfD an. Die Stichwahlen werden am 9. Juni 2024 zusammen mit der Wahl des Europäischen Parlaments durchgeführt.
Schockierend ist das Ergebnis im Kreis Hildburghausen. Dort ist der bekennende Neonazi und früheres NPD-Mitglied Tommy Frenck für Bündnis Zukunft Hildburghausen (BZH) angetreten und erhielt immerhin 24,9 Prozent der Stimmen. D. h. ein Viertel der Wählerinnen und Wähler hat rechtsextrem gewählt. Frenck veranstaltet Konzerte mit rechtsextremer Musik und vertreibt rechtsextreme Schriften. Er wird im Thüringer Verfassungsschutzbericht als Rechtsextremer geführt. Er steht in der Stichwahl mit dem bisherigen Amtsinhaber Sven Gregor (Freie Wähler).
Warum ist die Thüringenwahl mit gerade einmal 1,7 Millionen Wahlberechtigten so interessant? Und vor allem, warum wird einer Kommunalwahl so viel auch bundesweite Aufmerksamkeit geschenkt?
Die bundesweite Aufmerksamkeit für Thüringen rührt vor allem daher, dass, nachdem die CDU 24 Jahre (1990 bis 2014) stärkste Regierungsfraktion war und den Ministerpräsidenten bzw. die Ministerpräsidentin stellte, seit 2014 eine von Der Linken geführte Regierung am Ruder ist. Seit 2020 führt Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) eine rot-rot-grüne Minderheitenregierung. Ihr ging im Jahr 2020 ein Eklat voraus, als der FDP-Abgeordnete Thomas Kemmerich unter anderem mit Unterstützung der AfD am 5. Februar 2020 zum Ministerpräsidenten gewählt wurde und dieses Amt nach erheblichem Druck am 8. Februar 2020 wieder abgab. Die AfD Thüringen war überdies der erste Landesverband, der von einem Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde. Der Landesvorsitzende Björn Höcke ist die Symbolfigur des rechten Flügels der AfD. Er musste sich bereits mehrfach vor Gericht wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen in Reden verantworten. Thüringen hat also mit Blick auf den Rechtsextremismus in Deutschland eine besondere Relevanz.
Eine Kommunalwahl ist aus verschiedenen Gründen bedeutsam. Hier erleben die Bürgerinnen und Bürger ganz unmittelbar, wie es um die Demokratie steht und vor allem, wie ihre Anliegen und Bedürfnisse wahrgenommen werden. Gibt es einen öffentlichen Nahverkehr oder sind alle auf das Auto angewiesen? Besteht eine ärztliche Versorgung in der Nähe oder müssen viele Kilometer zurückgelegt werden, um eine vollständig überlastete Praxis zu erreichen? Wie ist der Zustand der Straßen, des Sportplatzes, des Feuerwehrhauses und vieler anderer Orte der kommunalen Daseinsvorsorge?
Wird die Kulturfinanzierung in den Blick genommen, sind es die Kommunen, die die Hauptverantwortung tragen. Die öffentliche Bibliothek, das Vereinswesen vor Ort, vielleicht die Musikschule und in den größeren Orten möglicherweise das Theater oder Museum, sie bilden die kommunale Kulturinfrastruktur. Hier geht es um die kulturelle Grundversorgung. In den Stadtparlamenten und im Kreistag wird darüber entschieden, wer künftig gefördert wird und welche Akzente gesetzt werden. Die Bürgermeister oder Landräte sind sehr oft in Personalunion auch für die kommunale Kultur zuständig. Sie sind damit die Dienstvorgesetzten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommunaler Kultureinrichtungen wie beispielsweise der Bibliothek. In den Stadträten und Kreistagen wird mit den Kulturetats entschieden, was stattfinden kann und was nicht. Es ist daher für die kommunale Kulturszene keineswegs unerheblich, wer Landrat oder Bürgermeisterin ist. Auch wenn die AfD in der ersten Phase der Kommunalwahl keine Landrats- oder Bürgermeisterämter gewinnen konnte, sie hat erhebliche Stimmenzuwächse zu verzeichnen und wird daher bei Entscheidungen in den Stadträten und Kreistagen ein Wörtchen auch mit Blick auf die Kulturförderung mitzureden haben. Darüber hinaus ist derzeit noch vollkommen offen, ob nicht noch das eine oder andere Amt an sie fällt.
Aufgrund der Bedeutung kommunaler Entscheidungen haben Die Vielen im Frühjahr dieses Jahres ihre Arbeit wieder intensiviert. Es geht darum, lokal, regional und bundesweit die Schönheit einer vielfältigen Kultur zu zeigen und streitbar für Kunstfreiheit und eine dialogische Kultur einzutreten. Das Motto lautet »Shield & Shine«. Die glänzenden Regenschirme stehen als Symbol für Schutzschirme, die über der Kultur aufgespannt werden. Die Vielen erklären, »gerade jetzt werden wir uns gegen jede Form des Antisemitismus und des Rassismus einsetzen, wollen Menschenwürde, demokratische Werte sowie Veränderung leben und stärken.«
Es geht darum, jenseits der Metropolen den Kultureinrichtungen, den Kulturakteuren und insbesondere den Künstlerinnen und Künstlern Solidarität und Unterstützung zu zeigen. Vor der Wahl des Europäischen Parlaments am 9. Juni 2024 rufen Die Vielen zu einer »Aktionswoche EUROPA DEN VIELEN« auf. Jeder und jede kann sich mit Aktionen beteiligen und damit sein Engagement für eine vielfältige Kultur sichtbar machen. Das Einfachste ist, das Plakat von Die Vielen, das dieser Ausgabe von Politik & Kultur beiliegt, deutlich sichtbar aufzuhängen.
Die Kommunalwahl in Thüringen hat gezeigt, dass das Ergebnis einer Wahl nicht im Vorfeld feststeht. Sie hat aber auch deutlich gemacht, welchen Zuspruch Rechtsextreme finden. Damit darf sich 75 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes nicht abgefunden werden. Es geht vielmehr darum, sich jetzt dafür stark zu machen, dass Artikel 1 des Grundgesetzes »Die Würde des Menschen ist unantastbar« handlungsleitend sein muss.