Vor Kurzem fragte mich ein leitender Mitarbeiter der Bundesregierung mit vorwurfsvollem Unterton, was denn der Kulturbereich gegen die Rechtsentwicklung in unserem Land gemacht hätte. Nun könnte man sagen, gerade die Bundesregierung sollte zuerst vor der eigenen Haustüre kehren, aber so einfach will ich es mir nicht machen. Offensichtlich haben wir zu wenig oder das Falsche getan, denn dass die Rechtsextremen solche Erfolge bei Wahlen einfahren können, ist ein überdeutliches Zeichen von Versagen von vielen, auch von uns.

Viele im Kulturbereich haben, wie große Teile der Wirtschaftselite auch, die Verantwortung für gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu einer Verantwortung des Einzelnen abgeschichtet. Die Leugner einer Klassengesellschaft sind gerade bei den jüngeren Kulturschaffenden in der Mehrheit. Die Auswirkungen dieser Individualisierung von Gesellschaftspolitik führt zwangsläufig zu einer Überforderung der Menschen, die als Einzelne für alle möglichen Fehlentwicklungen in Haft genommen werden: Du fliegst in den Urlaub, also bist du direkt verantwortlich für die Erderwärmung. Du erträgst die Überforderung am Arbeitsplatz nicht mehr, also bist du ein Schwächling, und nicht die Produktionsbedingungen können schuld sein. Du hast Angst vor Fremden in deinem Wohnumfeld, also bist du ein Rassist, und nicht fehlende Integrationsmaßnahmen werden verantwortlich gemacht.

Die persönliche Überforderung durch die Individualisierung von gesellschaftlichen Herausforderungen führt zu politischen Gegenbewegungen, wie dem Wählen von Rechtsextremen, die vermeintlich die einzigen sind, die dieser Überforderung durch Kampf gegen das Establishment entgegentreten.

Nun könnten die vielen Kulturorte im Lande offene Diskursräume sein, wo die notwendigen gesellschaftspolitischen Debatten breit geführt würden. Aber gerade viele dieser Orte erreichen die Breite der Bevölkerung nur unzureichend. Viele sind nicht inklusiv, sondern extrem exklusiv. Trotz allen Geredes von der Kultur für alle sind die meisten Kulturorte Tempel für Hochgebildete. Immer öfter werden zum Beispiel Kulturdiskussionen nicht mehr in Deutsch, sondern nur in Englisch, ohne Übersetzung angeboten. Mehr Arroganz der Gebildeten, gegenüber der Breite der Bevölkerung, in der mitnichten alle Englisch sprechen, kann man sich nur schwer ausdenken. Der Kulturbereich zieht sich viel zu oft in Nischen der Selbstbeschäftigung zurück. Auch hier steht oftmals die Frage, wie fühle ich mich, vor der Frage, was passiert warum in unserer Gesellschaft.

Diese Entpolitisierung des Kulturbereiches hat es den Rechtsextremen auch leicht gemacht, immer stärker zu werden. Hier können wir gegensteuern.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2024.