Dieses Jahr beginnt wild. Als in Kalifornien bisher ungesehene Feuersbrünste wüten, geht viral: »Der Klimawandel manifestiert sich als eine Reihe von Katastrophen, die wir uns auf Smartphones anschauen. Die Ereignisse kommen immer näher. Und plötzlich bist du derjenige, der filmt.«
1985 erschien »Wir amüsieren uns zu Tode« von Neil Postman. Dieses Buch kann man 40 Jahre später wirklich nur prophetisch nennen. Im Kern sagte der amerikanische Soziologe die Wahl und Wiederwahl von Trump, die Desinformation von Social Media und den Niedergang der demokratischen Diskurse präzise voraus, und das alles lange, bevor es Internet und Handys gab. Ihm reichte die Fernbedienung, um zu erklären, wie das Hin- und Herschalten nach dem Lustprinzip die Illusion nährt, alles, was uns unbequem oder nicht »entertaining« genug ist, abzuwählen, aus unserer Aufmerksamkeit zu verbannen.
Danke, dass Sie schon mal bis hierhin gelesen haben. Wenn Sie dranbleiben, verspreche ich: Dieser Text endet hoffnungsvoll. Denn ich glaube noch an die Kraft von Kultur, von Aufklärung, von Geist und Witz, von positiven Gemeinschaftserlebnissen. Und der Impuls zu diesem Artikel war ebenfalls ein positiver. John Schellnhuber wurde im Dezember 2024 der »Deutsche Kulturpolitikpreis« des Deutschen Kulturrates verliehen. Er wünschte sich von mir eine Laudatio, an deren Ende er lachend meinte: »Du hast mich überzeugt, dass ich diesen Preis wirklich zurecht bekomme!« Hans Joachim Schellnhuber war Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er trug wesentlich bei zum 1,5-Grad-Ziel, dem Pariser Klimaabkommen, zu »Laudato Si« und dem Europäischen Bauhaus der Erde.
Mit internationalen Gastkünstlern als »Artists in Residence« wurde in Potsdam der Austausch von Wissenschaft und Kunst in beide Richtungen gefördert. So entstanden Installationen, Gemälde, Multimedia-Projekte und Performances über die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen, unser Bedürfnis nach Natur, die Ambivalenzen von stromfressender Künstlicher Intelligenz. Auch Musik und Songtexte, mit denen die oft abstrakten Erkenntnisse sinnlicher und begreiflicher werden. Wir brauchen diese kreativen Perspektivwechsel bis hinein in die populären Kanäle, die Millionen Menschen erreichen, so wie der Film »Don’t Look Up!«
Die Berliner Initiative »Planet Narratives« berät Filmschaffende und Fernsehsender, wie relevante Themen in Krimis, Fernsehserien und Soaps vorkommen können. Wichtig.
Ich erinnere mich an einen Empfang im Kanzleramt. Kulturschaffende sind eingeladen, Stehrum, Small-Talk. Ich frage direkt einige der Autorinnen und Autoren mit hoher Sichtbarkeit, Auflage und Intellekt, warum es so wenig Romane, Theaterstücke, auch Komödien gibt über die größte Krise unserer Zeit, die Bedrohung unserer Lebensgrundlagen. »Da sehe ich kein dramaturgisches Potenzial.« Wie bitte? Damals war ich gerade mit Scientists for future und meiner Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen angetreten, um mit neuen, besseren Geschichten meinen Teil aus Sicht der Medizin beizutragen. Der große Hebel der Kultur ist nicht, die Programmhefte auf Recyclingpapier zu drucken, sondern einen Herzabdruck zu hinterlassen. Ein Wozu, ein Wohin. Geistige Beweglichkeit zeigt sich nicht am Meilenkonto oder Tacho. Harald Lesch elektrisierte mich mit dem Gedanken, der einfachste Weg, Emissionen zu reduzieren, sei einfach, einen Tag weniger zu arbeiten und in der gewonnenen Zeit ein gutes Buch zu lesen. Im Hier und Jetzt einfach hin und weg sein. Auch beim Singen, Lachen und Tanzen stößt man nicht mehr Treibhausgase aus, als eh aus dem Körper herausmüssen. Coldplay oder »Die Ärzte« auf dem Tempelhofer Feld in Berlin zeigten zusammen mit Cradle to Cradle, dass die Branche transformieren kann.
Im Kern sind die Krisen unserer Zeit auch spirituell. Wir verbrauchen so viel, weil wir nicht mehr wissen, was wir wirklich brauchen. Im Vaterunser heißt es: »Wie im Himmel, so auf Erden.« Alles, was wir an Tonnen Kohle und Öl aus der Erde holen und als tonnenschwere Treibhausgase über uns in die Atmosphäre verklappen, fällt uns auf die Füße. Drückt uns die Luft ab. Wir sind Täter und Opfer in einer Person, in 8 Milliarden Personen, das macht die klassische erzählerische Heldenreise etwas komplexer.
Als im Corona-Lockdown die Unterhaltungsbranche, die Konzerte, Theater und Kabarettkultur als irrelevant abgekanzelt wurden, hatte das etwas von der herablassenden Haltung von Herrschern, die ihre Hofnarren zur Belustigung mit einer Handbewegung auf- oder abtreten und bei Nichtgefallen ganz fallen lassen. Wissen wir nicht, wie wichtig für die geistige Auseinandersetzung diese dritten Orte sind, an denen frei gedacht, gelacht, gelauscht und gesponnen werden darf? Wie wichtig Musik, Kunst, Kultur für die »Seelenhygiene« sind, genauso wie Bibliotheken, Kneipen, Festivals und Clubs? Gesundheit ist auch seelische Gesundheit, und die beruht vor allem auf sozialem Austausch mit anderen, auf geistiger und räumlicher Nähe und auf gemeinsamen Erlebnissen. Wir können uns nicht selbst kitzeln und auch nicht selbst auf oder in den Arm nehmen. Dass es etwas »Show« braucht, um heilende Kräfte zu entfalten, weiß ich aus eigener Erfahrung aus meinen ersten Bühnenjahren als Zauberkünstler. Dabei denkt man oft, es ginge um »Ablenkung«. Gute Kunst lenkt aber nicht ab, sondern hin. Sie bündelt unsere Aufmerksamkeit und bringt damit etwas in uns in Schwingung, in Resonanz.
Deshalb habe ich vor zwölf Jahren meine erste Stiftung gegründet, HUMOR HILFT HEILEN – um das Humane in der Humanmedizin zu stärken, um Begegnungen zu ermöglichen, die die Kasse nicht zahlt, wo ein Krankenzimmer plötzlich mit der Kraft von Schauspiel, Improvisation und Musik zur kleinsten Bühne der Welt wird.
Seit wann ist »aktiv werden« ein Schimpfwort? Was ist das Gegenteil eines Aktivisten? Ein Passivist? Viele regte auf, wie man Mineralöl an kostbare Bilder schmieren kann. Und es ging unter: Kein Bild kam zu schaden, die waren hinter Glas. Jetzt bei den Bränden in Kalifornien kamen hunderte von Bildern zu Schaden, mit Rauchmelder und Feueralarm gesichert, nicht zu retten. Aufschrei? Nö.
Als ich in Amsterdam die Nachtwache von Rembrandt sehen wollte, war sie nicht nur hinter Panzerglas, sondern aufgehängt an einer immensen Stahlkonstruktion, die bei Feuer das Bild blitzschnell evakuieren soll. Ein jahrhundertaltes Bild ist es uns wert, Millionen zu investieren, um es für die nächsten Generationen zu bewahren. Warum ist uns ein Schmetterling, ein Kunstwerk, in das die Natur Millionen Jahre investiert hat, nicht genauso viel Schutz wert? Zerstören wir etwas Menschengemachtes, nennen wir es Vandalismus. Zerstören wir Natur, nennen wir es Preis des Fortschritts.
Schellnhuber erinnert immer wieder daran, was uns aus früheren Jahrhunderten begeistert: das Schöne! Die Bauwerke, bei denen man bis heute spürt, dass sich jemand Gedanken und Mühe gemacht hat, dafür reisen wir weit. Herzblut bleibt! Wenn im Wahlkampf darüber geredet wird, wie hässlich Windräder seien, denke ich kurz: Sind Atomkraftwerke und Kohledreckschleudern so viel schöner? Ich atme lieber neben einem Windrad. Und lebe lieber unter einem Solarpanel als neben einem AKW.
Auch die beschworene »Exzellenz« kann ihre Stimme nutzen. Im Orchester des Wandels setzen sich viele aus den Spitzenorchestern für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen ein. Kein Mensch kann sich seine eigene Außentemperatur kaufen, auch kein Privatversicherter. Musik kann Leben retten. Mein Gitarrenlehrer war Coco Schumann, der den Holocaust überlebt hat, weil er im KZ Musik spielte. Er hat in mir die Liebe zum Jazz entfacht. Und sagte in seinem letzten Interview: »Wer den Swing im Blut hat, marschiert nicht«.
Die große Verunsicherung macht empfänglich für populistische Nebelkerzen. Aber es wird nicht mehr wie früher. Erst recht nicht, wenn wir die von Vorgestern wählen. Als Correctiv aus seinen Recherchen ein Theaterstück machte, waren gleich mehrere Bubbles beleidigt: Sowohl Journalisten als auch Theaterprofis fanden das irgendwie angreifbar. Dabei ist es so wichtig, in einem Raum oder auf einer Demo zu spüren: Die schweigende Mehrheit kann den Mund aufmachen! Du bist nicht allein.
Wir brauchen positive Gemeinschaftserlebnisse, die uns daran erinnern, dass ein gutes Leben nicht automatisch an das Verballern von Kerosin und Konsum gekoppelt ist. Wir spüren doch alle in der Natur diese starke Verbindung, diese Resonanz. Und wir spüren den Schmerz, wenn die Wälder kaputtgehen, die Schmetterlinge nicht mehr flattern und es kein »Leise rieselt der Schnee« mehr gibt, weil jedes Jahr neue Temperaturrekorde gebrochen werden. Viele klassische Kompositionen beziehen sich auf intakte Natur, von der Mondscheinsonate über die Pastorale bis zu Messiaen, der Hunderte von Vogelstimmen kannte. Heute macht Dominik Eulberg Techno mit Fledermaus-Sounds. Ich habe fasziniert »Das Orchester der Natur« gelesen und stelle auch Soundbeispiele im aktuellen Programm »Musik macht glücklich und rettet die Welt« vor. Wie klingt ein Korallenriff, ein Ameisenhaufen, ein Regenwald – ohne Kettensäge. Alle diese sinnlichen Ebenen fehlten in der Diskussion bislang, weil wir über Eisbären und Atmosphärenchemie gesprochen haben, aber nicht darüber, dass wir Menschen die Natur mehr brauchen als die Natur uns. Und wir nur dann überleben, wenn wir uns als Teil dieses Netzwerkes des Lebendigen begreifen, als Bewahrer der Schöpfung, mit all unserer Kreativität.
Was ist jetzt mit dem versprochenen hoffnungsvollen Ende? Die Geschichte ist noch nicht fertig, wir schreiben sie jetzt gerade mit. Wir sind höchstwahrscheinlich die einzige Spezies auf dem Planeten, die sich im Futur zwei fragen kann: Wer möchte ich einmal gewesen sein? Wozu habe ich meine Talente, meine Netzwerke, meine Möglichkeiten genutzt? Und worauf sollen zukünftige Generationen einmal stolz sein, wenn sie sich an uns erinnern? Wie wir zu guten Vorfahren werden, das hat doch dramaturgisches Potenzial, oder? Ich wünsche uns allen jedenfalls richtig gute Antworten!