Das Interregnum ist vorbei. Nachdem seit November letzten Jahres die Ampel-Koalition auseinandergebrochen war, entstand eine längere Zeit, in der auch kulturpolitisch vieles liegen geblieben ist. Diese Phase ist nun endlich zu Ende und die kulturpolitische Arbeit im Deutschen Bundestag und in der Bundesregierung beginnt wieder.

Seit 6. Mai dieses Jahres ist Wolfram Weimer neuer Staatsminister für Kultur und Medien beim Bundeskanzler. Nachdem über 19 Jahren Abgeordnete des Deutschen Bundestags das Amt innehatten (Bernd Neumann 2005-2013, Monika Grütters 2013-2021, Claudia Roth 2021-2025), die in ihrer jeweiligen Fraktion verankert waren, ist nun wieder ein parteiloser Externer Kulturstaatsminister, der ähnlich dem ersten Kulturstaatsminister, Michael Naumann, aus der Welt des Wortes, der Medien und Bücher stammt. Wolfram Weimer hat sich, so ist zu hören, bereits seit längerem intensiv auf das Amt vorbereitet. Gut so, denn vor ihm liegen eine Reihe von Aufgaben.

 

Kulturgutschutzgesetz

Einen ersten Erfolg kann er schon verzeichnen. Dank der Vorarbeiten der Ampelregierung konnte der Entwurf des Kulturgutschutzgesetzes bereits im Deutschen Bundestag beraten werden. Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe standen die 2. und 3. Lesung auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestags, sodass fristgerecht eine EU-Richtlinie zum Kulturgutschutzgesetz umgesetzt werden kann.

Andere Vorhaben wie z. B. die noch ausstehenden Reformen beim Filmförderungsgesetz oder auch das geplante Restitutionsgesetz zur Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in privatem Besitz werden weitaus schwieriger werden. Was die Filmförderung angeht, wird ein Einvernehmen mit Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) und beim Restitutionsgesetz die Abstimmung mit Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) erforderlich sein. Der Entwurf des Rückgabegesetzes von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut aus dem Haus von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wurde von Fachleuten unterschiedlicher Positionen für nicht tauglich erachtet. Gut, dass er der Diskontinuität des Deutschen Bundestags anheimgefallen ist.

 

Erinnerungskultur

Der Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut gehört, obwohl es sich hier um eine spezielle Materie handelt, in den großen Komplex der Erinnerungskultur. Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien vereinbart, ein wissenschaftsbasiertes Konzept zur Erinnerungskultur zu erarbeiten. Dieses Konzept ist ein Desidarat der letzten Wahlperiode. Der Versuch alle »Baustellen« der Erinnerungskultur, NS-Gedenken, SED-Gedenken, Erinnerung an den Kolonialismus und Würdigung der Einwanderungsgesellschaft, in einen Topf zu werfen und hieraus ein alles umfassendes Konzept zu »kochen«, ist gescheitert. Zu unterschiedlich sind die Erwartungen, die Verantwortlichkeiten und die Handlungs- bzw. Steuerungsmöglichkeiten des BKM. Die Aufgabe wird in dieser Wahlperiode nicht geringer, denn ein Bestandteil der Erinnerungskultur, die Erinnerung an Flucht und Vertreibung in Folge des 2. Weltkriegs, wurde aus dem BKM herausgelöst. Bereits im Koalitionsvertrag sticht hervor, dass Erinnerungskultur und Kulturpflege nach § 96 Bundesvertriebenengesetz aus der Behörde des Beauftragten für Kultur und Medien (BKM) herausgelöst und in das Bundesinnenministerium zurückverlagert werden. Es war seinerzeit der erste Kulturstaatsminister Michael Naumann (1998-2000), der diesen Teil der Erinnerungskultur in das BKM eingliederte. Mit eiserner Hand und unerbittlich ließ er die bisherige Arbeit der nach § 96 Bundesvertriebenengesetz geförderten Institutionen durchleuchten, erwartete grundlegende Veränderungen, und bei einigen wurde sogar die Förderung beendet. Der Einfluss von Vertriebenenverbänden wurde zurückgedrängt. Seither hat sich viel verändert. Die Einrichtungen haben sich in den letzten Jahrzehnten neu, sehr oft europäisch aufgestellt. Auch in den Vertriebenenverbänden setzt eine neue Generation auf Verständigung und Pflege der europäischen Nachbarschaft. Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung agiert seit 2008 als unselbstständige Stiftung unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums. Im zugehörigen Dokumentationszentrum wird die Flucht- und Vertreibungsgeschichte der Deutschen eingebettet in die Geschichte der NS-Verbrechens, des 2. Weltkriegs und nach dem 2. Weltkrieg stattfindender Kriege und Vertreibungen mit dem Schwerpunkt Europa. Damit diese klare Positionierung und die Anerkennung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, auch in Mittel- und Osteuropa, erhalten bleibt, wird eine enge Abstimmung des BKM und des Bundesinnenministeriums erforderlich sein. Generell wird mit Blick auf die Erinnerungskultur die Herausforderung darin bestehen, die jeweils eigenen Bedingungen und nicht zuletzt Erzählungen der jeweiligen Gedächtnisorte zu würdigen und weiterzuentwickeln, einen »roten Faden« zu etablieren und zugleich nicht in die Arbeit der Einrichtungen einzugreifen. Die Kulturpolitik der CDU-Kulturstaatsminister zeichnete sich insbesondere dadurch aus, dass ohne große Einmischung in die inneren Angelegenheiten gefördert und sich insbesondere darauf konzentriert wurde, Haushaltsmittel bereitzustellen. Hieran wird Kulturstaatsminister Wolfram Weimer sicherlich auch gemessen werden und das vor dem Hintergrund von angekündigten Sparhaushalten.

 

Soziale Lage

Ein kulturpolitisches Dauerthema ist die wirtschaftliche und soziale Lage im Kulturbereich. Kulturstaatsministerin Roth hat bei den von ihr geförderten Vorhaben Honoraruntergrenzen eingeführt, wenn Künstlerinnen und Künstler beauftragt werden. Bislang erstrecken sich die Honoraruntergrenzen eng auf künstlerische Tätigkeiten sowie die kulturelle Bildung. Weitere Aufgabenfelder z. B. von selbstständigen Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern, Designerinnen und Designern usw. sind noch nicht erfasst. Bei der Einführung war geplant, nach einer ersten Erprobungsphase die Honoraruntergrenzen auszudehnen. Diese Wahlperiode ist eine gute Gelegenheit dazu.

Keine Zeit darf mit Blick auf die praxisnahe Schärfung der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit im Kulturbereich verloren werden. Die kulturpolitische Diskussion beschränkte sich in der letzten Wahlperiode auf die Schlussfolgerungen, die die Deutsche Rentenversicherung aus dem sogenannten Herrenberg-Urteil gezogen hat und die eine Verengung der Kriterien für selbstständige Tätigkeit zur Folge hatte. Die Abgrenzung beider Erwerbsformen ist aber nicht nur im pädagogischen Bereich, sondern vielmehr im gesamten Kultursektor relevant. Beides hat seine Berechtigung und beides wird gebraucht. Speziell für den pädagogischen Bereich besteht eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2026. Das bedeutet, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales voraussichtlich Anfang des kommenden Jahres mit der Gesetzgebung beginnen muss. Der Deutsche Kulturrat wird nach der Sommerpause seine bestehenden Stellungnahmen zu dem Thema überarbeiten.

Wichtig bleibt ferner das Thema Einbeziehung von Selbstständigen in die Rentenversicherung. Ursula von der Leyen hatte als Arbeitsministerin (2009-2013) hierzu erste gesetzgeberische Vorschläge vorgelegt, seither steht es auf der Tagesordnung und bleibt bisher stets als Desidarat der Bundesregierungen stehen. Es wird Zeit, das Thema anzugehen. Der Deutsche Kulturrat wird die kulturspezifischen Belange in die Debatten einbringen.

Mit Blick auf die Künstlersozialkasse steht die Frage auf der Tagesordnung, inwiefern Digitalunternehmen, die künstlerische und publizistische Inhalte nicht nur gelegentlich nutzen, zur Künstlersozialabgabe herangezogen werden müssen. Entsprechende Gutachten liegen vor, es geht – gerade auch mit Blick auf die Künstlersozialabgabegerechtigkeit bei den Unternehmen – nun um die Umsetzung.

 

Digitalabgabe

Kulturstaatsminister Weimer ist kurz nach Amtsantritt mit dem Vorschlag einer Digitalabgabe vorgeprescht. Ein wichtiges Thema. Gleichwohl geht es darum abzusichern, dass mögliche Einnahmen nicht einfach in den Staatssäckel fließen, sondern den Urheberinnen und Urhebern sowie sonstigen Rechteinhabern zugutekommen. Vermutlich nach der Sommerpause wird das Bundesjustizministerium die noch von der letzten Regierung beauftragte Studie zur Abgabe bei gesetzlichen Vergütungsansprüchen sowie zur Plattformökonomie veröffentlichen. Der Deutsche Kulturrat wird diese sehr genau im Fachausschuss Urheberrecht auswerten und sich hierzu positionieren. Zentral ist für den Deutschen Kulturrat der Schutz des geistigen Eigentums, und zwar sowohl mit Blick auf die Erlösmöglichkeiten der Rechtsinhaber als auch hinsichtlich des Persönlichkeitsrechts. Wir werden sehr genau beobachten, wie sich hierzu das Bundesjustizministerium, das Bundeswirtschaftsministerium, das neue Bundesdigitalministerium und der Kulturstaatsminister positionieren werden.

 

Deutsche Welle

Die Koalitionspartner CDU, CSU und SPD haben sich vorgenommen, das Deutsche Welle-Gesetz zu reformieren. Die letzte Neufassung fand im Jahr 2005 statt. Zeit also, um die bestehenden Regeln auf den Prüfstand zu stellen. Die Besonderheit der Deutschen Welle besteht darin, dass sie aus Steuermitteln finanziert wird, aber wie die anderen Rundfunkanstalten im ARD-Verbund unabhängig ist. Sie ist fest eingebunden in die ARD-Strukturen, nutzt die Synergien der Zusammenarbeit mit den anderen Rundfunkanstalten und hat durch das Sendegebiet im Ausland eine unverwechselbare Eigenständigkeit. Diese gilt es zu stärken. Die neue Intendantin, Barbara Massing, der Rundfunkrat und der Verwaltungsrat der Deutschen Welle werden den Novellierungsprozess sicherlich mit Sachverstand kritisch begleiten.

 

Haushalt

Eine wichtige Bewährungsprobe für Kulturstaatsminister Weimer werden die aktuell stattfindenden Haushaltsverhandlungen 2025 und 2026 sein. Zwar wurde mit dem milliardenschweren Investitionspaket eine Türe geöffnet, um anstehende Investitionen bei Bundeskulturbauten aus anderen Mitteln zu finanzieren, gleichwohl werden die Haushaltsprobleme damit nicht gelöst werden. Allein die Tarifsteigerungen durch den jüngsten Tarifabschluss im öffentlichen Dienst werden erhebliche Personalkostensteigerungen zur Folge haben, die die wenigsten durch den BKM geförderten Einrichtungen und Institutionen aus den vorhandenen Mitteln bestreiten können. D. h. hier werden Mittelaufwüchse erforderlich sein, allein um den bestehenden Betrieb aufrechtzuerhalten. Ganz abgesehen von neuen Aufgaben, die sich stellen.

Das Interregnum ist zu Ende. Viele Aufgaben stehen an. Der Deutsche Kulturrat wird sich mit der Expertise aus seinen 285 Mitgliedsverbänden aus allen künstlerischen Sparten und Bereichen des kulturellen Lebens einbringen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2025.