Ohne Zweifel, der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter Druck. Nicht erst seit heute. Nicht zum ersten Mal. Aber so ernst war es vermutlich noch nie. Umso erstaunlicher ist es, wie wenig es der öffentlich-rechtliche Rundfunk vermag, Freunde zu gewinnen oder zu halten.

In wenigen Monaten tritt der 3. Medienänderungsstaatsvertrag in Kraft. Als Auftrag geben die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten den öffentlich-rechtlichen Sendern mit, dass sie »in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben (haben). Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie den gesamtgesellschaftlichen Diskurs in Bund und Ländern fördern. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben die Aufgabe, ein Gesamtangebot für alle zu unterbreiten.«

In dieser Formulierung ist besonders die Aufgabe interessant, dass sie ein Gesamtangebot für »alle« bereithalten sollen. Oder anders formuliert: Sie sollen den Gartenfreund ebenso erreichen wie die Politikexpertin, den Genießer von »Schmalzfilmen« ebenso wie die Liebhaberin des Symphoniekonzerts, den Sportfan ebenso wie die Verbraucherin auf der Suche nach Tipps, die Jazzliebhaberin ebenso wie den Fan des ESC und so weiter und so fort. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll eben kein Nischenprogramm bieten, das ein spezielles, hochgebildetes Publikum adressiert und die Versorgung der breiten Bevölkerungsschichten dem privaten Rundfunk überlässt. Dies eben gerade nicht, der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss, wie in mehreren höchstrichterlichen Entscheidungen dargelegt, die Grundversorgung leisten, und der private Rundfunk tritt mit seinen Angeboten hinzu.

Im 3. Medienänderungsstaatsvertrag wird der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Blick auf die Angebote jedoch noch präzisiert. Dort steht: »Die öffentlich-rechtlichen Angebote haben der Kultur, Bildung, Information und Beratung zu dienen. Unterhaltung, die einem öffentlich-rechtlichen Profil entspricht, ist Teil des Auftrags.«

Mit Blick auf die Unterhaltung wird der Auftrag, »alle« zu erreichen, wiederum eingeschränkt bzw. der Frage unterworfen, ob »Das Traumschiff«, die Serie »Friesland« oder auch »Großstadtrevier«, um nur einige Beispiele zu nennen, nun einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechen oder nicht. Nicht einfacher wird dies durch die im 3. Medienstaatsvertrag hinterlegten Definitionen. Unter Kultur ist insbesondere Folgendes zu verstehen: Bühnenstücke, Musik, Fernsehspiele, Fernsehfilme und Hörspiele, bildende Kunst, Architektur, Philosophie und Religion, Literatur und Kino. Zur Unterhaltung gehören: Kabarett und Comedy, Filme, Serien, Shows, Talkshows, Spiele, Musik. Sowohl mit Blick auf Filme als auch auf Musik gehört also schon einiges an Spitzfindigkeit oder Genrekenntnis dazu, um die jeweiligen Werke der einen oder der anderen Kategorie zuzuordnen.

Fest steht, Kultur soll, laut den Länderchefinnen und -chefs, eine besondere Bedeutung bekommen. Man sollte meinen, die Verantwortlichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beginnen angesichts dieses Auftrags den Kultursektor zu umgarnen, wird Kultur doch an erster Stelle im Auftrag genannt.

Doch weit gefehlt. Der Interimsvorsitzende der ARD, Tom Buhrow, nahm in einer Rede beim Hamburger Überseeclub im November letzten Jahres am Kulturbereich Maß. Er philosophierte darüber, ob tatsächlich so viele Klangkörper erforderlich seien oder ob nicht ein Exzellenzorchester für alle ARD-Anstalten reichen würde. Gleichfalls brachte er die Fusion von Hörfunkwellen ins Spiel. Man konnte den Eindruck gewinnen, die Kultur sei im Auftrag an den Rand gedrängt und gerade nicht, wie geschehen, an die erste Stelle gerückt worden. Sein Nachfolger im Amt, der SWR-Intendant und aktuelle ARD-Vorsitzende Kai Gniffke, setzte gleich nach Amtsantritt nach und pries die Fusion von Klangkörpern beim SWR als Erfolgsgeschichte. Die Bildung von Zentralredaktionen beispielsweise für Hörspiele wurde ebenso ins Spiel gebracht wie die Schaffung von Kompetenzzentren beispielsweise für Jazz. Das Pfund der ARD-Anstalten ihre regionale Vielfalt und ihre Unterschiedlichkeit wird damit leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Das ZDF steht bei diesen Debatten, da es weder Klangkörper noch Hörfunkwellen unterhält, am Rand, und man kann mitunter den Eindruck gewinnen, dass es ebenso wie Deutschlandradio ganz froh ist, dass sich der Unmut aus dem Kulturbereich auf die ARD fokussiert.

Denn eines ist klar, wenn solche Einschnitte öffentlich ventiliert werden, kann und darf der Kulturbereich nicht still sein, und das gilt für alle künstlerische Sparten. Der Ausspielweg Radio ist für Musikerinnen und Musiker der unterschiedlichen musikalischen Genres unverzichtbar, das gilt für Schlager, Jazz, Pop, Rock genauso wie für die sogenannte klassische Musik. Die verschiedenen Klangkörper haben ein jeweils unverwechselbares Profil ausgebildet. Autorinnen und Autoren, Regisseurinnen und Regisseure, Schauspielerinnen und Schauspieler sowie die zahlreichen anderen an einer Film- oder Fernsehproduktion beteiligten Gewerke leben von Aufträgen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – ganz unabhängig davon, ob es sich um einen avancierten Autorenfilm oder um eine Vorabendserie handelt. In der Kultur- und Kreativwirtschaft, zu der sich die Film- und Fernsehbranche zählt, sollten solche Unterscheidungen obsolet sein. Neben den unmittelbaren Aufträgen ist für den Kulturbereich die Kulturberichterstattung gerade auch in den regionalen Programmen unverzichtbar. Einschnitte hier würden einen erheblichen Verlust an Öffentlichkeit bedeuten. Abzuwarten bleibt, ob sich diese Ausführungen in den Konzepten zur Programmgestaltung, die die Intendanten Anfang Juni den Rundfunkräten vorlegen werden, wiederfinden oder ob die Kritik aus dem Kultursektor gehört wurde. Den Rundfunkräten kommt jedenfalls eine sehr große Bedeutung zu, denn sie müssen die vorzulegenden Konzepte beraten, ihnen zustimmen und die Umsetzung fachlich begleiten. Ihre Rolle und Funktion wird durch den Medienstaatsvertrag geschärft und gestärkt.

Gerade weil der Kulturbereich so eng mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verwoben ist, wird so besonders darauf geachtet, welche Entwicklung er nimmt und welche Relevanz er der Kultur beimisst. Deshalb gehört der Kultursektor eigentlich auch zu den guten Freunden des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der bei aller Kritik im Einzelfall für das System als solches eintritt.

Solche Freunde hätte der öffentlich-rechtliche Rundfunk bitter nötig. Die für Medienpolitik Verantwortlichen attestieren ihm hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand veränderungsunwillig und beratungsresistent zu sein. Beitragserhöhungen sind in weite Ferne gerückt. Ein Zukunftsrat, besetzt mit Expertinnen und Experten, die allesamt wenig bis gar keine Rundfunkerfahrung haben, soll den Ländern Vorschläge für weitere Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unterbreiten. Dies alles sollte bei den Verantwortlichen in den öffentlich-rechtlichen Sendern alle Alarmglocken läuten und die Suche nach Bündnispartnern einleiten lassen. – Doch weit gefehlt.

Der private Rundfunk, ebenfalls unter Druck stehend, drängt darauf, dass der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunksweiter präzisiert wird, und würde am liebsten den Unterhaltungsauftrag ganz für sich reklamieren oder zumindest beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch weiter einengen. Er bekommt Schützenhilfe von der CDU und besonders der FDP. Exemplarisch konnte dies in den Anträgen beim FDP-Bundesparteitag im April dieses Jahres verfolgt werden, als plakativ gefordert wurde, Florian Silbereisen müsse nicht im öffentlich-rechtlichen Programm eine Sendung haben – diese Formate seien den privaten zu überlassen. Sicher, sie müssen am Markt überleben, der Werbemarkt ist schwierig und Netflix, Amazon, Paramount, Disney und weitere Plattformen stellen eine echte Konkurrenz für jene Sender dar, die vor allem auf US-amerikanische Lizenzware setzen. Da liegt es auf der Hand, jede Schwächung oder Infragestellung des öffentlich-rechtlichen Systems dankbar aufzunehmen.

Darüber hinaus ist der Ausspielweg Internet weiterhin umkämpft. Angesichts der Mediennutzung jüngerer Generationen ist es unausweichlich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk dort präsent ist und den Ausspielweg bzw. Mediatheken offensiv nutzt. Wer ihn ausschließlich auf einen linearen Ausspielweg festlegen will, sollte so ehrlich sein, offen zu bekennen, dass er dem öffentlich-rechtlichen System das Grab schaufelt. Beiträge werden auf Dauer nicht zu rechtfertigen sein, wenn nur noch ein kleiner Teil der Bevölkerung, nämlich die Älteren, die mit der Macht der Gewohnheit noch linear hören und sehen, das Angebot nutzt. Ein Angebot für »alle«, wie im Auftrag verlangt, kann so nicht unterbreitet werden. Nonlineare Ausspielwege, gerade bei regionalen Nachrichten oder Informationen, treten aber – und auch das lässt sich nicht leugnen – in Konkurrenz zu Presseverlagen, die gleichfalls oft mit dem Rücken zur Wand stehen und vermehrt versuchen, kostenpflichtige Onlineangebote auch in der Fläche umzusetzen. Ebenso stellt sich die Frage, ob Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf US-amerikanischen oder chinesischen Plattformen richtig platziert sind.

Angesichts der Vielzahl an Anforderungen und komplexen Gemengelagen verwundert es, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk so wenig auf die Kulturakteure zugeht. Es ist zu befürchten, dass er sich in Sicherheit wiegt und noch nicht gemerkt hat, dass er ziemlich wenig Freunde hat.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2023.