Der Leadsänger der Leipziger Band »Die Prinzen«, Sebastian Krumbiegel, spricht mit Ludwig Greven über die elitäre Verachtung von Rock und Pop, über die Gründe für den Erfolg seiner Band und warum er als ehemaliger Thomaner nie Bach interpretieren würde.

Ludwig Greven: Würden Sie mit »Die Prinzen« einen Song über Prinz Harry und sein Buch machen?

Sebastian Krumbiegel: Das Wichtigste beim Songschreiben ist, dass du eine Beziehung zu dem hast, worüber du schreibst, damit es authentisch ist. Ich habe das natürlich verfolgt. Ich bin viel in England, ich mochte die Queen und mag sogar irgendwie das Traditionelle. Aber ich bin kein Fan der Royals.

Bruderhass und Bruderliebe, Drama in einer königlichen Familie – wäre das nicht dennoch Stoff für einen guten Song? Oder für eine Persiflage?

Wenn ich darüber nachdenke – durchaus. Ich war beim Tod von Lady Di in England. Das war ja auch ein großes Drama.

Darf man über alles einen Song machen? Gibt es für Ihre Band und Sie da Grenzen?

Ich bin großer Anhänger der Kunstfreiheit. Aber natürlich gibt es Grenzen, nicht nur des Geschmacks. Es liegt sicher nicht daran, dass ich inzwischen Mitte 50 bin, dass ich z.B. viele Gangstarap-Sachen ablehne. Ich finde Provokationen wichtig und gut. Aber sie sollten nicht beleidigend sein. Was da an Homophobie und Sexismus hochkommt, ist für mich eindeutig jenseits der Grenze. Das höre ich mir nicht an, weil es meine emotionale Hygiene beschädigt.

Sie stammen aus einer extrem musikalischen Familie. Ihre Mutter war Direktorin des Bach-Museums und Tochter einer Opernsängerin; Ihre Eltern haben Sie nach Johann Sebastian Bach benannt. Ihr älterer Bruder ist ebenfalls Musiker und Chorleiter, Ihre Schwester Sängerin. Wurde Ihnen Musik in die Wiege gelegt?

Auf jeden Fall. Dass ich neun Jahre im Thomaner-Chor gesungen habe, war die beste musikalische Schule, die man haben kann, egal ob für klassische Musik oder Rock und Pop. Ich unterscheide sowieso nicht zwischen ernster Musik und der angeblich leichten Muse. Es gibt gute und schlechte Musik, es gibt ganz schlechte und schlecht gemachte klassische Musik wie auch Pop-Songs. Beatles-Songs gehören inzwischen zur Klassik. Umgekehrt hat Mozart damals Unterhaltungsmusik geschrieben, die Leute haben das auf den Straßen gesungen. Die Musik für die Fürsten war Tanzmusik. Heute wird das alles sehr elitär behandelt. Ich finde es befremdlich, dass man sagt: Wir machen richtige Musik, ihr macht nur Pop.

Schon während der Zeit als Thomaner haben Sie eine Rockband gegründet. War das eine Auflehnung gegen die mütterliche Prägung, oder mochten Sie schon immer Crossover?

Sowohl als auch. Wenn du den ganzen Tag Bach hörst und singst – ich kann das heute noch auswendig – und wirst 15 oder 16, dann willst du auch mal was anderes hören und machen. Rebellieren, anders sein zu wollen, das war ausschlaggebend am Anfang.

Es war nie eine Option für Sie, klassische Musik zu machen wie Ihre Geschwister?

Nein, nie. Ich habe Schlagzeug studiert. Meine Eltern haben mir gesagt, wenn schon, dann studiere klassisches Schlagzeug. Aber dann habe ich den Solopaukisten beim Weihnachtsoratorium von Bach gesehen, wie er am Anfang Pomm-Pomm-Pomm-Pomm-Pomm macht und zwischendurch sitzt er rum, da habe ich mir gedacht: Das ist nicht meins. Vor allem, ohne das abtun zu wollen: Klassische Musik ist immer reproduzierend. In den seltensten Fällen ist sie kreativ, dass man selbst Stücke schreibt. Man muss sich messen mit anderen Musikern. Dieses olympische Denken entspricht mir nicht. Deshalb werde ich den Teufel tun, mich an klassische Stücke ranzutrauen und Bach zu interpretieren. Ich könnte das vielleicht, aber es gibt unzählige Musiker, die das viel besser können. Doch ich weiß, ohne selbstgefällig sein zu wollen, dass niemand auf der Welt »Ich wäre so gerne Millionär« so gut interpretieren kann wie ich, weil es von mir ist. Ich freue mich über jede Cover-Version, aber ich bin das Original, ich habe es geschrieben.

Sie haben auch während Ihrer Zeit in der DDR-Volksarmee in einer Rockband gesungen. Gab es in der DDR eine eigene, spezifische Rockmusik?

Auf jeden Fall. Schon deshalb, weil die SED-Führung nicht gerne gesehen hat, dass man Englisch sang, die Sprache des Klassenfeinds. Schon die Generation vor uns wurde daher angehalten, Deutsch zu singen. Was im Westen Udo Lindenberg, »Ton Steine Scherben« und Rio Reiser waren, gab es deshalb schon ab Anfang der 1970er Jahre im Osten genauso. Da entstanden sehr kreative Bands, eine eigenständige Szene mit vielen Fans, auch Punk-, Jazz- und Rock-Bands. Die haben sich zum Teil an westlichen Gruppen ausgerichtet, aber mit eigenen deutschsprachigen Texten. Die waren oft sehr poetisch, weil man viele Dinge verklausulieren musste. Das Publikum hat sie aber verstanden. Eine Band, von der ich den Hut ziehe, ist »City«. Die machen seit 50 Jahren ihre Musik und hatten gerade kurz vor Silvester ihr letztes Konzert vor 10.000 Zuhörern. Sie hatten wie viele DDR-Bands nach der Wiedervereinigung einen Einbruch, haben es aber geschafft, bei sich zu bleiben und ihr Ding durchzuziehen. Extrem erfolgreich und künstlerisch wertvoll, textlich wie musikalisch. Die sind für mich ein Riesenvorbild. Ich mag die, wir haben auch schon Sachen zusammen gemacht.

Weshalb sind Sie als eine der wenigen Gruppen aus der ehemaligen DDR bis heute auch im Westen so populär?

Das liegt an unserer überdurchschnittlichen Schönheit und Intelligenz. Nein, im Ernst: Es gibt in jeder Generation Leute, die kreativ sind. Aber ich bin da voller Demut. Denn ich weiß, dass zu dem, was wir geschafft haben, nicht nur musikalisches Können und gute Einfälle gehören, sondern wir auch wahnsinnig viel Glück hatten. Wir waren natürlich extrem fleißig und umtriebig. Wir haben nach der Wende alle möglichen Leute und Plattenverlage mit unseren Demobändern genervt. Dann hatten wir das Glück, dass uns Leute mit Annette Humpe zusammengebracht haben, die unsere Produzentin wurde, für uns ein extrem wichtiger Schritt. Auch Udo Lindenberg hat uns unterstützt, und Rio Reiser kam im Studio vorbei. Andere hatten nicht das Glück, Leute zu treffen, die ihnen die Türen aufmachten, durch die sie hätten gehen können.

Wird bis heute im Westen unterschätzt, was es in der DDR an Kreativität gab?

Eindeutig ja. 1990 war keine gleichberechtigte Wiedervereinigung, sondern eher eine Art Übernahme. Damit das nicht falsch verstanden wird: Ich bin absolut froh, dass die Mauer gefallen ist und es die DDR nicht mehr gibt. Aber heute wird über Polikliniken und längeres gemeinsames Lernen in der Schule diskutiert. Das gab es alles im Osten schon, und auch andere Dinge, die sehr fortschrittlich waren. Ich will nicht von Siegermentalität sprechen. Aber es gab eine Häme, wir, der Kapitalismus, haben über den Kommunismus gewonnen. Jetzt habt ihr nichts mehr zu sagen. Das hat auch die Musik und Kunst getroffen. Das haben auch wir gespürt. Wir hatten allerdings das Glück, dass wir uns 1991 in »Die Prinzen« umbenannt haben. Deshalb gilt das als unser Gründungsjahr, obwohl es uns schon seit 1987 als »Herzbuben« gab.

Und wieso sind die Leipziger Herzbuben auch nach Jahrzehnten noch so erfolgreich?

Auch wir hatten nach unseren ersten großen Erfolgen einen Karriereknick. Ich hatte auch Tiefs und kleine Depressionen. Aber wir haben nie aufgegeben. Für mich war und ist immer klar: Ich werde mein Leben lang Musik machen und weiß, dass das ein Privileg ist. Ob es »Die Prinzen« so lange geben wird, weiß ich nicht. Aber dass ich irgendwann aufhöre, ist keine Option.

Ist eine weitere Erklärung für den langen Erfolg der Band, dass Sie auch eigene Wege gehen als Solomusiker und mit anderen spielen?

Das war für mich immer wichtig. Da kann ich ganz egoistisch mein eigenes Ding machen. In einer Band muss man Kompromisse eingehen. Manchmal sind die gut, manchmal nervig. Natürlich verändern wir uns alle, es wäre ja auch schlimm, wenn nicht. Und die Pandemie hat auch uns nicht gutgetan. Wir konnten uns nicht mehr treffen. Das, was uns verbindet, gemeinsam auf der Bühne zu stehen vor Publikum, gab es auf einmal nicht mehr. Das war auch bandintern schwierig. So eine Situation kann schnell zu Entfremdung führen. Wir wollten genau in dieser Zeit eine große Tour machen, die wir dann immer wieder verschieben mussten. Aber wir haben die Kurve gekriegt, und nun im März können wir endlich starten.

Sie engagieren sich an vielen Stellen sehr politisch, gegen Rassismus, für Flüchtlinge, gegen Landminen und Armut. Die Lieder der »Prinzen« sind aber ziemlich unpolitisch. Wollen Sie sich nicht wie andere Bands auch musikalisch stärker einmischen?

Das haben wir gemacht. Es gibt Songs wie »Bombe«, wo wir uns klar gegen Nazis positionieren. Auch »Schwein sein« oder »Deutschland« sind politisch. Aber das muss man jedem selbst überlassen. Wenn ich ein politisches Lied schreibe wie »Die Demokratie ist weiblich«, dann mache ich das allein. Ich respektiere, dass andere in der Band und andere Musiker sich vor allem als Entertainer sehen. Für mich ist das aber wichtig. In dem Wort Unterhaltung steckt das Wort Haltung. Würde Helene Fischer z. B. einen klaren Anti-Nazi-Song machen, würde sie genau die Leute erreichen. Aber das muss jede und jeder selbst entscheiden. Ich vermute, sie macht das nicht, weil sie sich entweder dazu nicht bemüßigt fühlt oder weil sie wie viele Musiker und ihr Management fürchtet, dass sie damit einen Teil ihres Publikums verprellen würde.

2015 haben Sie mit Xavier Naidoo zusammengearbeitet, der inzwischen völlig in die radikale Querdenkerszene abgedriftet ist, auch wenn er mittlerweile versucht hat, sich davon zu distanzieren. Würden Sie heute noch mit ihm auftreten?

Ich glaube nicht. Ich finde Cancel Culture zwar oft schwierig, aber er hat sich wirklich disqualifiziert. Er hat nicht nur Sachen gesagt, sondern auch gesungen, die politisch unmöglich sind. Ich nehme an, dass er psychische Probleme hat und deshalb angefangen hat, Unsinn zu erzählen. Ich mag nicht mit Dreck auf andere werfen. Aber bei Antisemitismus hört für mich jedes Verständnis auf. Das muss ich klar bekämpfen.

Welche Musik hören Sie selbst gerne? Auch noch immer Bach?

Natürlich. Ich höre viel klassische Musik. Bach ist Teil meiner Matrix, aber auch Mahler, Smetana, Beethoven oder Mozart – und die Beatles. Auch die sind für mich Klassiker. Wie gesagt: Ich trenne da nicht.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2023.