Wie schwierig es ist, ein Publikum zum Lachen zu bringen, weiß der Kabarettist Frank Lüdecke genau. Schon seit dem Abitur schlägt sein Herz für das Kabarett. Der Künstlerische Leiter des Berliner Kabaretttheaters »Die Stachelschweine« spricht mit Maike Karnebogen über die Rolle der Kunstform in der Unterhaltungsbranche und unserer Gesellschaft, Veränderungen in der Szene und aktuelle Themen.

Maike Karnebogen: Herr Lüdecke, bereits zu Ihrer Abiturfeier gründeten Sie ein Amateur-Kabarett – und sind seitdem dem Kabarett treu geblieben. Was macht für Sie die Faszination des Kabaretts aus?

Frank Lüdecke: Es ist die Möglichkeit, sich selbst auszudrücken und sich einzumischen in die politischen und gesellschaftlichen Diskussionen. Und dabei gleichzeitig Menschen unterhalten zu können, was eine schwierige Kunst ist – vielleicht die schwierigste auf der Bühne. Das finde ich extrem reizend und spannend.

Seit 2019 sind Sie Künstlerischer Leiter des Kabaretttheaters »Die Stachelschweine«. Als politischer Kabarettist sind Sie seit vielen Jahren auf Tournee, waren unter anderem im Berliner Kabaretttheater »Die Wühlmäuse« aktiv sowie Künstlerischer Leiter der »Distel«. Welche Rolle kommt dem Kabarett in der Unterhaltungsbranche zu?

Früher war das Kabarett auch gesellschaftliche Korrektur. Inzwischen ist das Spektrum derer, die das allgemeine Geschehen kommentieren, deutlich größer geworden. Natürlich durch das Internet und die Möglichkeit, dass immer mehr Leute auf die Bühne gehen, Bücher schreiben. Insofern ist der Einfluss des politischen Kabaretts geringer geworden. Vielleicht auch dadurch, dass im Fernsehen zunehmend mehr Comedy gezeigt wird und da die gesellschaftlichen Inhalte nicht im Vordergrund stehen. So verändern sich die Sehgewohnheiten von Jüngeren, die mit Kabarett nicht mehr so viel anfangen können. Wenn jüngere Besucherinnen und Besucher bei uns ins Theater kommen, sind sie total überrascht, wie aktuell das Kabarett ist. Für sie ist das eine Art Comedy mit Inhalt.

Wie unterhaltend ist das Kabarett?

Ich finde unser Kabarett sehr unterhaltend. Bei den Stachelschweinen haben wir eine Mischform aus politischem Kabarett und Theater in Verbindung mit Musik gefunden. Ein satirisches musikalisches Theaterstück. Das bietet viele Möglichkeiten, unterhaltende Elemente zu nutzen. Beim Kabarett kennt man oft nur, dass einer auf der Bühne steht und redet – in der Regel männliche Solisten. Wir haben aber ein Ensemble, das zusammenspielt, wie es im Theater üblich ist. Alle mit ausgebildeten Gesangsstimmen, was wir mit eigenkomponierten Stücken nutzen. Wir machen keine Nummernprogramme, sondern durchgehende Handlungen, die immer wieder aufgebrochen werden – eine eigene theatralische Form.

Wie herausfordernd ist es, Menschen zum Lachen zu bringen? Welche umfängliche Arbeit steckt dahinter?

Jeder, der Unterhaltung macht, weiß, dass das mit sehr viel Arbeit und Erfahrung verbunden ist. Man muss sich auskennen, wissen, wie eine Pointe funktioniert. Ein Programm bei uns hat Minimum ein halbes Jahr Vorbereitungszeit. Von der ersten Entwicklung über die Schreibzeit und die Zeit, in der komponiert wird. Die sechs, sieben Wochen Proben sind dann nur der Endpunkt des Ganzen. Es ist etwas anderes, als wenn man als Theater ein Theaterstück einkauft. Das ist dann da. Gut, es wird noch bearbeitet. Aber hier bei uns geht es wirklich bei null los. Wir brauchen erst mal eine Idee, was wollen wir überhaupt machen, wie wird es umgesetzt, mit welchen Figuren, wie ist die Handlung, wie sind die Wendepunkte? Das ist ein langer Prozess.

Welche Themen sind Ihnen wichtig auf die Bühne zu bringen?

Wir versuchen, nah am Puls der Zeit zu sein, Themen zu bearbeiten, die in der Diskussion sind. Obwohl ich selbst zunehmend gerne Themen mache, die schon wieder in Vergessenheit geraten sind. Es ist heute oft so, dass Themen von den Medien sehr gepusht werden, und andere verschwinden aus dem Blickwinkel, obwohl sie trotzdem wichtig sind. So, wie es früher war, dass man nur die Schlagzeilen der Politik widerspiegelt im Kabarett, das machen wir nicht. So wie sich die Politik verändert hat, so muss sich auch das politische Kabarett verändern. Man kann sich heute nicht mehr auf Politikernamen ausruhen. Das ist eine persönliche Theorie von mir: Je mehr Politikernamen in einem Kabarettprogramm vorkommen, desto schlechter ist es. Wir versuchen eher Strömungen, Richtungen, Diskussionslinien in die Programme aufzunehmen. Wir sind einen kleinen Tick subtiler, aber deswegen nicht weniger unterhaltsam.

Woher holen Sie sich die Inspiration für Ihre Programme?

Was mir auffällt, ist, dass viele Menschen nicht mehr in der Lage sind wahrzunehmen. Wenn man einen Tag durchlebt, sieht man sehr viel, nimmt viel auf. Mir fallen zunehmend Menschen auf, die nur noch aufs Handy gucken und die Umwelt gar nicht wahrnehmen. Das mache ich nicht. Ich registriere, wenn ich mit Leuten spreche. Natürlich lese ich auch Zeitung, ist ja klar. Ich gucke neuerdings auch, wie meine Kinder, übers Internet Sendungen, wenn ich Zeit habe. Ich lese auch gerne Publikationen und Zeitschriften, bei denen ich schon weiß, dass sie nicht meine Meinung repräsentieren. Das finde ich wesentlich spannender für den Schreibprozess – Dinge zu lesen, von denen ich in erster Linie nicht überzeugt bin.

Welche Themen sind im aktuellen Programm bei »Die Stachelschweine« zu sehen?

Vor der Pandemie haben wir ein Programm geschrieben, in dem eine weltweite Pandemie ausbricht. Ohne dass wir wissen konnten, dass Corona kommt. Dieses Programm haben wir dann umgeschrieben. Es ging darum, dass weltweit ein Virus ausbricht, das verursacht, dass jeder, der es bekommt, die Wahrheit sagen muss. Die Politiker versuchen, dieses Virus einzudämmen, weil sie in Sorge sind, dass alle möglichen Leute plötzlich die Wahrheit sagen könnten. Im neuesten Programm haben wir eine Situation geschaffen, in der drei Leute – ein Politiker, eine Hackerin und eine Influencerin – in einen Raum einbrechen, weil sie glauben, dass sie dort das Internet abschalten könnten. Am Ende des ersten Teils schalten sie es tatsächlich weltweit ab. Im zweiten Teil geht es um die Welt ohne Internet – was passiert?

Welche Zielgruppe spricht Ihr Programm an?

Prinzipiell ist es leider so, dass Kabarett bei den Älteren verortet wird, weil die es noch kennen. Das sehe ich auch bei unserem Publikum. Der Punkt ist aber, wenn Jüngere da sind, finden sie es total super und sagen: »Das wussten wir gar nicht, dass es das gibt.« Das Problem ist, dass Ensemble-Kabarett per se als veraltet gilt, weil man nur noch Solisten auf der Bühne hat, so wie mich. Aber eigentlich ist die Form viel besser, weil man viel mehr Möglichkeiten hat, z. B. die Aktionen der Schauspielerinnen und Schauspieler untereinander. Diese in Anführungszeichen veraltete Form neu zu interpretieren und wieder modern zu machen, das war die Idee, warum wir die Stachelschweine übernommen haben.

Wie politisch interessiert muss man sein, um Ihr Programm zu verstehen? Inwieweit muss man auch zwischen den Zeilen lesen können?

Grundsätzlich finde ich, man muss sowieso nicht alles verstehen. Wenn man in einem Kabarettprogramm alles versteht, ist es wahrscheinlich langweilig. Wenn man sich überhaupt nicht für Politik interessiert, hat man es wahrscheinlich ein bisschen schwer. Dann kann man sich aber erfreuen an den tollen Stimmen, an den witzigen Passagen und wie super die Schauspieler spielen. Aber der Kern, warum wir das gemacht haben, daran wird man sich wahrscheinlich nicht erfreuen können.

Welchen Stellenwert haben politische Unterhaltung und das Kabarett in unserer Gesellschaft?

Kabarett ist, wenn es politisch gehandhabt wird, immer noch eine Art von Gegenopposition, Gegenöffentlichkeit, die sich nicht an irgendetwas halten muss. Infolge der unglaublichen Unterhaltungskonkurrenz wird es aber zunehmend schwierig, alles so machen zu wollen und trotzdem die Zuschauer ins Theater zu bekommen. Das ist ein Spagat, den wir bisher noch gut meistern. Es gibt noch ein anderes Problem. Im Zuge dieser Cancel Culture ist hin und wieder die Vorstellung beim Publikum vorhanden, dass man bestimmte Dinge nicht sagen darf, weil man diesen oder jenen beleidigen könnte. Nun ist natürlich das Wesen der Satire Beleidigung. Bisher haben wir darauf keine Rücksicht genommen, werden wir auch nicht machen. Aber das ist eine Tendenz, die mir ein bisschen Sorge bereitet.

Es gibt große Konkurrenz und Schwierigkeiten, jüngere Menschen für das Kabarett zu gewinnen. Inwieweit hat die Coronapandemie diese Herausforderungen verstärkt?

In der Pandemie sind wir sehr unterstützt worden, sonst würde es uns nicht mehr geben. Das Problem ist, dass wir als Theater, das keine Subvention vom Staat erhält, jetzt keine Hilfen mehr bekommen, weil man sagt, die Pandemie ist vorbei. Die gesellschaftlichen Auswirkungen bestehen aber noch. Alle Theater haben weniger Publikum, wir auch. Aber wir müssen die komplette Miete und Werbung bezahlen und haben keinen subventionierten Etat, der dies ermöglicht. Andere Theater können jetzt groß in die Werbung gehen und Karten für einen oder fünf Euro anbieten. Was gut ist, aber gleichzeitig zur Folge hat, dass die, die nicht subventioniert sind, keine Zuschauer mehr bekommen. Es bestehen unterschiedliche Voraussetzungen für die einzelnen Häuser. Das finde ich ungerecht und hoffe, es wird in Zukunft politisch darüber diskutiert.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2023.