»Verstehen Sie Spaß?«, »Klein gegen groß« und der Eurovision Song Contest sind nur drei Beispiele der Unterhaltungs-Dauerbrenner im Ersten. Welche Bedeutung Unterhaltung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukommt, welche Rolle der Sendeplatz dabei spielt und wie Unterhaltungsformate in der ARD-Mediathek abschneiden, darüber sprechen die ARD-Programmdirektorin Christine Strobl und der NDR-Programmdirektor Frank Beckmann mit Maike Karnebogen.

Maike Karnebogen: Frau Strobl, als ARD-Programmdirektorin sind Sie für das ARD-Gemeinschaftsprogramm Das Erste und die ARD-Mediathek verantwortlich. Welche Rolle spielt Unterhaltung bei der Programmgestaltung für Sie?

Christine Strobl: Eine sehr wichtige, denn die Menschen wollen auch unterhalten werden. Das ist ein ganz natürliches Bedürfnis und spielt im Theater, im Kino und bei einem guten Buch eine große Rolle, aber auch, wenn wir über einen faszinierenden Film sprechen, der ein anspruchsvolles Thema behandelt. Es wird immer der Anspruch der Filmemacherinnen und -macher sein, im besten Sinne »gut« zu unterhalten. Sie wollen die Zuschauerinnen und Zuschauer mit in die Geschichte und auf die Reise nehmen. Meines Erachtens können Sie bei einem Beitrag oder einer Sendung oft gar nicht zwischen unterhaltenden und wissensvermittelnden Elementen unterscheiden. Denken Sie nur an unsere neue Wissenssendung im Ersten »ARD Wissen«. Wenn diese nicht mit unterhaltenden und möglichst anschaulichen, bildgewaltigen Beispielen zeigt, wie sicher die Energie eigentlich ist, wird diese Wissensvermittlung viele gar nicht erreichen. Oder denken Sie an »Die Carolin Kebekus Show« oder »extra3«. Hier wird Investigatives mit Comedy kombiniert, und Sie erreichen damit andere Teile der Bevölkerung als mit einem Politikmagazin. Und natürlich ist die Unterhaltung Teil unseres umfassenden öffentlich-rechtlichen Auftrags, dem wir neben Bildung, Information, Beratung und Kultur auch gerecht werden müssen. Ehrlich gesagt, glaube ich, dass es eigentlich überall in der Welt Konsens ist, dass Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad, an Unterhaltung interessiert sind, und die Unterhaltung eine wichtige Rolle spielt bei der Frage, ob ein Gesamtangebot angenommen wird. Darüber würden Sie in Frankreich, England, Spanien oder den USA gar nicht diskutieren. Schon die EU-Kommission hat 2009 im sogenannten Amsterdamer Protokoll festgestellt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur eine große Öffentlichkeit erreichen kann, wenn sein Angebot auch massentaugliche Genres wie Unterhaltung und Sport abdeckt.

Welche Bedeutung kommt Unterhaltung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu?

Strobl: Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts, Bildungsgrads, Herkunft, politischer und weltanschaulicher Orientierung zu integrieren, kann nur gelingen, wenn wir alle erreichen. Wenn wir ein Angebot für alle Bevölkerungsgruppen, Generationen und Bevölkerungsschichten schaffen wollen und damit auch zum Zusammenhalt der Gesellschaft in ihrer Vielfalt beitragen, ist entscheidend, dass sich alle Menschen angesprochen fühlen und wir alle Menschen erreichen. Dazu trägt die Unterhaltung entscheidend bei und hat deshalb eine große Bedeutung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Wieso sollte Unterhaltung nicht nur den privaten Sendern überlassen werden?

Strobl: Weil Unterhaltung zwingend zu einem attraktiven Gesamtangebot gehört und relevante Themen in der Mitte der Gesellschaft und in allen Altersgruppen verankern kann. Für uns als ARD kommt hinzu, dass die starke Verwurzelung und regionale Verankerung, die die Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort prägt, nur abgebildet wird, wenn sie auch die Unterhaltung umfasst. Denken Sie an die Abbildung von Brauchtum wie Karneval und Fasnet oder regionales Kabarett. Gerade ein Sender wie z. B. der Bayerische Rundfunk wäre ohne regionale Unterhaltung undenkbar. Unterhaltung und Barrierefreiheit haben im Übrigen auch viel miteinander zu tun. Wir haben inzwischen 98 Prozent des Angebots im Ersten untertitelt, für über 50 Prozent des Hauptabendprogramms und alle Neuproduktionen am Vorabend ist Audiodeskription verfügbar. Außerdem gibt es Gebärdensprache unter anderem für die »Sendung mit der Maus«. Viele Angebote sind außerdem in leichter Sprache verfügbar.

Frank Beckmann: Zudem würde ich Ihre Frage heutzutage etwas anders formulieren. Denn Unterhaltung bieten ja auch Plattformbetreiber wie YouTube, Netflix oder Amazon. Das sind global agierende Großkonzerne mit eigener Agenda. Ich halte es für wichtig, hier mit eigenständigen nationalen und auch europäischen Angeboten ein starkes Gegengewicht zu diesen globalen Playern zu bieten. Aber nicht nur aus solchen strategischen Gründen gehört die Unterhaltung zur DNA eines öffentlich-rechtlichen Vollprogramms. Ich bin überzeugt, dass unser Publikum ein Bedürfnis danach hat, sich gut unterhalten zu lassen –Menschen wollen nicht nur informiert werden, sie wollen lachen, weinen oder mitfiebern. Außerdem vermittelt Unterhaltung auch Werte, sie kann Kinder stark machen wie bei »Klein gegen groß« oder Wissen vermitteln wie bei »Frag doch mal die Maus«. Auch Innovationen gehören zur Unterhaltung. Die ARD-Quiz-App ist ein weltweit einzigartiges Angebot: In unseren Quizformaten bieten wir die Möglichkeit mitzuraten, was Zigtausende Zuschauende jeden Tag nutzen.

Was sind die Unterhaltungs-Dauerbrenner in Ihrem Programm?

Beckmann: Im linearen Fernsehen ist gerade im Bereich der klassischen Unterhaltungsshows der Samstagabend die Königsdisziplin. Und ich bin wirklich stolz, dass die ARD in diesem Bereich auch im zurückliegenden Jahr mit im Schnitt 4,275 Millionen Zuschauenden und einem Marktanteil von 17,2 Prozent so viele Menschen erreicht hat wie kein anderer Sender. Dieses Ergebnis verdanken wir einer guten Mischung aus attraktiven Angeboten für die gesamte Gesellschaft, übrigens auch generationenübergreifend. So habe ich mich über den gelungenen Einstand von Barbara Schöneberger bei »Verstehen Sie Spaß?« gefreut, die in der jungen Zielgruppe 15 Prozent Marktanteil erzielt. Sehr beliebt bei der jüngeren Zielgruppe ist natürlich auch »Klein gegen groß« mit Kai Pflaume. Auch die Leistung von Florian Silbereisen, der das Genre der Schlagershow für neue Zielgruppen attraktiv gemacht hat, kann man nicht hoch genug einschätzen.

Strobl: Ich darf vielleicht noch auf ein besonders markantes Beispiel für die Integrationskraft der Unterhaltung in der ganzen Bevölkerung hinweisen, den Eurovision Song Contest. Wenn Sie sehen, dass wir 2022 im Ersten 32,3 Prozent der Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer erreicht haben, bei den 14- bis 29-Jährigen sogar 64,5 Prozent, und dass allein in Deutschland ARD-weit 7,4 Millionen Menschen und fast 200 Millionen in Europa dieses Ereignis verfolgt haben, dann ist das wahrscheinlich das einzige umfassende europäische Musikereignis, das so viele Menschen zusammenführen kann.

Welche Bedeutung kommt Vorabendserien wie »In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte« oder Nachmittagssendungen wie »Sturm der Liebe« im Unterhaltungsprogramm zu?

Beckmann: Aus dem linearen Fernsehen wissen wir, dass ein verlässliches Angebot vom Publikum geschätzt wird. Deshalb erzählen wir gern auch in verlässlichen Genres – sei es in einer »Weekly« wie »In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte« oder in einer Telenovela wie »Sturm der Liebe«. Die große Kunst ist es, innerhalb dieser verlässlichen Struktur relevante und starke Geschichten zu erzählen. Ich finde, das gelingt uns immer wieder. Bei »In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte« z. B. mit einer gehörlosen Ärztin im Ensemble. Auch deshalb erreichen wir mit diesen Angeboten ein Millionenpublikum. Interessanterweise existiert der Wunsch nach dieser Verlässlichkeit auch in der Mediathek – das zeigen bis zu 500.000 Abrufe pro Folge bei diesen Formaten.

Welche Rolle spielt der Sendeplatz bei Unterhaltungsformaten?

Beckmann: Im linearen Fernsehen spielt der Sendeplatz natürlich eine Rolle – schon allein aus Jugendschutzgründen. Unser Ziel ist, mit unseren Primetime-Shows Unterhaltung für die ganze Familie zu bieten. Dafür stehen Sendungen wie »Frag doch mal die Maus«, »Verstehen Sie Spaß?« oder auch »Klein gegen groß«. Am späteren Abend können wir »spitzer« sein. In der nonlinearen Welt der Mediathek geht es naturgemäß nicht mehr um Sendeplätze, da die Inhalte 24 Stunden am Tag abrufbar sind. Wir wollen ein attraktives Mediathekenerlebnis für alle schaffen. Die besten Angebote stellen wir ins Schaufenster direkt auf unsere Startseite. Andere Inhalte empfehlen wir den Nutzerinnen und Nutzern nach ihren jeweiligen Vorlieben – mit dieser Personalisierung, die wir aktuell ausbauen, wird die Attraktivität der Mediathek nochmals zunehmen.

Wie erfolgreich sind Unterhaltungsformate in der ARD Mediathek im Vergleich zum linearen Fernsehen?

Strobl: Nicht der Vergleich zum Linearen ist entscheidend, sondern dass wir amerikanischen Großkonzernen wie Netflix und Co. nicht das Feld überlassen. Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass amerikanische Anbieter massiv das deutsche Sehverhalten beeinflussen. Unserem Auftrag entsprechend, aber auch für das deutsche und europäische Kulturverständnis ist es meines Erachtens entscheidend, dass wir in der Fiktion, aber auch in der Dokumentation unsere Geschichten erzählen können. Wenn wir mit internationalen Angeboten mithalten wollen, weiterhin alle Menschen erreichen wollen und ein europäisches Gegengewicht dazu anbieten wollen, ist dies nur mit einem starken fiktionalen und dokumentarischen Angebot in der ARD Mediathek möglich. Mit Formaten wie »Schneller als die Angst« oder »Euer Ehren« und ihren jeweils sechs Millionen Abrufen sind wir in diesem Bereich der Unterhaltung auf einem guten Weg.

Beckmann: Das Sehverhalten der Menschen ändert sich – die Bedeutung der Mediathek nimmt kontinuierlich zu, auch für unsere Unterhaltungsangebote. Das zeigt sich auch in steigenden Abrufzahlen. Die Samstagabendshow ist nach wie vor ein Lagerfeuer-Event für das lineare Fernsehen. Wir arbeiten aber daran, diese Shows verstärkt in die Mediathek zu verlängern – so wie mit dem »Wer weiß denn sowas?«-Quizmarathon, den wir größtenteils und mit Erfolg ausschließlich in der Mediathek übertragen haben. Aber natürlich braucht es für die Mediathek auch eigenständige Unterhaltungsangebote gerade für die jüngeren Zielgruppen – an denen arbeiten wir kontinuierlich. Wir sind bei der Unterhaltung für die Mediathek in einer spannenden Entwicklungsphase, probieren verschiedene Dinge aus. Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Monate, in denen wir zahlreiche Konzepte umsetzen werden.

Frau Strobl, Sie leiteten bereits die Hauptabteilung Film- und Familienprogramm des SWR in Baden-Baden und waren Geschäftsleiterin der Degeto Film GmbH. Gibt es für Sie eine Art Erfolgsrezept für gute Unterhaltung?

Strobl: Es gibt nicht das eine Erfolgsrezept für gute Unterhaltung, aber wenn es gelingt, dass wir mit unseren Geschichten berühren, dass wir Menschen zu Themen führen, mit denen sie sich vielleicht nicht beschäftigt hätten, dabei Wissen über Geschichte, gesellschaftliche Themen und Lebenswirklichkeiten vermitteln und die Menschen dabei auch noch zum Lachen oder Nachdenken bringen, dann ist das für mich immer Unterhaltung im besten Sinne.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2023.