Jede und jeder in Deutschland kennt sie – und hat bestimmt schon mal über einen ihrer Witze gelacht: Annette Frier. Sie besuchte die Kölner Schauspielschule »Der Keller« und arbeitete als Theaterschauspielerin. Ihre Fernsehkarriere begann 1997 bei RTL, seit 2000 tritt sie auch in Comedy-Serien auf. Ausgezeichnet wurde sie für den WDR-Film »Nur eine Handvoll Leben« über Menschen mit Behinderung. Seit 2018 spielt sie im ZDF eine Anwältin mit Aspergersyndrom. Ludwig Greven spricht mit der Schauspielerin und Comedian über Humor als friedfertige Waffe, über großes Theater und ihre Rollen in TV-Serien und weshalb Komödie für sie die Königsdisziplin ist.

Ludwig Greven: Sie sind Schauspielerin und Regisseurin, Sie treten in Comedy-Shows auf und sprechen Hörspiele und Hörbücher ein. Was davon machen Sie am liebsten?

Annette Frier: Ich mag immer das am liebsten, wo ich mich mit dem Stück, dem Film oder der Vorlage committen kann. Wo ich das Gefühl habe, es ist wirklich sinnvoll und notwendig, dass ich das mache oder die Rolle übernehme. Wie dicht ist das? Um welches Thema geht es, mit dem ich mich vielleicht gerade beschäftige? Wenn das alles passt, ist mir völlig wurscht, ob das am Theater ist, ob ich das Buch einer moldawischen Arthouse-Autorin einspreche, was eventuell keine Handvoll Leser finden wird, oder ich in einer Comedy-Show mitwirke. Wenn ich mit dem Projekt richtig in Verbindung gehe, bin ich glücklich.

Was liegt Ihnen denn mehr: das Ernste oder das Komische, das Unterhaltende?

Ich suche immer das Komische im Ernsten und andersherum. Das scheint eine Trüffelschwein-Aufgabe von mir geworden zu sein, ein besonderes Kennzeichen.

Sie haben eine klassische Schauspielschule besucht und an verschiedenen Theatern gespielt. Wieso haben Sie dann Rollen in Serien wie »Hinter Gittern« und in Comedy-Shows übernommen? Weil TV-Sender besser bezahlen oder weil Sie einen Hang zu Komik und Unterhaltung haben?

Das war zu meinem Berufsbeginn, und der ist immer komplex. Ich wollte mich an Theatern bewerben, aber dann bin ich in ein Casting geraten. Da habe ich mir angeschaut, was ich bei der Serie in einem halben Jahr verdienen konnte, und habe gedacht: Das ist ja geil, jetzt für ein halbes Jahr nach Berlin und dann auch noch Kohle auf dem Konto haben. Dass sich das zu einem Zusatzpraktikum in meiner Ausbildung entpuppen würde, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Bei so einer wöchentlichen Serie muss man sehr schnell funktionieren. Da habe ich den Umgang mit der Kamera gelernt und die Scheu vor ihr verloren. Ich bin bis heute dankbar, dass ich das ausprobieren konnte. Von dort bin ich weggegangen, um an einem Kölner Off-Theater zu spielen. Aber um mir das leisten zu können, musste ich mir Geld beim Fernsehen dazuverdienen. So bin ich dann zu »Switch« gekommen, meiner ersten Comedy-Serie. Dass ich schließlich meinen Traum von einer großen Theaterkarriere aufgegeben habe, lag daran, dass ich gemerkt habe, wie ich dieses Leben genieße, von Projekt zu Projekt zu springen, quer durch die Genres. Auch wenn mich bis heute das Theater anzieht, bin ich froh, dass ich so frei arbeiten kann.

Selbst wenn Ihnen eine große Bühne ein festes Engagement anböte, würden Sie ablehnen?

Das müsste schon sehr verlockend sein. Dazu kommt: Gute Schauspielerinnen zwischen 40 und 50 gibt es wie Sand am Meer. Die Kolleginnen haben sich im Festengagement ihre Sporen verdient und wenig Bock darauf, dass jetzt die Frier kommt und aus Prominenz-Gründen die guten Rollen kriegt.

Ein »Closed Shop«?

Ja, total. Um da reinzukommen, bedarf es einer genauen Kenntnis der Abläufe in diesem System. Und da habe ich irgendwann gemerkt, ich liebe zwar gutes Theater, auch als Zuschauerin. Aber ich bin nicht bereit, meine freien Arbeitskontexte aufzugeben für eine Festanstellung.

Ist es schwerer, komische Rollen zu spielen als ernste?

Das nicht. Aber es ist schon richtig, dass Komödie die Königsdisziplin ist. Wenn man ein Drama inszeniert oder spielt oder einen Krimi, kann man sehr viel über Schnitt, Rhythmus, Musik und Ästhetik gestalten und Unzulänglichkeiten wegschneiden. Eine Komödie aber, die nicht lustig ist, ist schlimm. Da steht der Kaiser nackt vorm Volk, das kann man nicht verbergen.

Von Komikern und Comedian wird oft erwartet, dass sie auch privat immerzu Witze reizen. Ist das bei Ihnen so? Oder sind Sie privat ein eher ernster Mensch?

Ich bin ehrlicherweise meist auf der Suche nach einem guten Tag. Da hat Humor natürlich einen großen Stellenwert. Es gibt nichts Schöneres als einzutauchen in Skurrilitäten. Ich laufe nicht den ganzen Tag mit ernster Miene rum und hole dann für die Bühne oder die Kamera einen guten Witz raus. Es ist ja meine Zeit. Die möchte ich mit guten Momenten und am besten gespickt mit einer Pointe verbringen. Das ist aber kein Entweder-oder. Man kann mit mir ohne weiteres gute Gespräche ohne einen einzigen Gag führen, weil es sich nicht ergibt. Worin ich schlecht bin und worauf ich zunehmend gereizt reagiere, ist Small Talk, der weder-noch ist. Wo man merkt, es geht weder um Inhalt noch um Freude. Das nervt.

Ist es in Kriegs- und Krisenzeiten, wie wir sie seit der Pandemie erleben, besonders wichtig, abschalten und auch mal herzhaft lachen zu können?

Absolut. Humor ist eine Waffe – eine friedfertige Waffe. Meistens jedenfalls. Humor kann auch missbraucht werden. Aber grundsätzlich sorgt Humor für Schmunzeln und Lachen, ein hochbiologischer Vorgang zur Entlastung. Er schafft Platz, wo es eng ist. Und wir sind meistens eng, wenn wir ins Grübeln kommen, sei es in einer persönlichen oder gesellschaftlichen Krise. Das spürt man regelrecht körperlich. Humor und Lachen weiten uns.

Uns Deutschen wird nachgesagt, dass wir gerne ernst sind. Kann man von anderen lernen, dass man auch in ernsten Zeiten Witze machen und lachen darf, sogar sollte?

Total. Es gibt wenig, wovor ich Halt mache. Ok, über den Holocaust oder Euthanasie würde ich keine Witze machen, jedenfalls nicht einfach so, ohne Kontext. Es ist allerdings ein altes Klischee, dass Engländer oder Juden immer gute Witze machen und die Deutschen daneben sitzen. Da gibt es auch viel Mittelmäßiges und Schlechtes. Was wir wenig haben, ist geschichtliches Selbstbewusstsein, was ein guter Witz ist. Deshalb trifft uns das immer wieder. Wir sollten daran arbeiten, das aufzulösen.

Geht die jüngere Generation der Comedian da unbefangener ran?

Ja, die sind nicht mehr so in der Geschichte verhaftet. Ich bin selbst keine klassische Comedienne, und ich kenne mich in der Stand-up-Szene nicht aus. Bei den jüngeren Kolleginnen und Kollegen, auch unter Schauspielern merke ich jedoch, dass die ganz anders sozialisiert sind und den deutschen Stempel der Vergangenheit, den ich noch voll aufgedrückt bekommen habe, gar nicht mehr so spüren. Außerdem hat sich eine neue Form des Miteinander-Arbeitens etabliert. Auch bei jüngeren Regisseuren und Autoren. Die setzen viel mehr auf gemeinschaftliches Inspirieren als auf die One-Man-Show, die ich noch vor 25 Jahren erlebt habe. Auch das Frauenbild hat sich total verändert. Ich musste mir das hart erkämpfen, die Generation der Schauspielerinnen vor mir noch viel mehr. Da ist zum Segen sehr viel passiert. Das empfinde ich als eine große Bereicherung.

Mit der deutschen Ernsthaftigkeit hat sicher zu tun, dass bei uns noch immer so klar getrennt wird in ernste Kunst oder Unterhaltung.

Ich musste da selbst richtig rausschlüpfen, das war ein langer Weg. Früher war mir das Feuilleton total wichtig, schon von Haus aus. Ich stamme aus einer Lehrerinnen- und Juristen-Familie. Da legte man großen Wert auf gesellschaftlichen Status, auch wenn alle immer so tun, als wäre das nicht so. Das gibt es heute noch, aber es hat nicht mehr diese Dominanz. Je mehr ich das von innen betrachten durfte, desto mehr verlor es seinen Schrecken. Etwas ist ja nicht schon deshalb wertvoll, weil es sich besonders akademisch ausdrückt. Und selbst wenn es intellektuell wertvoll ist, heißt das nicht, das es große Kunst ist. Am besten kann man das an sich selbst sehen, wie wohl man sich fühlt. Wie selbstverständlich man sich in diesen Kreisen und in der Welt bewegt. Am Anfang war da für mich eine große Kluft. Im Lauf der Jahre hat sich das verloren.

Wird man von Schauspielern und Theatern ernst genommen, wenn man auch Comedy macht?

Das hängt immer vom Gegenüber ab. Gute Leute machen sich ihr eigenes Bild und fragen sich: Kann ich diese Farbe gebrauchen auf meiner Leinwand? Dieses Schubladen-Denken ist oft ein Schutzschild. Das entspringt einer Sehnsucht nach Sicherheit: Das sind die Schauspielerinnen fürs deutsche Kino, das die fürs Fernsehen und Theater oder fürs Boulevardeske. Ich verstehe das. Aber es interessiert mich immer weniger. Meine Kinder interessiert es gar nicht. Für diese Generation spielt diese Einteilung überhaupt keine Rolle mehr. Das stirbt aus. Natürlich sind Hintergründe wichtig. Ich mag es auch, wenn ein Projekt ganz durchdrungen ist, kulturell und analytisch. Aber es ist nicht immer notwendig.

Sie haben auch in Filmen und Serien über Menschen mit Behinderung und mit Demenz mitgewirkt. Ist Ihnen das ein besonderes Anliegen?

Ich finde es wichtig, dass man eine Gesellschaft in allen ihren Bereichen abbildet. Dazu gehört Inklusion. Das ist Leben. Leben bedeutet nicht, Abschotten in seiner Gruppe. Ich kenne den Impuls selbst. Ich ziehe mich gerne mit meiner Familie oder Gleichgesinnten zurück, umso mehr, je lauter das Leben brüllt. In einem kreativen Prozess, wo ich auf Forschungsreise bin, sollte es aber immer das Gegenteil sein: Neugier. Das aufsuchen, was mir nicht bekannt ist, da zu gucken und zu fragen, wie ist dein Leben? Darin sehe ich meine Aufgabe. Die 15. Mutter mit zwei Kindern zu spielen, die zwischen Karriere und Privatleben scheitert, ist eine Möglichkeit. Aber es ist für mich viel aufregender, aus dem Becken, das man kennt, herauszuspringen in andere, fremde Gewässer.

Gibt es Rollen, die Sie noch gerne spielen würden, oder lassen Sie es auf sich zukommen?

Sowohl als auch. Ich kann mir inzwischen mehr aussuchen, was ich mache, weil ich nicht mehr von einem Projekt zum anderen springen muss. Ich kann heute selbst initiativ sein.

Sie sprechen seit 2021 den Vorspann der Sendung mit der Maus. Ist das eine besondere Ehre?

Ja! Als ich gefragt wurde, habe ich gedacht: Wow! Mein Vorgänger hat das 48 Jahre gemacht, seit der ersten Sendung. Egal, wo ich auf der Welt bin, muss ich jetzt jede Woche meine Maus-Aufgabe, ähh, Maus-Aufnahme machen, weil die Kinder das am Sonntag sehen wollen. Das ist eine große Verantwortung und noch größere Freude.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2023.