Fußballfans pflegen eine lebendige Streitkultur. Wenn im Stadion zwei Mannschaften miteinander um den Sieg ringen, dann ist das Geschehen auf dem Rasen nicht der einzige Wettstreit, der die Szenerie bestimmt. Auch auf den Tribünen, wo die Fans mit ihren Fangesängen, Fahnen, Bannern und Ultras das Spektakel Fußball mitprägen, lassen sich vielfältige Formen des Streitens beobachten. Zwar sind die für den Hooliganismus der 1980er Jahre typischen Gewaltexzesse inzwischen zurückgegangen und der ursprünglich aus Italien stammenden Fankultur der Ultras gewichen, welche Gewalt eher ins Symbolische transferiert. Dennoch wählen viele Ultragruppen einen oft martialischen Stil und pflegen eine regelrechte Beschimpfungs- und Provokationskultur. Von spontanen Pöbeleien über Sprechchöre und Fangesänge bis hin zu aufwendig gestalteten Bannern und Choreografien reichen die Insignien dieser Provokationskultur, die im Streit mit gegnerischen Fans, aber auch mit Verbänden oder der Polizei zum Einsatz kommen. Manches mutet eher spöttisch an (»Ihr werdet nie deutscher Meister!«), anderes fällt durch derb-vulgäres Vokabular (»Hurensöhne FC!«) oder auch explizite Gewaltthematisierungen auf (»Wir schmeißen Stein auf Stein auf die Elf vom Niederrhein«).

Die Gewalthaftigkeit all dieser Formen des Streitens wird in den meisten Fällen aber verlässlich eingehegt durch ihre Wechselseitigkeit und Ritualhaftigkeit. Beschimpfen und Beschimpft-Werden sind erwartbare Praxis für alle, die in der für die Ultras typischen Erlebnisorientierung an der von Rivalität geprägten Fußballfankultur im Stadion und darüber hinaus partizipieren. Die derbe Streitkultur, wie sie im Stadion besonders intensiv und emotional ausgelebt wird und die bewusst mit den bürgerlichen Umgangsnormen bricht, ist deshalb für die Fankultur als Ganzes identitätsstiftend. Sie wird daher auch leidenschaftlich gegen Reglementierungsversuche von außen verteidigt.

Ein eindrückliches Beispiel sind die lang anhaltenden Fanproteste gegen den Unternehmer Dietmar Hopp, dessen finanzielles Engagement für den Verein TSG 1899 Hoffenheim gerade von Ultras stark kritisiert wird. Als Inbegriff der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs ist Hopp wiederholt auf Bannern als »Hurensohn« geschmäht und in einem Fadenkreuz dargestellt worden, was diesen wiederum zu juristischen Schritten veranlasste, die letztlich Stadionverbote für ganze Fangruppen nach sich zogen. Die aufsehenerregenden Fanproteste gegen Hopp im Frühjahr 2020, als gleich in mehreren Stadien erneut »Hurensohn«- und Fadenkreuzbanner gezeigt wurden, waren nicht mehr nur persönliche Schmähungen Hopps. Es waren vielmehr auch fanpolitische Proteste gegen die als Kollektivstrafen wahrgenommenen Stadionverbote und den Versuch, die fantypische Beschimpfungskultur zu reglementieren.

Der Fall zeigt, dass die Streitkultur der Fußballfans häufig auch politische Ziele verfolgt. Das Verhältnis der sehr heterogenen Ultraszene zu politischen Werten der Zivilgesellschaft ist aber ambivalent. Setzen sich einige Gruppen explizit für eine zwar provokante, aber diskriminierungsfreie Streitkultur ein und beziehen Stellung gegen Rassismus und Homophobie, machen sich andere gerade solche diskriminierenden Formen für den Zweck größtmöglicher Provokation zunutze.

Die Streit- und Provokationskultur der Fans ist nicht auf den Austragungsort Fußballstadion und die Dauer des Spiels beschränkt; vielmehr findet sie auch im öffentlichen Stadtraum ihren Ausdruck. Hier markieren Ultras durch unzählige Aufkleber und Graffitis ihr Revier, machen ihre Gruppe sichtbar und definieren damit den eigenen Aktionsraum. Zugleich realisieren Ultras mit diesen Kommunikaten häufig auch im Grenzbereich des Sag- und Zeigbaren liegende Provokationen gegenüber gegnerischen Fans, Fußballverbänden und der Polizei. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn auf einem Aufkleber Slogans wie »SCHEISS ST. PAULI« und »ST. PAULI AUSROTTEN« mit gewaltverherrlichenden Bildmotiven zu einer martialisch anmutenden Gesamtbotschaft verknüpft werden oder wenn auf einem Aufkleber neben dem Slogan »ACAB«, für »All Cops Are Bastards«, ein Schwein in Polizeiuniform abgebildet ist.

Neben der Gestaltung hängt das Provokationspotenzial solcher Aufkleber auch vom konkreten Anbringungsort ab. Als besonders provokant gilt dabei das Anbringen von Ultra-Aufklebern in fremden Revieren – etwa während der Anreise zum gegnerischen Stadion. Diesen Provokationen begegnet die gegnerische Fanszene, indem sie die Sticker abreißt, verkratzt oder mit eigenen Exemplaren überschichtet. Hierbei kommen häufig auch Aufkleber zum Einsatz, die eigens für den Zweck der Revierverteidigung gestaltet wurden (»ÜBERKLEBT NUR DER VFB, DU ARSCHLOCH!«). Insbesondere an Orten wie Bahnhöfen, die regelmäßig von verschiedenen Fanlagern frequentiert werden, ist ein fortlaufendes gegenseitiges Überkleben der Ultragruppen zu beobachten. Dieses beständige Markieren und Verteidigen des Reviers zählt zweifelslos zum festen Bestandteil dieser subkulturellen Streitkultur.

Darüber hinaus umfasst das Provokationsrepertoire noch deutlich spektakulärere Praktiken, wie das Besprühen von Zügen mit großflächigen Anti-Botschaften. Diese Praktik kann mitunter vor besonders brisanten Spielen wie etwa Lokalderbys beobachtet werden. Zur Maximierung der Provokation geschieht dies vornehmlich auf Zügen, die in die verhasste Stadt fahren. So bemalten etwa Kölner Ultras nach Düsseldorf fahrende Züge schon mehrfach mit Botschaften wie »F95 Fotzen« oder »Scheiss F95«. Auch Mannheimer Ultras drückten ihre Geringschätzung des Lokalrivalen aus Kaiserslautern bereits mit einem solchen Graffiti aus: »OB ULTRA ODER HOOL KL BLEIBT SCHWUL«.

Schließlich werden Bahnhöfe regelmäßig von anreisenden Fans okkupiert und zum Schauplatz eines verbalen Wettstreits zwischen den verschiedenen Fanlagern – etwa »Hurra, Hurra, die Dresdner die sind da!« vs. »Scheiß Dynamo, Scheiß Dynamo!« –, der in seiner Lautstärke und Derbheit die Grenzen zwischen der Fankultur insgesamt und der ebenfalls anwesenden Öffentlichkeit unüberhörbar markiert.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2023.