Das Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM) gilt schon lange als ein Haus, das seine koloniale Vergangenheit nicht verschweigt, interdisziplinär arbeitet und in seinen Ausstellungen immer Brücken zur Gegenwart baut. Aber 2022 reicht das nicht mehr aus. Wie alle ethnologischen Museen und darüber hinaus ist das RJM mit dem strukturellen Problem konfrontiert, dass insbesondere nur sehr wenige Menschen mit internationalen Biografien, Menschen der Diaspora, BIPOC-Menschen es besuchen, sie kaum in der Museumsstruktur zu finden sind und noch weniger auf dem Direktorinnen- oder Direktorensessel. Oft fühlen sie sich kaum angesprochen, obwohl das Museum – das sogenannte Museum der »Kulturen der Welt« – historische Kulturgüter ihrer Vorväter und/oder Familie bewahrt. Sie fühlen sich häufig nicht nur nicht angesprochen, sondern sogar auch verletzt von solchen Museen. Für mich ist das eine Realität, die man sehr ernst nehmen sollte, insbesondere wenn wir uns vergegenwärtigen, dass 40 Prozent der Kölner Einwohnerinnen und Einwohner einen sogenannten Migrationshintergrund haben: mehr als 400.000 Menschen in der Stadt. Diese Vielfalt sollte sich nicht nur im Programm und Publikum des RJM spiegeln, sondern auch in seiner Struktur. 

Vor zwei Monaten wurde eine neue Museumsdefinition vom Internationalen Museumsrat ICOM in Prag verabschiedet, die viel umfassender geworden ist und wichtige neue Aufgaben der Museumsarbeit betont. Das ist eine echte Zäsur. Wir entdecken hier Begriffe, die vorher nicht zur Definition gehörten: Offenheit, Zugänglichkeit, Inklusion, Vielfalt, Nachhaltigkeit, ethische Verantwortung, Teilhabe von Gemeinschaften, Wissen teilen und tauschen, Sharing. Also, wie schaffen wir es, dass unser Museum diesen Wandel auch erfolgreich vollzieht? 

Für mich muss das Museum der Zukunft ein Ort sein, wo Rückgabe und Provenienzforschung als tägliche Museumsaufgabe betrachtet wird, in dem die ganze Sammlung eine zirkulierende Sammlung ist, in dem, soweit möglich, das Eigentum an Objekten übertragen ist an die Länder, an die Herkunftsgesellschaften, aus der sie stammen; ein Museum, wo Transparenz tatsächlich gelebt wird, ein Ort der Pluralen Erinnerung, ein Ort, wo man über globale Geschichte, Verflechtungsgeschichte, Kolonialgeschichte lernt und wo globale und lokale gesellschaftliche Fragen verhandelt werden. Das Museum der Zukunft ist ein demokratischer Ort, wo marginalisierte Stimmen hörbar werden und inklusive autonome Räume zur Verfügung stehen. Ein Beispiel dafür sind die »It’s your’s«-Räume der Ausstellung »RESIST! Die Kunst des Widerstands«, einer experimentellen evolutiven Ausstellung über 500 Jahre antikolonialen Widerstand im Globalen Süden, über die wir Gastkuratorinnen, Wissenschaftler, Künstlerinnen sowie Aktivisten aus dem Globalen Süden oder mit diasporischem Hintergrund eingeladen haben, autonome Räume in der Ausstellung zu kuratieren. So konnten die Besucher die Perspektive einer nigerianischen Kunsthistorikerin und Enkelin von Akenzua II, dem ehemaligen König des Königreichs Benin, auf die geraubten Benin-Kulturgüter oder die Perspektiven von zwei Herero- und Nama-Aktivistinnen auf den Genozid in Namibia kennenlernen. Es gab aber auch einen Raum, in dem die lokalen Probleme und antirassistischen Kämpfe von Menschen mit Migrationshintergrund in Köln vermittelt wurden. 

Dieses Prinzip wollen wir mit dem Ziel weiterentwickeln, im Museum dauerhaft inklusive Räume zu schaffen, in denen Menschen über sich selbst reden und ihre eigene Geschichte erzählen können. Hier geht es uns darum, plurale Erinnerung zu generieren und vor allem die Betroffenen, über die das Museum bis jetzt immer sprach, ohne sie wirklich selbst zu Wort kommen zu lassen, selber sprechen zu lassen. 

Auch sollten wir aktiv die Formen des Wissens und seiner Produktion und Weitergabe hinterfragen. Wessen Wissen wird in der Wissens- und Geschichtsproduktion im Museum ausgeschlossen? In der Ethnologie des 21. Jahrhunderts sprechen wir nicht mehr von »teilnehmender« Beobachtung in der Ethnologie, sondern von »kollaborativer« Wissensproduktion. Genau das ist es, was wir im RJM in den Ausstellungen, dem Programm und den Forschungsprojekten umsetzen möchten.  

Ein Beispiel dafür ist unser im Sommer 2022 begonnenes Projekt »Leaky Archive«. Das Projekt hat als Ziel, neue Formen von pluraler Wissensproduktion und Teilhabe von Menschen aus dem Globalen Süden durch digitale Vernetzung und Zusammenarbeit zu generieren. Wir ermöglichen digitale Zugänge zu unseren Archiven und Sammlungen in einem radikal transparenten Kontext. Wir hoffen, damit auch nichtakademische Formen von Wissen zu generieren und so die Sammlungen zu hinterfragen und auf globaler Ebene zu erschließen, damit tatsächlich neues plurales Wissen generiert werden kann. 

Das Museum der Zukunft ist für mich nicht mehr ein Ort der Konservation, sondern ein Ort der Konversation. Ein Museum des Storytellings. Erforderlich ist unbedingt die aktive und inklusive Teilhabe von Künstlerinnen, Wissenschaftlern, Geistlichen, Aktivistinnen, Mitgliedern der Diaspora, aber insbesondere auch von Nachfahren der Gesellschaften, die die Objekte der Sammlung des RJM geschaffen haben. Es sollte ein Ort werden, in dem vielschichtiges Wissen und Vorstellungen unserer Welt vereinigt werden. Ein Ort, an dem transkultureller Dialog als zweiseitig ausgerichtetes Gespräch begriffen wird. Das Museum der Zukunft sollte ein Ort sein, wo die Geschichten der Globalisierung, Begegnungen, Konfrontationen und Verflechtungen vermittelt und Themen wie Kolonialismus und seine Auswirkungen sowie Rassismus in den Fokus gesetzt werden. 

Nur wenn wir unsere Türen tatsächlich öffnen, drastisch öffnen, damit das Museum »leaky« wird, können wir die gesellschaftlichen Veränderungen aufgreifen. Das erfordert Flexibilität, diese neuen unbekannten Wege zu gehen und andere Denkweisen zuzulassen. Museen sollten Raum schaffen für Sprechen lassen und Zuhören, für Vernetzung, Zusammensein und Solidarität. Ein Ort von und für die postmigrantische Gesellschaft.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2022.