Wer – wie gerade in der Kunsthalle Hamburg – eine der großen Schauen zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich besucht, kann ihr auf vielen Bildern nachspüren: der großen Affinität des Malers zu Friedhöfen. Diese haben den berühmten Romantiker immer wieder zu einzigartigen Kunstwerken inspiriert wie »Klosterfriedhof im Schnee«, »Kügelgens Grab« oder »Der Friedhof«. Friedrich ist dabei längst nicht der Einzige, der sich durch die unvergleichliche Atmosphäre von Friedhöfen angezogen fühlte: Quer durch die Jahrhunderte haben Künstlerinnen und Künstler immer wieder diese faszinierenden Gedächtnislandschaften als Motiv gewählt, sich von den Orten inspirieren lassen oder gar Kunstwerke für diese geschaffen. Dazu gehören nicht nur Maler wie August Macke (»Friedhof von Thun«) oder Paul Klee (»Denkmal auf dem Friedhof«), sondern auch Literaten wie Johann Wolfgang von Goethe (»Totentanz«) oder Georg Trakl (»Am Friedhof«). Und nicht zuletzt sind unzählige Meisterwerke klassischer wie moderner Musik durch das kreative Verarbeiten von Trauer und Erinnerung entstanden.

Auch in der Jetztzeit haben Friedhöfe nichts von ihrer inspirierenden Qualität für Kultur- und Kreativschaffende eingebüßt – wie die stimmungsvolle Lichtinstallation »Luther’s Light« von James Turrell in der Kapelle auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte eindrucksvoll belegt. Doch obwohl Turrell zu den wichtigsten Künstlern der Gegenwart zählt, steht weltweit ein anderer deutscher Friedhof im Fokus vor allem jüngerer Menschen: der Kino- und Netflix-»Star« Südwestkirchhof Stahnsdorf mit seiner ikonischen Holzkapelle im nordischen Stil.

Berühmt gemacht hat diesen Friedhof die bislang erfolgreichste deutsche Netflix-Serie »Dark«, die rund um den Globus millionenfach gestreamt worden ist. Einer der zentralen Handlungsorte der Grimme-Preis-gekrönten TV-Produktion ist eben dieser Friedhof vor den Toren Berlins, der – verwaldet, verwildert, verwittert – dieser Mysteryserie ihr ganz besonderes Setting verleiht. Für »Dark«-Fans aus aller Welt ist vor allem die 1908-1911 errichtete Kapelle im Stil norwegischer Stabkirchen ein regelrechter Wallfahrtsort.

Doch der Besuch dieses größten evangelischen Kirchhofs Deutschlands lohnt nicht nur wegen des sehenswerten Sakralbaus: Das gesamte Areal ist eine verwunschene Naturoase, die weltweit ihresgleichen sucht. Und das liegt an der sehr besonderen Historie: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geplant, sollte hier Berlins neuer »Hauptfriedhof« entstehen. Dazu kaufte die Evangelische Landeskirche 156 Hektar zum Teil bewaldete Ackerfläche an, die 1909 als Friedhof eingeweiht wurde und eine eigene S-Bahn-Anbindung erhielt. Schnell entwickelte sich der Kirchhof zur beliebten Begräbnisstätte, auf der sich Anfang des 20. Jahrhunderts auch zahlreiche Prominente begraben ließen.

Einen unrühmlichen Push gab es durch den »Welthauptstadt Germania«-Wahn des Nazi-Architekten Albert Speer. Seinen Umbauplänen für Berlin fielen verschiedene innerstädtische Friedhöfe zum Opfer. 15.000 Grabstätten wurden nach Stahnsdorf umgesiedelt wie das des Verlegers Gustav Langenscheidt. Besonderes Zeugnis dieser Zeit legen die 120 zum Teil sehr repräsentativen Familiengrabstädten an der nördlichen Grenze des Friedhofs ab.

Im Zweiten Weltkrieg entstanden zwei bis heute sehr eindrucksvolle Grabfelder für britische und italienische Gefallene. Diese wurden auch nach der deutschen Teilung bestens gepflegt. Ansonsten aber fiel der Friedhof – durch die Mauer von West-Berlin abgeschnitten – in einen tiefen Dornröschenschlaf. Die DDR legte die Bahnstation still und sprengte 1976 das Bahngebäude.

Man ließ der Natur freien Lauf, und diese wandelte den Friedhof in eine einzigartige Oase für Flora und Fauna, in der seltene Tiere und Pflanzen geschützten Lebensraum fanden. Wege verschwanden, Grabsteine überwucherten, Denkmäler verfielen.

Der Friedhof erhielt sein wildromantisches Gesicht, das heute viele fasziniert – und darunter vor allem auch die Kreativschaffenden der nahe gelegenen Filmstudios in Babelsberg. Zu ihnen gehört beispielsweise auch Kultregisseur Julian Rosefeldt, der hier sein »Manifesto« mit Cate Blanchett drehte. Aber auch für »Babylon Berlin« gab der Kirchhof eine perfekte Kulisse ab, und regelmäßig trifft man auf Filmteams für Vorabendserien.

Nicht nur Profis greifen auf dem weitläufigen Gelände zur Kamera: Der Südwestkirchhof ist – wie viele historische Friedhöfe in Deutschland – ein beliebtes Fotomotiv von Hobbyfotografen. Sie rücken dabei besonders gerne besondere Grabmale in den Fokus – und diese sind, wie könnte es hier wohl anders sein, auch eng mit der deutschen Film- und TV-Geschichte verbunden. So fand hier Nosferatu-Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau ebenso seine letzte Ruhestätte wie Schauspiellegende Manfred Krug oder Schnellsprecher Dieter Thomas Heck.

Zu Zeiten Caspar David Friedrichs waren es Stift und Pinsel, mit denen kleine wie große Bildwerke auf Friedhöfen wie dem Südwestkirchhof Stahnsdorf entstanden. Heute sind es die verschiedenen Kameras, mit denen Amateure wie Profis dort vor allem einem Ausdruck verleihen: der inspirierenden Kraft der Friedhofskultur.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2024.