Mann und Frau haben jeweils ein Hosenbein okkupiert, sie zerren an dem Kleidungsstück und schlagen aufeinander ein, während der Haushalt derweil immer mehr in Unordnung gerät: Der »Streit um die Hose« war bis weit ins 19. Jahrhundert ein Sinnbild des Machtkampfs zwischen den Geschlechtern in der Ehe. Insofern die Hose ganz klar ein männliches Kleidungsstück darstellte und den Herrschaftsanspruch des Hausherrn symbolisierte, gab es bei dieser Auseinandersetzung von vornherein ein deutliches Machtungleichgewicht. Dass die Frau ihrem Gatten den Anspruch streitig machte, die sprichwörtlichen Hosen anzuhaben, war – gemessen am Ideal patriarchaler Ordnung – eine Anmaßung. Das Bild kann aber durchaus als Hinweis auf die vielfältigen ehelichen Konflikte gelesen werden, die auch aus früheren Jahrhunderten überliefert sind. Beide Seiten schenkten sich nichts und begegneten sich oftmals auf Augenhöhe. Dabei ging der Streit regelmäßig über bloße verbale Auseinandersetzungen hinaus und mündete in körperlicher Gewalt. Im Bild scheint es gerade die Frau zu sein, die zur Gewalt greift, wiederum ein Zeichen der Überschreitung ihrer Rolle; tatsächlich besaßen Männer damals ein – wenn auch der Idee nach begrenztes – Züchtigungsrecht gegenüber ihren Frauen und machten davon reichlich Gebrauch. Noch heute erkennen wir im Streit um die Hose ein fernes Echo einer überkommenen Hierarchie der Geschlechter, die zwar bis in die Gegenwart nachwirkt, aber inzwischen längst ihre Legitimität verloren hat.

Streiten mag eine anthropologische Konstante sein und gleichsam zur Grundausstattung menschlicher Gesellschaften gehören. Ebenso sicher aber wandeln sich, so macht der Hosenstreit klar, im Laufe der Geschichte seine Ursachen, Erscheinungsformen und Regeln. Über konkrete Streitanlässe hinaus geht es stets auch um grundsätzlichere Dinge, etwa um die soziale Positionierung der Streitparteien oder das Verhältnis von Wort und Tat. Insofern verrät die jeweilige Streitkultur einiges über den Charakter einer Epoche und kann so als eine Art Sonde dienen, um mehr über die Vergangenheit herauszufinden und die Gegenwart besser zu verstehen. Dabei müssen wir zunächst erkennen, dass unser Verständnis von »Streitkultur« selbst historisch gewachsen ist. Wenn heute eine »neue zivile Streitkultur« gemäß Tanjev Schultz beschworen wird, dann geht es dabei um ein gewaltfreies, an der Sache orientiertes Austragen von Konflikten über Interessen und Werte, es geht mit einem Wort um kultiviertes Streiten. Wer als Historiker den Formen des Streitens in früheren Jahrhunderten nachspürt, tut gut daran, ein breiteres, nicht normatives Verständnis von Streitkultur zugrunde zu legen, das alle gesellschaftlichen Manifestationen und Phänomene des Streitens erfasst. Zur Streitkultur in diesem Sinn gehört nicht nur die zivilisierte Debatte, sondern – im Extrem – eben auch die Ermordung des Streitgegners. Gewalt war mithin lange – und ist es vielfach bis heute – integraler Teil der herrschenden Streitkultur. Dabei war in Mittelalter und Früher Neuzeit die Grenze zwischen Worten und Taten nicht so strikt gezogen wie in der Gegenwart. Alle Mitglieder der vormodernen Ständegesellschaft reagierten äußerst empfindlich auf eine – wahrgenommene oder tatsächliche – Verletzung ihrer Ehre; dabei mochten sie ein Schmähwort oder eine herabsetzende Ohrfeige als gravierender empfinden als eine blutende Wunde. Sozialer Gesichtsverlust ging stets mit dem Risiko sozialer Exklusion einher. Als Idealtyp des Streits zwischen Männern in der damaligen Zeit stellen wir uns gerne das ehrenhafte Duell nach fairen Regeln vor, wie wir es aus Literatur und Filmen kennen. Die Vorstellung von der »Satisfaktionsfähigkeit« der Duellgegner zeigt sehr anschaulich, dass ein potenziell tödlicher Streit zweier Gegner zugleich soziale Anerkennung signalisieren kann, die Zugehörigkeit zu den duellberechtigten Ständen. Die Wirklichkeit sah, selbst für Männer von Stand wie Adlige, Offiziere oder Studenten, weniger romantisch aus. Meist eskalierte ein Konflikt im öffentlichen Raum, z. B. im Wirtshaus, mit dem eher wilden Austausch von Worten und Drohungen bis hin zur physischen Gewalt, wo alles zur Waffe werden konnte, was gerade zur Hand war. Heute sind gewaltsame Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum seltener geworden und gelten als Ausnahmeerscheinungen. Duelle haben dagegen Konjunktur, verstanden aber als gewaltloses Kräftemessen in der Politik oder im Sport. Dabei ist in besonderen Streitarenen Gewalt nicht vollkommen gewichen, denken wir etwa an Battle Rap oder an bestimmte Gruppen von Sportfans, meist – aber nicht immer – beschränkt auf starke Worte.

Auch der Streit mit Worten muss nicht fairen Regeln folgen – ganz im Gegenteil! Verbale Verspottung und Beschämung gehören seit den antiken Lehrbüchern eines Cicero oder Quintilian in den Werkzeugkasten der Rhetoriker. Noch die Humanisten der Renaissance pflegten intensiv die Kunst gegenseitiger Herabsetzung in einer für uns heute befremdlichen Art und Weise. Neben dem verbalen Sieg über das jeweilige Gegenüber war die »agonale Invektivität« (nach Uwe Israel) der Humanisten aber auch Kennzeichen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, deren lateinische Gelehrsamkeit die Grundlage für die Invektiven darstellte. Es waren dann die Aufklärer des 18. Jahrhunderts, die schärfer zwischen sachlicher Kritik und persönlicher Herabsetzung differenzierten und damit jene Unterscheidung trafen, die für unser Verständnis von Streitkultur maßgeblich ist. In Schmähschriften, so 1758 der Leipziger Gelehrte Johann Christoph Gottsched, werde »der gute Name eines ehrlichen Mannes angetastet«, während man in Streitschriften »um Wahrheiten und gelehrte Meinungen« ringe. Trotz dieser idealen Leitvorstellung bleibt bis heute der gelehrte oder politische Meinungsstreit nicht frei von persönlicher Herabsetzung, wie subtil oder wie grob er auch immer ausfallen mag.

Freilich liegt die Frage, ob der Streit fair oder herabsetzend ausgetragen wird, nicht zuletzt im Auge des Betrachters. Denn anders als das Bild vom Duell es nahelegt, wird ein Streit in der Regel nicht allein zwischen zwei Personen oder Parteien ausgetragen, sondern auch vor einem Publikum, das dem Streiten einen öffentlichen Charakter verleiht. Dabei handelt es sich keineswegs nur um passive Zuschauer, sondern oft um aktiv in das Geschehen einbezogene Akteure, die durch ihre Zustimmung oder Ablehnung, ihre Unterstützung oder Verweigerung den Streit beeinflussen, das Streitgeschehen anheizen oder dämpfen können. Das Modell vermag plausibel zu machen, dass sich Streiten in der Regel öffentlich vollzieht und dass dieser öffentliche Charakter zugleich auf den Streit selbst zurückwirkt. Im frühneuzeitlichen Wirtshaus bestand das Publikum aus den anwesenden Besuchern, und auch heute noch vollzieht sich der Streit vielfach zwischen körperlich Anwesenden. Mit der Schrift und später dann mit dem Buchdruck begannen neue Möglichkeiten des Streitens über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg. Die Reformation kann als erster Streit des Gutenberg-Zeitalters gesehen werden und Martin Luther als der erste Medienstar, der souverän auch die Klaviaturen der Schmähung und Herabsetzung bediente. Freilich blieb das Streiten im Medium der Schrift vorwiegend ein Privileg der wohlhabenderen und gebildeteren Stände, was nicht bedeuten musste, dass es zwischen ihnen immer wohlgesittet zuging. Die digitalen Medien der Gegenwart bilden dagegen ganz neuartige Streitarenen, wo die Rollen der Beteiligten schnell wechseln, die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre verschwimmen und momentan ganz neu ausgehandelt wird, welche Erscheinungsformen das Streiten hat und wo die Grenzen des Legitimen liegen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2023.