»›Ich möchte nicht, dass wir uns streiten.‹ Wahrscheinlich haben wir alle diesen Satz schon einmal gehört oder gesagt.« Mit diesen Worten leitet die Ausstellung »STREIT. Eine Annäherung«, die im Berliner Museum für Kommunikation konzipiert wurde und ab dem 6. Oktober im Museum für Kommunikation Frankfurt zu sehen ist, in das Thema ein. Weiter heißt es: »Streit begleitet die menschliche Kommunikation von Kindesbeinen an.«

Auch wenn die Anlässe weniger bedeutsam erscheinen, streiten Kinder oft intensiver, aber auch ehrlicher als Erwachsene. Und dennoch: »Hört auf zu streiten!« oder »Vertragt euch jetzt!« lautet meist der erzieherische Befehl. Das mentale Bild von Kindern, die sich schmollend und nur widerwillig die Hand reichen, kommt auf. Wenn die kindliche Auseinandersetzung also bereits im Keim erstickt wird, bevor die Streithähne und -hühner eventuell sogar selbst zu einer Lösung, gar einer Versöhnung kommen, verwundert es nicht, dass den meisten Menschen nachgesagt wird, nicht streiten zu können.

Wie also sollen wir gut streiten, wenn es uns als Kindern untersagt wird und wir im Erwachsenenalter Streit mehr negativ denn positiv konnotieren? Zunächst gilt es, einige klassische Regeln einzuhalten: einander ausreden lassen, gut zuhören, die Perspektive wechseln und Kritik sachlich formulieren. Streit ist normal, erlaubt, soll fair verlaufen, und alle Streitenden sollten die gleichen Rechte haben. Auch jenes, auf den Streit zu verzichten. Eine Eskalation kann so ggf. vermieden und eine Versöhnung oder zumindest ein Kompromiss erreicht werden, der das Verhältnis der Beteiligten nicht belastet.

Şeyda Kurt schreibt in ihrem Buch »HASS – Von der Macht eines widerständigen Gefühls«, dass Hass das Potenzial hat, Menschen aus ihrer Ohnmacht zu holen und sie zur Selbstermächtigung motiviert. Einen ähnlichen Effekt kann auch ein Streit, selbst im eskalativen Moment, haben. Denn die zwei eng verwandten und gleichermaßen verpönten Phänomene Hass und Streit sind mitunter auch Katalysator für mutige und progressive demokratische Bewegungen. Gesteht man nämlich den Dualitäten – Streit/Versöhnung und Hass/Liebe – eine Gleichzeitigkeit zu, können konstruktive Dynamiken entstehen. Nimmt man darüber hinaus altruistische und weniger dem Selbstzweck dienende Positionen ein, streitet also im Kontext von Solidarität, sollte eine Gesellschaft gar nicht genug vom Streiten bekommen. Was in der Theorie allerdings logisch klingt, ist in der Praxis ob der persönlichen Emotionalisierung und individuellen Biografie oft nicht einfach.

Die Annäherung an die menschliche Streitkultur – privat und öffentlich, gesellschaftlich und politisch – scheint eine gewisse Dringlichkeit zu haben. Die zeitgenössische Literatur bietet unzählige Plädoyers, Essays, Ratgeber und Kinderbücher zum Thema. Und die Kuratorinnen und Kuratoren der Ausstellung gaben im Laufe der Recherche und Konzeption auf, alle Artikel zu lesen, die der Google-Alert zum Stichwort »Streitkultur« lieferte. Es waren schlicht zu viele. Der Tenor aber war stets ähnlich: Die Fronten verhärten sich, wir haben verlernt zu streiten, so kommen wir nicht weiter, wo sind die leisen, auf Vernunft pochenden Zwischentöne geblieben? Es gilt also, das Streiten aufzuwerten, indem die Diskurse mehr mit sachlichen und fachlichen Argumenten statt mit unmittelbarer Empörung angereichert werden.

Die Ausstellung »STREIT. Eine Annäherung« will daher ihr Publikum durch die Präsentation historischer und aktueller Diskurse ins Gespräch bringen und dazu motivieren, konträre Positionen wirksam zu diskutieren. Für die Reflexion darüber, wie, wofür und worüber man streitet, bietet der Ausstellungsraum die vier großen Themenbereiche Kunst, Liebe, Macht und Geld. Die darin präsentierten Streitanlässe sind vielfältig und mitunter sehr politisch. Die Besuchenden finden aber in den meisten Fällen einen Bezug zur eigenen Realität und werden angeregt, sich auszutauschen – in unterschiedlichen Erregungsstufen.

Die Ausstellungstexte liefern die erwähnten sachlichen und fachlichen Argumente dazu. Das Verfassen der Texte und die Entscheidung darüber, welche Positionen genannt würden, glich manchmal einem Drahtseilakt. Interne Auseinandersetzungen über Formulierungen und Wortwahl waren aber gleichzeitig Garant dafür, dass die präsentierten Objekte und Themen durchaus Potenzial für Wortgefechte zwischen den Besuchenden haben würden.

Ein Berliner Straßenschild mit der Beschriftung »Nachtigalplatz« – Gustav Nachtigal war ein Wegbereiter des deutschen Kolonialismus –, das von Aktivisten mit Farbe beworfen wurde, regt beispielsweise die Debatte über die Umbenennung von Straßen an. Da auch eine Straße in unmittelbarer Umgebung des Museums neu benannt werden soll, hat die emotionale Auseinandersetzung der Nachbarschaft das Ausstellungsteam erreicht – und schließlich wurde auch darüber diskutiert, während das Straßenschild im Ausstellungsraum angebracht wurde.

Weitere Objekte, wie eine Reproduktion von Emil Noldes »Brecher«, eine Ausgabe von J. K. Rowlings »Harry Potter und der Stein der Weisen« und Kanye Wests Vinyl »Ye«, regten das Kollegium und die Besuchenden gleichermaßen dazu an, virulente Fragen zu diskutieren: Darf ich Bilder von Malern mit problematischer Vergangenheit gut finden oder Musikern zuhören, die im Privatleben zahlreiche Verfehlungen begehen? Kann ich Bücher lesen, deren Sprache oder Autoren Menschen verletzen? Die naheliegende Debatte um die sogenannte »Cancel Culture« wird von einigen Besuchenden als Phänomen der »woken« Generation Z abgetan. Die Autorin, Generation Y, möchte an dieser Stelle provokant erwidern, dass doch schon der Ikonoklasmus eine frühe Form des Cancelns war. Sie sind anderer Meinung? Lassen Sie uns gern darüber streiten.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2023.