Manchmal zieht das Leben an einem vorbei, als wäre auch nur die Hoffnung auf eine eigene kleine Ewigkeit obsolet. Man scheint im Strudel der Zeit zu versinken; mitgerissen von der Schnelligkeit unserer Gegenwart. Und doch gibt es Dinge, die auch heute noch der Vergänglichkeit trotzen. Wie die Pyramiden von Gizeh. Oder die Grabstätten im Tal der Könige. Die Graphic Novel »Hypericum« von Manuele Fior beginnt mit der weltberühmten Erschließung der Grabkammer des Tutanchamun in ebenjener sagenumwobenen Nekropole des Alten Ägypten, in der die Zeit förmlich stillzustehen scheint. Angereichert mit den Tagebucheinträgen des Entdeckers Howard Carter zeichnet Fior das historische Ereignis von 1922 in gedeckten Erdtönen und mit weichen Konturen. Diesem Ort der Ewigkeit wird dann jedoch das unbeständige Berlin der späten 1990er Jahre entgegengesetzt, in das die junge Italienerin Teresa zieht, um an einer Ausstellung über den ägyptischen Kinderpharao mitzuwirken. Und so weichen auch die organischen Formen der ägyptischen Wüstenlandschaft einem urbanen Stadtpanorama voll scharfkantigen Wolkenkratzern und blitzenden Lichtern. Für Teresa ist diese Station eine Abweichung von ihrem sonst so geradlinigen Lebensweg: Sie findet sich in einer komplizierten Liebesbeziehung mit dem Künstler Ruben und stellt konstant ihre Vorstellung von einer Zukunft infrage, die bisher immer gut sichtbar vor ihr zu liegen schien. Teresas Suche nach ihrer eigenen Ewigkeit in einer unsicheren Zeit hält Fior in teils ikonischen Bildern fest, die seine Graphic Novel zu einer melancholischen Reflexion über die Vergänglichkeit und das menschliche Empfinden machen. »Hypericum« verwebt kunstvoll und scheinbar mühelos die mystischen Grabkammern des Alten Ägyptens mit besetzten Häusern und Techno-Clubs in Berlin sowie dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York und lässt damit Fragen über das eigene Empfinden von Zeitlichkeit und unser Verständnis von Geschichte aufkommen.

Manuele Fior. Hypericum. Aus dem Italienischen von Myriam Alfano. Berlin 2023

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2023-1/2024.