Wer kennt heute noch Louise Schroeder? Mit ihr beginnt Sabine Böhne-Di Leo ihr Buch, in dem sie anschaulich über die Zeit zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Verabschiedung des Grundgesetzes im Jahr 1949 berichtet. Louise Schroeder war Kommissarische Bürgermeisterin von Berlin, als 1948 die Blockade Westberlins begann und die westlichen Alliierten mit ihrer einzigartigen, fast ein Jahr dauernden Luftbrücke Westberliner Bürger mit dem Nötigsten versorgten. Welche zentrale Rolle diese Luftbrücke für den Fortgang der deutschen Geschichte spielte, wird hier noch einmal sehr deutlich. Vor allem aber geht es um die Entstehung des Grundgesetzes, dessen 75. Jubiläum derzeit allenthalben gefeiert wird. Wir lesen von den monatelangen Diskussionen und Verhandlungen im Parlamentarischen Rat über dieses Verfassungswerk, das nicht Verfassung heißen sollte. Ziel war es vor allem, ein Regelwerk zu schaffen, mit dem eine Wiederholung der gerade zu Ende gegangenen mörderischen Diktatur unmöglich sein würde. Monatelang wurde in Bonn um Paragrafen und Begriffe gerungen – aber auch um das große Ganze: Sollte es ein Westdeutschland werden oder ein geeintes – neutrales – Deutschland? Was sollte mit Berlin passieren? Welche Macht sollte den Ländern, welche dem Bund zukommen? Wie sollte das neue Staatsgebilde heißen? Hinter allen Fragen steckten politische Ziele, aber auch Wertehaltungen. Die wenigen Frauen im Rat kämpften – schließlich mit Erfolg – um den Satz »Männer und Frauen sind gleichberechtigt«, der sich erst später auch in Gesetzen manifestierte. Viele Hintergrundinformationen, vermischt mit Anekdoten, werden anschaulich und spannend vermittelt. Große Gegenspieler in den Debatten: Konrad Adenauer von der CDU, später der erste Kanzler der Bundesrepublik, und Carlo Schmid, der Verhandlungsführer der SPD. Und Carlo Schmid war es, der im Zusammenhang mit dem Begriff der »wehrhaften Demokratie« erklärte: »Es soll sich jener nicht auf die Grundrechte berufen dürfen, der von ihnen Gebrauch machen will zum Kampf gegen die Demokratie und die freiheitliche Grundordnung.«  

Sabine Böhne-Di Leo. Die Erfindung der Bundesrepublik. Wie unser Grundgesetz entstand. Köln 2024 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2024.