Atlanta, Ende September. Hurricane Helene nähert sich der Hauptstadt von Georgia. Die Straßen sind leer, aus Angst vor der Naturgewalt bleiben alle zu Hause. Alle? Nein, eine gar nicht mal kleine Schar von Leuten tut weiter, was sie für richtig hält. Mit triefenden Regenschirmen kommen die Besucher zur Eröffnung der Modeausstellung des Deutsch-Französischen Kulturinstituts. Am nächsten Abend, Helenes Ausläufer überfluten langsam die Autobahn, geht es zur Einweihung des Begegnungshauses, das die private Joachim Herz Stiftung vor den Toren der Stadt renoviert hat. Und anderntags versammeln sich über 1.000 Mitglieder der German Studies Association (GSA) in einem Konferenzhotel in Downtown. Hurricane Helene hat inzwischen die Richtung gewechselt, und die Entschlossenheit der Professorinnen und Professoren aus den ganzen USA wird belohnt. Drei Tage lang debattieren sie – dabei sind auch Vertreter der großen Mittler DAAD und Goethe-Institut – über neue Trends in der deutschen Regionalforschung und Sprachlehre.

Das Großtreffen der Mittler und Multiplikatoren aus den gesamten USA zeigt, wie sturmerprobt die Beteiligten und ihre Organisationen sind. Die Wahlergebnisse dokumentieren aber auch, wie dringlich deren Arbeit ist. Wir müssen auch jenseits der Küstenmetropolen bis in die Tiefe des Landes mit allen gesellschaftlichen Gruppen ins Gespräch kommen, um den Anschluss an die aktuellen Veränderungen zu halten.

Die Präsenz und Arbeit der deutschen Mittler und ihrer Partner können sich durchaus sehen lassen – nicht nur in Amerika. Eine Studie der Hertie School von diesem Jahr stellt fest, dass Deutschland nach China weltweit die zweitgrößte Summe Geldes für Kunst, Wissenschaft, Sprache, Bildung und Medien im Interesse seiner Soft Power aufwendet – vor allen westlichen Partnern, aber auch vor Russland, der Türkei und anderen. Im Etat des Auswärtigen Amts sind davon – auch nach den jüngsten Kürzungen – knapp eine Milliarde Euro vorgesehen, der größte Einzelposten darunter für die Deutschen Auslands- und Partnerschulen, gefolgt von Goethe-Institut, Deutschem Akademischen Auslandsdienst (DAAD), Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH), dem Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI), dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) und anderen.

Welchem Zweck dient es, ein so globales Netzwerk zu unterhalten? Gemeinhin wird diese Arbeit mit der unhandlichen Chiffre »Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik« versehen. Um Sinn, Breite und Zielrichtung unserer Arbeit besser zu beschreiben, empfiehlt sich eher der Begriff der Gesellschaftsaußenpolitik.

Erstens, weil dieser Begriff deutlich macht, dass es sich um Außenpolitik handelt und nicht um Kulturpolitik, wie wir sie aus dem Inland kennen. Das Auswärtige Amt und seine Mittler betreiben keine Förderung von Kultur im Ausland, sondern Außenpolitik mit Mitteln aus Kultur, Wissenschaft, Bildung usw.

Zweitens versucht die Gesellschaftsaußenpolitik breiter auszugreifen und tiefer zu bohren, als es die herkömmliche Chiffre »Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik« nahelegt. Es geht darum, eine Kommunikation mit möglichst vielen Akteuren und Multiplikatoren anderer Gesellschaften zu erzeugen, um verbindliche Beziehungen zu etablieren. Ziel ist es, über die gewohnten Milieus hinaus auch solche Teile anderer Gesellschaften zu erreichen, die uns bisher nicht zugewandt waren – das Beispiel USA zeigt, dass Veränderungen sonst nicht zu verstehen sind. Gesellschaftsaußenpolitik setzt dafür ihre spezifischen Mittel ein: unter anderem den Unterricht der deutschen Sprache, die Zusammenarbeit bei der künstlerischen Schöpfung, den Austausch von Studentinnen und Wissenschaftlern oder den Erwerb von deutschen Abschlüssen, die zur Arbeit in Deutschland befähigen. Auch die Botschaften fügen sich mit ihrer Public Diplomacy in diesen Ansatz ein, der versucht, Deutschland auf glaubwürdige Weise erfahrbar zu machen.

Als integraler Bestandteil von Außenpolitik richtet Gesellschaftsaußenpolitik ihre Instrumente weniger auf Regierungen und Diplomatie, sondern auf Menschen, auf Gruppen und Gesellschaften. Austausch zu organisieren nützt nicht nur unserem Interesse, internationale Wissenschaftlerinnen und Studenten an unsere Universitäten zu holen, Fachkräfte anzuziehen oder unser Verständnis von Kunstfreiheit zu illustrieren, sondern leistet mehr: Gesellschaftsaußenpolitik dient der Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft unseres Landes. Nach dem Fall der Mauer schien dies keine besonders dringende Aufgabe mehr zu sein. Deutschland war in vielen Indizes eines der beliebtesten Länder der Welt, seine Kraft und Kompetenz wurden geschätzt und respektiert. Auch Demokratie, Marktwirtschaft und der Anspruch universeller Menschenrechte schienen sich durchzusetzen. Manche träumten, die Welt nähere sich unserem (westlichen) Bild von ihr.

Aus diesem Traum sind auch die Letzten aufgewacht, als in der Nacht des 24. Februar russische Truppen die Ukraine überfielen. Was der Bundeskanzler kurz darauf die »Zeitenwende« nannte, markiert eine neue, schwierige Phase der Anpassung an grimmige Realitäten: Die Infragestellung völkerrechtlicher Normen, das Entstehen einer multipolaren Ordnung, der Zulauf zu populistischen Parteien, der weltweite Schwund an Demokratien und eine durch Fake News geprägte Informationslandschaft. In diesem Wettbewerb um Deutungshoheit müssen wir unser Land, unsere Werte und unser Handeln besser erklären. Das Unverständnis Vieler über unsere Solidarität mit Israel seit dem Terrorangriff der Hamas hat diese Erklärungsnot vergrößert.

Wie die deutsche Gesellschaftsaußenpolitik mit der Zeitenwende umgeht, zeigt beispielhaft der Reformprozess des Goethe-Instituts, den das Auswärtige Amt und der Bundestag seit 2023 unterstützen. Unser gemeinsames Ziel war dabei, die Handlungsfähigkeit des Instituts in Zeiten rückläufiger Mittel zu sichern. Durch die Stärkung der Spracharbeit werden Menschen unterstützt, die als Fachkräfte in Deutschland hochwillkommen sind. Dank der Schließung und Zusammenlegung von Liegenschaften in Ländern, in denen das Goethe-Institut bereits stark vertreten war, werden neue Präsenzen an Standorten ermöglicht, die uns besonders wichtig sind: etwa im Südkaukasus, Polen, der Republik Moldau, der Ukraine, im Herzen der USA und der Pazifikregion.

Klar ist, dass trotz aller Veränderungen einige Prinzipien unverrückbar sind: Zwar sind die Mittler abhängig von öffentlichen Mitteln, aber sie arbeiten im Auftrag des Bundes eigenständig und eigenverantwortlich. Dies ist Ausdruck dessen, wie wir unser Land auf der Welt verstanden wissen wollen: als freiheitliche Gesellschaft, deren Akteure eigenverantwortlich im Interesse einer gemeinsamen Sache arbeiten.

In diesem Verständnis von Gesellschaftsaußenpolitik kommt es darauf an, ein umfassendes Verständnis von Kommunikation zu entwickeln. Nicht nur das Reden zählt dazu, auch das Handeln. Nicht nur das Erklären, sondern auch das Fragen und Zuhören. Denn nur wer versteht, kann sich auch verständlich machen. Nur ein glaubwürdiges und zeitgemäßes Deutschlandbild weckt Interesse: an der deutschen Sprache, an Ausbildung und Arbeit hierzulande. Unsere Mittler und Partner sind in diesem Sinne ein Netzwerk von Seismografen, die Deutschland (und das Auswärtige Amt) mit Informationen darüber versorgen, wie wir gesehen und verstanden werden.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2024-1/2025