Ein kleiner Weinort in Rheinland-Pfalz, Deidesheim, bekannt für erstklassigen Riesling und pikanten Saumagen, wurde im Jahr 2023 zum Synonym für die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Im idyllisch gelegenen Flecken an der deutschen Weinstraße traf sich die Rundfunkkommission der Länder zu einer Klausurtagung. Erstmals wieder seit 2017. Die Medienpolitik stand unter großem öffentlichem Druck, auf die Misswirtschaft und Beitragsverschwendung im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) schnell zu reagieren und grundsätzliche Reformen zu beschließen. Der Aktionsplan, der in Deidesheim sanktioniert wurde, enthielt wichtige Zielmarken für einen schlankeren, effizienter arbeitenden, besser wirtschaftenden und schneller auf die digitale Transformation reagierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk. »Er wird nur dann seinem Auftrag auch in der Zukunft gerecht werden können, wenn die Bürgerinnen und Bürgern Vertrauen in seine Struktur und Inhalte haben«, heißt es in dem Beschluss. »Die Rundfunkkommission ist der Auffassung, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk verlässliche und faktenbasierte Inhalte unabhängig vom Verbreitungsweg den Bürgerinnen und Bürger bereitstellen muss. Nur attraktive, plurale und qualitativ hochwertige Inhalte sind geeignet, die Akzeptanz der Angebote und damit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt zu stärken.« Diese Strukturreform sollte zudem den Rundfunkbeitrag über 2024 hinaus stabil halten und ein Desaster wie 2020, als der Landtag von Sachsen-Anhalt eine Beitragserhöhung ablehnte, ausschließen. Der Umbau des öffentlich-rechtlichen Systems wurde damit zum wichtigsten medienpolitischen Thema des Jahres 2023.

Zu den spektakulären Entscheidungen der Klausurtagung zählte die Berufung eines Zukunftsrates, der am 9. März seine Arbeit aufnahm. Er sollte, so hieß es in der Pressemeldung der Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz, »bis zum Herbst Empfehlungen für die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seine Nutzung und Akzeptanz erarbeiten«.

Eine Reduzierung von ARD-Anstalten oder ein Zusammenschluss von ARD und ZDF standen allerdings nicht auf der Agenda. Eine Plattform für die Inhalte von ARD und ZDF hatten die Länder im Januar als wichtigste Perspektive für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk definiert. Als zweites Ziel hatte die Rundfunkkommission eine Erweiterung der regionalen Berichterstattung, die die föderale Vielfalt Deutschlands widerspiegeln soll, definiert. Eine dritte Überlegung sieht vor, die bestehenden Anstalten zu verschlanken, indem Doppelstrukturen beseitigt und Kooperationen vorgeschrieben werden. Um das zu erreichen, brachte der Beschluss Kompetenzzentren und Shared-Service-Center ins Spiel, wurden eine Überprüfung der Leitungsstrukturen sowie angemessene Gehaltsstrukturen im außer- und übertariflichen Bereich angekündigt.

Für Nathanael Liminski, Chef der Staatskanzlei in NRW, war klar, dass die Sender kurzfristig einen wesentlichen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit des Systems leisten müssten. Die Rundfunkkommission habe eindeutige Erwartungen an alle Anstalten formuliert, die angestoßenen Reformprozesse zu intensivieren. Die Länder hätten aber auch deutlich gemacht, dass sie die gesetzlichen Rahmenbedingungen mittelfristig noch in diesem Jahr fortentwickeln –für mehr Zusammenarbeit und eine effizientere Organisation des Gesamtsystems.

Alles in allem wünschen sich die Länder innerhalb von zehn Jahren einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den bisherigen Senderstrukturen, der seine Angebote, die regional ausgebaut werden, weitgehend online, über eine Plattform verbreitet. Durch Kompetenzbündelung und eine damit verbundene Reduktion von Arbeitsebenen und Abteilungen soll Personal abgebaut und zusammen mit einer »Anpassung« der Personalkosten der Rundfunkbeitrag langfristig zumindest gleich bleiben, nach Möglichkeit aber sinken. Der Auftrag soll aber nicht reduziert werden. Das alles will man sich durch einen »Zukunftsrat« sanktionieren und mit konkreten Schritten untersetzen lassen, dem man anscheinend auch Veränderungskonzepte überlassen möchte, die für die Anstalten schmerzhaft wären.

Angestoßen durch den Deidesheimer Aktionismus unterbreiteten die ARD-Intendanten im Verlauf des Jahres mehrere Reformüberlegungen beispielsweise für gemeinsame Redaktionen oder Programme und die Bündelung von Ressourcen. Vom ZDF kam dagegen nichts. Der Mainzer Sender war der Meinung, dass einzig und allein die ARD in einer Krise stecke, nicht aber das öffentlich-rechtliche System als Ganzes.

Zehn Monate nach dem Pfälzer »Ruck«-Beschluss fällt die Bilanz nüchtern aus: Es wird bis Ende des Jahres keinen Entwurf eines Reformpapiers der Länder mit greifbaren Schritten geben, und der Zukunftsrat wird seine Empfehlungen erst Mitte Januar vorlegen. Die Pläne der ARD für mehr Kooperation und Zusammenarbeit sind äußerst vage in Bezug auf den Zeitrahmen und den konkreten Nutzen. Die Rundfunkreferenten in den Staats- und Senatskanzleien haben zwar inzwischen substanzielle Vorschläge für wesentliche Änderungen erarbeitet, doch über diese müssen sich die für Medienpolitik in den Ländern Verantwortlichen noch einigen. Für Januar 2024 ist eine weitere Klausurtagung anberaumt. Dann sollen die Ratschläge der acht »Zukunftsastrologen« mit den Überlegungen der Länder im Entwurf eines Medienstaatsvertrages zusammengeführt werden. Diese Novelle könnte frühestens im März, wahrscheinlich jedoch erst im Juni nächsten Jahres vorliegen. Der medienpolitische ICE hat sich wieder in einen Regionalzug verwandelt, und der dringend notwendige Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird auch im nächsten Jahr zu den medienpolitischen Prioritäten gehören.

Weitere wichtige medienpolitische Themen 2023 sind:

Empfehlung der KEF für den Rundfunkbeitrag 2025-2028

Geht es nach der Beitragskommission KEF, wird der Rundfunkbeitrag ab 1. Januar 2025 um 58 Cent auf 18,94 steigen. Die Kommission hat dabei die Bedarfsanmeldung von ARD, ZDF und Deutschlandradio berücksichtigt. Dazu kommen medienspezifische Teuerungen sowie der BIP-Index, der alle im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen berücksichtigt. Diese Zahl liegt bei zwei bis vier Prozent Steigerung. Davon zieht die KEF die möglichen Rationalisierungseffekte und Einsparungen bei Personalkosten ab und berechnet die Kostensteigerung über einen Zeitraum von vier Jahren. Auch die Beitragsrücklagen der Anstalten sowie eine Sonderauswertung der Immobilien, die die Kommission vornahm, wirkten sich aus. Alles in allem bleibt so eine Erhöhung von 58 Cent, um den Bedarf für die Auftragserfüllung abzusichern. Das ist laut Bundesverfassungsgericht die Aufgabe der KEF. Die Länder hoffen, durch eine Änderung des Medienstaatsvertrages, Reformvorschläge der Anstalten und Überlegungen des Zukunftsrates eine Erhöhung noch abwenden zu können.

Novellierung des rbb-Staatsvertrages

Die Regierungschefs von Brandenburg und Berlin, Dietmar Woidke und Kai Wegner, haben Ende November den novellierten rbb-Staatsvertrag unterzeichnet. Das Berliner Abgeordnetenhaus und der Brandenburger Landtag können das Gesetz nur als Ganzes annehmen oder ablehnen. Ziel beider Landesregierungen ist es, den Vertrag Anfang nächsten Jahres in Kraft treten zu lassen. Die Rechnungshöfe aus Berlin und Brandenburg, deren Empfehlungen sich zu großen Teilen in der Novelle wiederfinden, bezeichneten den Staatsvertragsentwurf als »bahnbrechende Entwicklung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk« und als »Muster für weitere Novellierungen von Mediengesetzen für ARD-Anstalten«. Die Reformagenda sieht beim rbb unter anderem eine größere Transparenz, bessere Kontrolle, stärkere Verantwortung der Intendantin, der Direktoren und Gremienmitglieder sowie eine relevantere regionale Berichterstattung vor. Nach Auffassung beider Landesregierungen verstößt der jetzige Gesetzesvorschlag nicht gegen das grundrechtlich verbriefte Recht der Programmhoheit der Anstalt sowie der Staatsferne, wie vom rbb behauptet worden sei.

Künftig wird die Tätigkeit beider Aufsichtsgremien professionalisiert, und die Anforderungen an die Kompetenz der Gremienmitglieder steigen. Die außertarifliche Vergütung wird gedeckelt. Die Intendantenbezüge sollen 200.000 Euro nicht wesentlich übersteigen. Das entspricht einem Senatoren- oder Ministergehalt.

Information der EU-Kommission durch den BDZV über Verstoß des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegen Beihilfekompromiss

In einem Schriftsatz an die EU-Kommission hat der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) seine Bedenken gegen die Einhaltung des sogenannten Beihilfekompromisses von 2007 durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgetragen. Nach Auffassung des BDZV liegt ein Beihilfemissbrauch im Zusammenhang mit der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor. So würden die öffentlich-rechtlichen Anstalten in zwei wesentlichen Punkten gegen die Brüsseler Vorgaben verstoßen. Zum einen sei der öffentliche Auftrag der Rundfunkanstalten nicht klar genug definiert, insbesondere im Bereich der Telemedienkonzepte. Das führe zu einer enormen Menge von beihilfefinanzierten Online-Inhalten der Rundfunkanstalten, die direkt mit den Presseaktivitäten der BDZV-Mitglieder im Wettbewerb stünden. Zum anderen bestünde ein Aufsichts- und Kontrolldefizit. All dies widerspreche dem Kompromiss aus dem Jahr 2007, in welchem die Europäische Kommission Zusagen in Bezug auf die Ausgestaltung der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland akzeptiert habe.

Zustellförderung für Zeitungsverlage

Die Bundesregierung wird im kommenden Jahr keine Mittel für eine Zustellförderung bei Zeitungen bereitstellen. Entgegen der Versicherung aus der Ampelkoalition sind im Haushalt für 2024 keine Mittel für die Presseförderung vorgesehen. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger kritisierte das Ausbleiben der Förderung: »Wir fragen uns, wie glaubwürdig die Regierung eigentlich noch ist«, sagte der BDZV-Vorstandsvorsitzende Stefan Hilscher. Der Verband sei »die Schaufensterreden leid«. Hilscher erinnerte daran, dass bereits die vorherige Bundesregierung dem BDZV Unterstützung zugesichert habe. Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP versprochen, Fördermöglichkeiten zu prüfen, um eine »flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen« zu gewährleisten. In der vergangenen Legislaturperiode war eine vom Wirtschaftsministerium geplante Presseförderung in Höhe von 220 Millionen Euro gescheitert.

Werbeverbot von Süßigkeiten für Kinder

Nach einem Gesetzesentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft unter Bundesminister Cem Özdemir dürften künftig mehr als 70 Prozent aller Lebensmittel in vielen Fällen nicht mehr beworben werden. Dies bedeutete, nach Berechnungen von Medienverbänden, einen Bruttowerbeverlust von rund drei Milliarden Euro. Besonders private Medienunternehmen sind von dieser Regelung betroffen. Sie benötigen Werbeumsätze, um unabhängigen Journalismus zu finanzieren, erhebliche Teile ihres Gesamtbudgets stammen aus der Lebensmittelwerbung. Ebenso stehen Unternehmen in der Lebensmittelbranche vor massiven Einschränkungen bei der Bewerbung ihrer Produkte. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat zudem in einem Gutachten bestätigt, dass keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die einen direkten Zusammenhang zwischen Werbeverboten und dem Übergewicht von Kindern zeigen.

Entwurf der Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages

Die Rundfunkkommission der Länder hat am 8. November 2023 einen überarbeiteten Entwurf zur Reform des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (6. MÄStV) vorgelegt. Zweck des Staatsvertrages ist der einheitliche Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die deren Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen oder gefährden, sowie der Schutz vor solchen Angeboten, die die Menschenwürde oder sonstige durch das Strafgesetzbuch geschützte Rechtsgüter verletzen. Die Regelungen des Entwurfs betreffen insbesondere den technischen Jugendmedienschutz. Die vorhandenen Jugendschutzsysteme sollen leichter nutzbar gemacht und so miteinander verknüpft werden, dass sie ihre Wirksamkeit bestmöglich entfalten können. Weitere Punkte des Entwurfes sind die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung sowie die Kennzeichnung von Angeboten. Am ersten Entwurf gab es im vergangenen Jahr bei der Anhörung starke Kritik vor allem von den Verbänden der Digitalindustrie und Tech-Wirtschaft.

Regulierung von Medien in der EU

Die Europäische Kommission entdeckt immer mehr die Medien als Regulierungsfeld. Zuletzt der Digital Services Act und der Digital Markets Act, davor die eCommerce- und vor allem die AVMD-Richtlinie. Seit September vergangenen Jahres liegt der Vorschlag für einen European Media Freedom Act (EMFA) auf dem Tisch. Der positive Ansatz ist bei diesem Vorschlag unbestritten, dennoch beklagen die deutschen Bundesländer, dass mit dem Gesetzesvorhaben zu weitgehend in das deutsche Medienrecht eingegriffen und die Kompetenz der Mitgliedstaaten ausgehöhlt wird. Die vorgeschlagene Verordnung umfasst unter anderem Schutzvorkehrungen gegen politische Einflussnahme auf redaktionelle Entscheidungen und gegen Überwachung. Der Schwerpunkt liegt auf der Unabhängigkeit und stabilen Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien sowie auf der Transparenz des Medieneigentums und der Zuweisung staatlicher Werbeausgaben. Ferner werden Maßnahmen zum Schutz der Unabhängigkeit von Redakteuren und zur Offenlegung von Interessenkonflikten festgelegt. Schließlich soll mit dem Gesetz eine Medienkonzentration verhindert und ein neues unabhängiges Europäisches Gremium für Mediendienste geschaffen werden. Die Trilogverhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission haben begonnen.

Novellierung des Filmfördergesetzes

Zur Berlinale im Februar 2023 stellte Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Eckpunkte für eine »große« Reform der Filmförderung vor. Ziel der Änderungen sei es, diese effizienter aufzustellen, um das große kreative Potenzial deutscher Filmemacherinnen und Filmemacher noch besser zu heben, künstlerisch und wirtschaftlich erfolgreiche Filme zu ermöglichen und damit auch den Filmstandort Deutschland zu stärken. Kern der Überlegungen ist die Schaffung einer Agentur unter dem Dach der Filmförderanstalt (FFA), die künftig nicht nur die über die Filmabgabe realisierte Förderung organisiert, sondern auch die über neue Finanzierungsformen. So favorisiert Roth unter anderem eine stärkere Automatisierung der Zuschüsse für die Produktion, den Verleih und die Kinos. Bund- und Länderförderungen sollen harmonisiert und die FFA-Produktionsförderung auf eine Referenzfilmförderung umgestellt werden. Anstelle bisheriger steuerbasierter Zuwendungen durch den Deutschen Filmförderfonds und den German Motion Picture Fund sind eine Investitionsabgabe durch private und öffentlich-rechtliche Anbieter auf den Umsatz ihrer Streamingplattformen sowie ein Steueranreizmodell geplant. Sender und Länder will der Bund damit stärker als bisher zur Kasse bitten. Ob dieses Model bis Januar 2025 umgesetzt werden kann, ist fraglich.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2023-1/2024.