Artikel 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beschreibt es als das Recht jedes Menschen, am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzuhaben, sich an den Künsten zu erfreuen und von wissenschaftlichem Fortschritt zu profitieren. Das meint nicht nur den Zugang zu Kultur, sondern auch die Möglichkeit, das kulturelle Leben aktiv mitzugestalten. Kulturelle Teilhabe bedeutet somit auch, eigene kreative Ausdrucksformen zu entwickeln. Doch nicht alle Menschen haben in gleicher Weise Zugang zu kulturellen Ressourcen oder die Möglichkeit, an kulturellen Aktivitäten teilzunehmen. Hier setzt die kulturelle Bildung an, die den Zugang erleichtert, Wissen vermittelt und Menschen ermutigt, sich aktiv einzubringen.

Kulturelle Bildung eröffnet individuelle Entwicklungsmöglichkeiten und fördert zugleich gesellschaftliche Teilhabe und sozialen Zusammenhalt. Sie ermöglicht es, neue Perspektiven und Kulturen kennenzulernen, eigene kulturelle Vorstellungen zu hinterfragen und auch das Verständnis für Vielfalt zu stärken. Gerade auch für benachteiligte Gruppen kann kulturelle Bildung ein wichtiges Werkzeug sein, um Zugang zu Wissen und Ressourcen zu schaffen, Selbstbewusstsein zu stärken und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

In Deutschland spielen die Volkshochschulen (vhs) eine entscheidende Rolle bei der Verwirklichung kultureller Teilhabe. Mit ihren rund 840 Einrichtungen bundesweit sind sie ein unverzichtbarer Akteur der Erwachsenenbildung. Ihr Auftrag ist es, Bildung und Kultur für alle zugänglich zu machen – unabhängig von Alter, Herkunft oder Bildungsstand. Volkshochschulen sind durch ihre flächendeckende Präsenz und ihre Nähe zu den Menschen besonders gut in der Lage, Hemmschwellen und Zugangsbarrieren abzubauen.

Der vhs-Programmbereich »Kultur – Gestalten« ist der drittgrößte an Volkshochschulen. Im Jahr 2023 wurden mehr als 95.000 Kurse und Einzelveranstaltungen mit rund 1,2 Millionen Unterrichtseinheiten durchgeführt, die von mehr als 1,1 Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmern besucht wurden. Die Programme der Volkshochschulen sind vielfältig, erschwinglich und für unterschiedliche Zielgruppen konzipiert. Neben informativen und rezeptiven Angeboten – wie Vorträgen zu Kunst- und Kulturgeschichte, Ausstellungs- oder Theaterbesuchen – stehen kreative Kurse im Vordergrund. Hier lernen die Teilnehmenden nicht nur Techniken und Materialien kennen, sondern erfahren Kunst und Kultur als persönliche Ausdrucksform. Selbsttätig-kreative Angebote machen mit rund 92 Prozent der gesamten Unterrichtsstunden heute den größten Teil des Programmbereichs »Kultur – Gestalten« aus. Angebote wie Malen, Zeichnen, Drucktechnik, Kurse zu musikalischer Praxis oder textilem Gestalten stoßen wie auch handwerkliche Kurse und Tanzkurse auf große Nachfrage. Diese praxisorientierten Kurse spiegeln die gewachsene Bedeutung von Erlebnis- und Prozessorientierung von Bildungsangeboten, aber auch das Bedürfnis nach emotionalem Ausgleich zum (Arbeits-)Alltag wider. Seit dem Ende der Coronapandemie zeigt sich ein besonders großes Interesse an gemeinsamen kreativen Aktivitäten. Teilnehmende äußern ein starkes Bedürfnis nach Präsenzangeboten, die es ihnen ermöglichen, Dinge selbst zu tun und dabei gleichzeitig soziale Kontakte zu pflegen. Mancherorts werden dabei interessanterweise kreative Angebote mit regionalem Bezug, wie etwa plattdeutsche Schreibkurse, besonders gut angenommen.

Beachtlich und wichtig für die Akzeptanz der Angebote ist ihre Vielfalt in Formaten und Methoden. Durch niedrigschwellige Angebote wie Schnupperkurse oder offene Ateliers werden neue Zielgruppen erreicht und langfristig eingebunden. Ein gelungenes Beispiel ist etwa der Pop-up-Bildungsstore der vhs Lüneburg, der 2022 in einem Ladenleerstand in der Innenstadt eingerichtet wurde. »Ladentür auf, und schon seid ihr dabei« – so warb die vhs bei den Lüneburgern für das neue Angebot. Mit einem Upcycling-Studio, einem Repair-Café und verschiedenen Workshops gelang es, Menschen direkt von der Straße abzuholen. Die zentrale Lage und der kostenfreie Zugang erleichterten die Teilhabe erheblich.

Auch die Kombination von rezeptiven und selbsttätig-kreativen Ansätzen in Form von niedrigschwelligen Angeboten ist zu beobachten. So bietet die vhs Köln beispielsweise eine Street Art Stadtführung »zum Mitmachen oder Zuhören« an, in der dazu eingeladen wird, eine Kamera oder Zeichenmaterial mitzubringen. Solche Beispiele zeigen, wie Volkshochschulen – auch mithilfe aufsuchender Ansätze – Räume schaffen, in denen Menschen niederschwellig in kulturelle Aktivitäten eingebunden werden können.

Darüber hinaus tragen Volkshochschulen dazu bei, die Ergebnisse kreativer Arbeit sichtbar zu machen. Beispiele wie Schreibwerkstätten, deren Ergebnisse anschließend veröffentlicht oder in Lesungen geteilt werden, oder Malkurse, die in öffentlichen Ausstellungen münden, verdeutlichen diesen Ansatz. Solche Formate fördern nicht nur die Selbstwirksamkeit der Teilnehmenden, sondern stärken auch das Bewusstsein für den Wert von Kultur im Gemeinwesen vor Ort.

Trotz ihres großen Potenzials stehen Volkshochschulen vor immensen Herausforderungen. Eine zentrale Hürde bleibt ihre Finanzierung. Um erschwingliche und vielfältige Angebote sicherzustellen, ist eine verlässliche öffentliche Förderung notwendig. Ebenso wichtig ist die Ansprache neuer Zielgruppen, insbesondere jener, die bisher kaum erreicht werden. Auch digitale Formate bieten hier Chancen, müssen jedoch weiter ausgebaut werden, um Menschen in ländlichen Regionen oder mit begrenzter Mobilität besser einzubinden.

Eine engagierte politische Interessenvertretung für die Rahmenbedingungen kultureller Bildung ist daher unverzichtbar, um kulturelle Teilhabe langfristig zu sichern. Volkshochschulen brauchen zukunftsfähige Finanzierungsmodelle und eine Anerkennung ihrer Leistungen als Orte des kulturellen und gesellschaftlichen Austauschs. Investitionen in kulturelle Bildung sind Investitionen in die Zukunft – sie stärken nicht nur den sozialen Zusammenhalt, sondern auch die Demokratie. Kulturelle Teilhabe ist kein Privileg, sondern ein Menschenrecht. Die Volkshochschulen leisten einen unverzichtbaren Beitrag dazu, dieses Recht für alle Menschen einzulösen. Mit ihrer Arbeit schaffen sie nicht nur individuelle Entwicklungsmöglichkeiten, sondern auch lebendige und vielfältige Kulturorte, die unsere Gesellschaft bereichern.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2025.