»Bring deine Alte mit, sie wird im Backstage zerfetzt – ganz normal, danach landet dann das Sextape im Netz.« (Was hast du gedacht, Gzuz). Dass Zeilen wie diese einen künstlerischen Anspruch in sich tragen, ist auf den ersten Blick wohl verwunderlich. Dass diese Textzeilen auch noch durch den Staat geschützt und privilegiert werden, scheint nicht minder absonderlich. Bei den Textzeilen handelt es sich um Lyrics eines deutschsprachigen Gangsta-Rappers, und sie sind vom Schutzbereich des Grundrechts auf Kunstfreiheit erfasst. Als eine der derzeit erfolgreichsten Musikrichtungen im deutschsprachigen Raum generiert Gangsta-Rap eine hohe gesellschaftliche Relevanz und ist durch zahlreiche Chartplatzierungen wohl in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Im Jahr 2018 wurden die Rapper Kollegah und Farid Bang trotz Textzeilen wie »Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen« und »Mache mal wieder ’nen Holocaust« mit dem deutschen Musikpreis Echo ausgezeichnet. Der gesellschaftliche Aufschrei war so enorm, dass der Preis in der Folge abgeschafft wurde – aus rechtlicher Sicht blieben die Textzeilen ohne Konsequenz: »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt«, klingt Danger Dans bekannter Song im Ohr.
Vom Grundrecht auf Kunstfreiheit umfasst sind sämtliche Tätigkeiten, die als »Kunst« im verfassungsrechtlichen Sinn gewertet werden können. Dieser verfassungsrechtliche Kunstbegriff ist dabei sehr weit zu verstehen und darf nicht von Qualitätsmerkmalen oder bestimmten Kunstgattungen abhängig gemacht werden. Weder inhaltlich noch formal soll der Staat bestimmen dürfen, was Kunst sein darf. Konsequenz dieses großzügigen Kunstbegriffs ist, dass Aussagen wie »Ich fick’ dich so tief in dein Loch, dass mein Schwanz mit deinen Rippen flirtet / Ficksau, ich bums’ dich in die Klinik / Bitch, Fresse, bevor ich dir den Sack in den Mund presse« (Kool Savas, LMS) als Textzeile eines Musikstücks jedenfalls als Kunst im verfassungsrechtlichen Sinn zu werten sind.
Da der verfassungsrechtliche Kunstbegriff auch nicht auf formale Kunstgattungen beschränkt ist, fallen künstlerische Performances jeder Art (etwa Happenings) unter den Schutzbereich des Grundrechts auf Kunstfreiheit. Bezogen auf deutschsprachigen Gangsta-Rap und vor dem Hintergrund der Selbstdarstellung von Künstlern im Netz, die insbesondere im Gangsta-Rap von »authentischem« Auftreten geprägt ist, müssen daher auch Aussagen und Kurzvideos auf Social Media auf Künstlerprofilen unter bestimmten Umständen als Kunstperformance gewertet werden. Wenn der deutschsprachige Rapper Bonez MC etwa in seinen Instagram-Storys auf seinem Künstlerprofil Drogenkonsum verherrlicht, wird dies wohl als Inszenierungselement seiner Kunstfigur gelten müssen.
Das Grundrecht auf Kunstfreiheit sollte ursprünglich künstlerisches Schaffen vor Eingriffen durch den Staat schützen. Die rechtliche Möglichkeit, Kunst so abzusichern, dass diese Kritik frei äußern kann, stellt ein besonderes und wichtiges Privileg dar und kann als Errungenschaft moderner Verfassungen in Europa bezeichnet werden. In der heutigen Interpretation muss jedoch die Frage gestellt werden, ob nicht unter dem Deckmantel der Kunst gewaltverherrlichende, frauenfeindliche oder antisemitische Texte rechtlich legitimiert werden.
Die Kunstfreiheit ist aus rechtlicher Sicht deshalb auch nicht schrankenlos gewährt. In einer verfassungsrechtlichen Abwägung muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Grenze der Kunstfreiheit überschritten wurde. Dies ist immer dann der Fall, wenn die künstlerische Komponente nicht im Verhältnis zu dem dadurch verletzten Rechtsgut steht oder die Menschenwürde berührt wird. Konkret auf den deutschsprachigen Gangsta-Rap bezogen geht es daher um die Frage, welcher künstlerische Wert diesem zuzuschreiben ist. Die Antwort dieser Frage obliegt derzeit den Gerichten, was in der Praxis herausfordernd ist, wie auch die jüngste Entscheidung des BVerfG 1 BvR 201/20 zeigt. Die Antwort dieser Frage obliegt derzeit den Gerichten, was in der Praxis herausfordernd ist, wie auch die jüngste Entscheidung des BVerfG 1 BvR 201/20 zur Indizierung eines Albums des Rappers Bushido zeigt. Bushidos Verfassungsbeschwerde gegen diese Indizierung wurde abgelehnt.
Das Musikgenre Gangsta-Rap zeigt demnach, dass der praktische Umgang mit dem Grundrecht auf Kunstfreiheit durchaus nicht unproblematisch ist. Einerseits soll das Grundrecht der Kunst größtmögliche Freiheit schaffen. So konstatierte etwa der österreichische Politiker Karl Blecha bei der Einführung des Grundrechts in Österreich im Jahr 1982 einen »wichtigen Schritt für ein liberaleres Klima im Land«. Andererseits muss es auch für Kunst Grenzen geben, jedenfalls dort, wo die Menschenwürde anderer verletzt wird. Die Schwierigkeit liegt wohl darin, diese Grenze der Kunstfreiheit aus rechtlicher Sicht zu finden, liegt ihr doch die Frage nach dem Wert von Kunst zugrunde.