Iran – der Name dieses Landes legte hierzulande lange Zeit bestimmte Assoziationen nahe: bärtige Geistliche und Militärs, Frauen im Tschador, der Griff nach der Atombombe. Doch das Bild von der Islamischen Republik im deutschsprachigen Raum wird vielfältiger. Eine Zäsur stellte die Wahl 2009 dar, als Mahmud Ahmadinedschad trotz Manipulationsvorwürfen als Präsident bestätigt wurde. Vor allem junge Menschen aus der Mittelschicht, darunter viele Frauen, protestierten. Die Bilder von ihrer »Grünen Bewegung« gingen um die Welt. Auch die hiesige Berichterstattung zeigte diese Menschen, die sich mutig für Meinungsfreiheit und ein selbstbestimmtes Leben engagierten.

Ein anderer, sehr bedeutender Aspekt Irans wird hierzulande dagegen kaum thematisiert – bis heute: Der Iran ist ein multiethnisches und multikulturelles Land. Zwar wird darauf hingewiesen, dass es etwa Zoroastrier und Christen gibt, die auch Vertreter im Parlament haben. Die Ethnien werden jedoch nur selten gewürdigt, wenn man sich ihrer denn bewusst ist. Das ist auch daran festzumachen, dass im Deutschen »Iranisch« und »Persisch« gern als Synonym verwendet werden.

Man muss dagegenhalten, dass die Perser zwar Iraner, aber nicht alle Iraner Perser sind. Im Iran leben genauso aserbaidschanische Türken, Kurden, Araber, Belutschen sowie andere Ethnien und Religionsgemeinschaften. Die jüdische Gemeinde Irans ist die größte im Nahen Osten nach Israel. Die größte Gruppe unter den Nichtpersern stellen übrigens die turksprachigen Menschen im Land dar. So sprach Außenminister Ali Akbar Salehi im Januar 2012 bei einem Staatsbesuch in der Türkei selbst davon, dass 40 Prozent der Menschen im Iran »Türkisch« sprechen würden.

Politik der Assimilation

Obwohl die Verfassung der Islamischen Republik den »Gebrauch der einheimischen Sprachen und Dialekte in der Presse und anderen Medien« sowie den »Unterricht der entsprechenden Literatur in den Schulen« neben der persischen Amtssprache freistellt, wird den nichtpersischen Ethnien eigene Bildungs- und Kulturarbeit verwehrt. Dagegen gibt es Protest. So verteilten etwa Lehrer in Urmia, der Hauptstadt der Provinz West-Aserbaidschan, am 21. Februar 2017, dem Internationalen Tag der Muttersprache, in Schulen und Kindergärten Lehrbücher in aserbaidschanischem Türkisch. Dabei hatte Hassan Rohani vor der Präsidentenwahl 2013 den nichtpersischen Ethnien noch Versprechungen gemacht: Im Fall seines Sieges wollte er sie in alle politischen und administrativen Ebenen der Regierung einbeziehen und ihnen erlauben, in ihren Sprachen zu unterrichten. Auch sollte in Täbris eine Akademie für Sprache und Literatur der aserbaidschanischen Türken öffnen. Die nichtpersischen Ethnien unterstützten daraufhin Rohani. Er aber hielt sein Wort nicht.

Auch wenn sich die Islamische Republik von der bis 1979 bestehenden Pahlewi-Monarchie absetzt: Die Unterdrückung und Diskriminierung der nichtpersischen Ethnien, das Beharren auf Persisch als einziger, offiziell erlaubter Amtssprache und eine rassistisch motivierte Assimilierungspolitik, ein Land zu schaffen, in dem alle nur Persisch sprechen und nur die persische Kultur pflegen, ist ein Bestandteil auch der Agenda der Geistlichen und persischer Nationalisten in ihrer Regierung.

Ihre Ursprünge hat diese Politik in der Herrschaft von Reza Khan, der 1925 mit britischer Hilfe Ahmad Schah, den letzten Herrscher aus der turkstämmigen Kadscharen-Dynastie stürzte und selbst den Pfauenthron bestieg. Der neue Schah setzte auf eine brutale Zentralisierung in dem bis dato föderal strukturierten Land. Er nahm zudem den vorislamischen Namen Pahlewi an und propagierte eine Bildungs- und Kulturpolitik, die lehrte, dass die Perser arischen Ursprungs seien und deshalb eine höherwertige Kultur besäßen, weil diese sich durch Jahrtausende gegen äußere Feinde – Araber, Mongolen und Turkvölker – behauptet hätte. Dass es im Gegenteil die im Iran herrschenden turkstämmigen Dynastien waren, die seit Jahrhunderten an Persisch als Amts- und Literatursprache festhielten und bis in die Moderne hinüberführten, wurde nun verschwiegen.

Wie weit zu gehen Reza Schah bereit war, zeigt auch seine Kooperation mit NS-Deutschland. Es war im Glauben an die gleiche höherwertige Herkunft, dass er 1935 anordnete, das im Westen bis dato als »Persien« bezeichnete Land offiziell in Iran, »Land der Arier«, umzubenennen. Als Bezeichnung für das Land war »Iran« bereits lange im Gebrauch aller Ethnien. Ihren rassistischen Beigeschmack erhielt die Bezeichnung aber erst durch Reza Schahs Politik. Es geschah auch mit seiner Erlaubnis, dass NS-Propaganda in Form kostenloser Zeitschriften und Filme in den Iran eingeführt wurde.

Stolz und Vorurteil

Diese Ideologie hat Folgen bis heute: Ein teilweise extrem übersteigerter persischer Nationalismus; der Traum von einem »Groß-Iran«, der sein Vorbild im antiken, vorislamischen Perserreich hat; lückenhaftes, verzerrtes und falsches Wissen über Irans Geschichte, gerade über die Herrschaft der turkstämmigen Dynastien im Land; die Ablehnung der Gleichwertigkeit von Persern und der nichtpersischen Ethnien sowie auch eine Ablehnung der Pflege nichtpersischer Sprachen und Kulturen.

Die dadurch mit verursachte Identitätskrise, was es heißt, Iraner zu sein, und ein unreflektiertes Verhältnis zum Iran als Vielvölkerstaat machen sich bis heute bemerkbar: Der in den Niederlanden lebende Schriftsteller Hossein Sadjadi Ghaemmaghami Farahani, bekannt unter dem Pseudonym Kader Abdolah, porträtiert in dem Roman »De Koning«, 2011, den Iran unter den Kadscharen. Der Autor übt berechtigte Kritik etwa an der Bestechlichkeit von Adligen und Geistlichen und der Rückständigkeit von Wirtschaft und Militär. Doch verbindet er seine Kritik mit Unwahrheiten über die Kadscharen, indem er sie als faul, egoistisch und dekadent zeichnet und diese Eigenschaften mit ihrer turkstämmigen Herkunft in Verbindung setzt. Damit reproduziert er Klischees, die unter den Pahlewis verbreitet wurden, um die Kadscharen zu verunglimpfen und sich selbst zu erhöhen.

Ein zweites Beispiel stellt der im Januar 2020 in der Süddeutschen Zeitung publizierte Gastbeitrag »Der persische Stolz« dar. Die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur fällt darin ein pauschales Urteil, wobei sie »Iraner« schreibt, aber »Perser« meint: »Iraner sind große Nationalisten. Sie sind stolz auf eine jahrtausendealte Geschichte.« Genauso (selbst-)überzeugt äußert sich Amirpur auch zur einzig zugelassenen Amtssprache im Land: »Zum nationalen Konsens gehört seit Jahrhunderten und über alle Ethnien hinweg außerdem die Überzeugung, dass Persisch die schönste Sprache der Welt sei. (…) Das Persische vereint die Iraner, es ist melodisch, klangvoll, majestätisch.«

Wie Amirpur dazu kommt, von allen im Iran lebenden Menschen anzunehmen, dass sie Persisch für die »schönste Sprache der Welt« halten, schreibt sie nicht. Mit dem Wissen, dass den nichtpersischen Ethnien seit fast einhundert Jahren die Pflege ihrer Sprachen und Kulturen im Land offiziell verwehrt wird, wirken ihre Äußerungen im Gegenteil zynisch und beleidigend. Ein drittes Beispiel für Intoleranz gegenüber nichtpersischen Sprachen stellt der Umgang mit dem Spielfilm »Atabay«, 2019, dar, der im Februar 2020 auf dem Fajr-Festival in Teheran uraufgeführt wurde und in dem Persisch und aserbaidschanisches Türkisch gesprochen wird. Bei der Pressekonferenz zum Film äußerte der Journalist Amir Farzullahi einen als Frage verpackten Angriff: »Irans Amtssprache ist Persisch. Was ist dann das für eine Filmproduktion, bei der ein iranischer Zuschauer einen iranischen Film im Iran mit persischen Untertiteln sehen muss?« Darauf antwortete Filmregisseurin Niki Karimi: »Ehrlich gesagt akzeptiere ich das nicht, dass die Filmsprache unbedingt Persisch sein muss. Ich denke sogar, dass wir im Iran in den verschiedenen Sprachen zu wenig gedreht haben.« Und sie fügte hinzu: »Wer sagt denn, dass wir einen Film unbedingt auf Persisch drehen müssen?«

Vielfalt und Föderalismus

Die Führung der Islamischen Republik hat den Iran international isoliert. Die Sanktionen haben die Wirtschaft stark getroffen. Die hohe Arbeitslosigkeit drängt vor allem die jungen, gut ausgebildeten Menschen dazu, ihr Glück im Ausland zu suchen. Dabei ist der Iran ein reiches Land: Rohstoffe wie Öl und Gas könnten Wohlstand und Stabilität garantieren. Die Geistlichen und die paramilitärische Revolutionsgarde, die die Macht haben, weigern sich jedoch, entsprechende Maßnahmen zum Wohl aller Menschen im Iran durchzuführen. Der Umgang mit dem Coronoavirus – das Verschweigen der Fakten, das Im-Stich-Lassen der Bevölkerung – hat aller Welt erneut vor Augen geführt, dass die schiitische Führung in Teheran ihre Legitimation endgültig verloren hat.

Will man dagegen, dass der Iran nicht zerbricht, sondern bestehen bleibt, sind Veränderungen überfällig: Die Menschenrechte müssen endlich respektiert und hier vor allem die Gleichwertigkeit und Gleichbehandlung von Mann und Frau garantiert werden. Die verschiedenen Regionen sollten mehr politische Autonomie bekommen. Hierfür wären föderale Strukturen zu schaffen. Staatliche Einnahmen sollten folgerichtig gerechter in alle Regionen (zurück-)fließen und dort reinvestiert werden. Und schließlich: Alle Ethnien im Land sollen ihre Sprachen und Kulturen pflegen dürfen. Irans Reichtum machen seine Bodenschätze, das Potenzial seiner Wirtschaft und eben die Vielfalt seiner Menschen, Sprachen und Kulturen aus. Diese Pluralität anzuerkennen und ihr genügend Raum zur Entfaltung – in Politik, Bildung und Kultur – zu geben, wird das Gebot der Zukunft sein.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.