Will man sie doch noch zu Ende bauen? Die Einheitswippe vor dem Berliner Stadtschloss, wie das Denkmal für die friedliche Revolution von 1989 im Volksmund längst heißt. Sie war von Anfang an umstritten. Wegen ihres ungewöhnlichen Entwurfs einer beweglichen Schale; wegen des Standorts auf der Schlossfreiheit und seiner angeblich dünnen Symbolik. Vom Deutschen Bundestag dennoch mit großer Mehrheit beschlossen, vom Haushaltsausschuss dann beinahe wieder gekippt, verkörpert dieses Einheitsdenkmal eine der schier endlosen Baugeschichten der Hauptstadt. Es sollte längst vollendet sein und ist bis heute nicht fertig geworden. Jetzt schreckt ein Brandbrief der Initiatoren des Denkmals die Öffentlichkeit auf. Zum Weiterbau fehlt inzwischen das Geld, was nur wieder ein weiteres Hindernis darstellt, das die Fertigstellung verhindert.

Die Liste der Widrigkeiten ist lang, an denen dieses Projekt immer wieder zu scheitern drohte. Sie wirken häufig absurd und sind nicht frei von politischer Willkür. Von den 533 eingereichten Wettbewerbsbeiträgen fand zu Anfang kein einziger eine Mehrheit. Eine goldene Banane war freilich darunter und zur Gaudi der Wessis auch der symbolische Einkaufswagen. Plötzlich kam noch eine geplante Wasserbadestelle neben dem Schloss dazu und das Habitat gefährdeter Fledermäuse im Sockel des früheren Denkmals, von denkmalgeschützten Mosaiken ganz zu schweigen. Jetzt aber sind es die Kosten, die den Weiterbau ernsthaft gefährden. Obwohl das Fundament bereits zu 90 Prozent fertiggestellt sein soll und auch die tonnenschweren Elemente der Stahlwippe bereits auf dem Werkhof eines westdeutschen Metallbauers stehen. Es gäbe also kaum eine sachliche Rechtfertigung dafür, das umkämpfte Vorhaben doch noch scheitern zu lassen. Es wäre ein politisch verheerendes Signal und würde dem Mitinitiator und früheren Bürgerrechtler Günter Nooke in jeder Hinsicht recht geben, dass wir Deutschen unfähig seien, auch unserer guten, unserer Freiheitsgeschichte zu gedenken.

Tatsächlich haben wir es in Deutschland inzwischen geschafft, auch noch den letzten Funken Einheitsfreude aus unseren Herzen und Köpfen zu vertreiben. Der Osten gilt mittlerweile als westdeutsche Erfindung, die Wiedervereinigung als feindlicher Übernahmeakt und die Einheit als Zumutung. Wozu soll es dann noch diese Einheitswippe geben, wenn die Einheit angeblich niemand mehr feiern will.

Vielleicht hat die Standortwahl zu den Aversionen maßgeblich beigetragen, der historisch vielfach ramponierte Platz vor dem Schloss, wo man ständig noch mit den Preußen hadert und Erichs Lampenladen vermisst, diesen Palast der Republik, der unverhofft zum Symbol der untergegangenen DDR geworden ist.

Das Einheits- und Freiheitsdenkmal vor einem reaktionären Kasten – wer nur das von preußischer Geschichte weiß, muss sich verständlicherweise gegen den Standort sträuben. Schon um den Wiederaufbau der Schlossfassaden wurde erbittert gestritten; und drinnen im Humboldtforum geht es schon gar nicht mehr um die Einheit. Koloniale Schuld und kulturelle Diversität sind dort jetzt das Thema. Ein Ort der Vielfalt ist das Humboldtforum trotzdem nicht geworden, eher ein Exerzierplatz für die gängige Ideologie.

Dabei hat es der siegreiche Entwurf der Einheitswippe seinen Kritikern von Anfang an schwer gemacht. Kein in den Boden gerammtes Erinnerungsmal für das wiedervereinte Land. Stattdessen der spielerische Umgang mit einer friedlich verlaufenen, zutiefst friedfertigen Revolution. Man spürt die Bewegung der tanzenden Sasha Waltz. Diese Wippe könnte tatsächlich den heiteren Kontrast schaffen, zu einem vielfach überschriebenen Schicksalsort deutscher Nation; und sie würde die Besucher aus aller Welt daran erinnern, dass sich das Verhältnis von Einheit und Vielfalt in einer Gesellschaft immer wieder von Neuem ausbalancieren muss. Die einstigen Hoffnungen dieser friedlichen Revolution kämen zum Ausdruck, nicht nur die Erinnerung an einen schwierigen Weg.

Wäre die Auseinandersetzung um dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal über Jahre nicht so empathielos und dürftig verlaufen, dann hätte sich genau diese Chance schon viel früher gezeigt. Es ist eben etwas anderes, ob man an einen vorhandenen historischen Ort wie dem Brandenburger Tor noch eine weitere Bedeutung anklebt. Oder ob man den Mut hat, die freie Sicht auf die Zukunft unseres Landes zu geben.

Die geglückte deutsche Revolution war Teil einer großen osteuropäischen Freiheitsbewegung, die mancherorts auch auf ihr Scheitern blickt. Doch es sind wieder einmal die Polen, die in diesen Tagen zeigen, dass die Freiheitsidee doch nicht unterzukriegen ist.

Diese Hoffnung in den Mittelpunkt unserer Erinnerung an den Umbruch im Osten zu stellen würde das Einheitsnarrativ, wie man jetzt sagt, um den entscheidenden Gedanken erweitern. Nicht die staatliche Einheit stünde im Zentrum, sondern der Wunsch vieler Menschen, einer freien, einer wahrhaft freiheitlichen Gesellschaft angehören zu wollen.

Man mag aus kunsthistorischer oder stadtästhetischer Sicht an der Wippe zweifeln; aber sie wäre an diesem Standort eben nicht nur ein lästiges Aperçu; sie könnte ein Schlüssel werden selbst für ein neues Verständnis des Schlosses. Geschichte ist eben nicht nur vergangenes Schicksal, sondern der immer wieder neu zu wagende Blick auf uns selbst. Unser vereintes Land, unsere demokratische Gesellschaft balanciert sich immer wieder von selbst aus – was für ein großartiges Signal in diesen verhärteten Zeiten.

Jetzt fehlen die Mittel, um die Einheitswippe fertig bauen zu können. Aber die werden mit gutem Willen doch aufzutreiben sein. Die friedliche Revolution wagte einst den Weg in die offene Zukunft. Was für ein Armutszeugnis für unser gegenwartsversessenes Land, die Erinnerung daran an ein paar fehlenden Euro scheitern zu lassen. Mitte November wird der Bundeshaushalt in der »Bereinigungssitzung« noch einmal nachjustiert. Auch die Schlussfinanzierung der Wippe sollte ein dringliches Thema sein.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2023.