Wie geht die Musikbranche mit grenzüberschreitendem Gangsta-Rap um? Wem kommt im Umgang damit Verantwortung zu? Und wie soll diese ausgestaltet werden? Der Generalsekretär des Deutschen Musikrates, Christian Höppner, steht in vier Fragen Rede und Antwort zum Thema.
Kunstfreiheit kennt Grenzen. Dies zeigte auch 2018 der Echo-Eklat um das Kollaboalbum »Jung Brutal Gutaussehend 3« der Rapper Kollegah und Farid Bang, das durch antisemitische Textzeilen gekennzeichnet war. Welche Bedeutung kommt dem Vorfall bis heute zu?
Die Grenzen für die verfassungsrechtlich verbriefte Kunst- und Wissenschaftsfreiheit sind dort gesetzt, wo das Strafrecht einsetzt. Vor diesem Grenzpunkt gibt es aber eine Wegstrecke, die seit dem Echo-Eklat eine stärkere gesellschaftliche Wahrnehmung und Diskussion erfahren hat. Diese Wegstrecke ist beim Gangsta- Rap durch die permanente Verletzung gesellschaftlicher Werte und Normen gekennzeichnet. Die grenzüberschreitende Provokation, das Austesten der Grenzen, gehört zur DNA dieses Genres. Die gesellschaftliche Ächtung dieser oftmals menschenverachtenden und gewaltverherrlichenden Texte ist in Zeiten der Blasenkultur und angesichts der Tatsache, dass diese Raps millionenfach runtergeladen werden, ein eher stumpfes Schwert. Zumal dann, wenn Warnhinweise oder die Indizierung durch Prüfinstanzen von der Rap-Szene als öffentlichkeitswirksame Verkaufsförderung betrachtet werden. Bleibt die frühzeitige Befähigung junger Menschen, durch eine humanistisch geprägte Bildung ihre Urteilskraft und das Erkennen von Zusammenhängen zu stärken. Dieser präventive Ansatz gegen die Verrohung gesellschaftlichen Zusammenlebens wird, angesichts des desaströsen Zustands der kulturellen Bildung in der allgemeinbildenden Schule, sträflich vernachlässigt.
Wie hängen antisemitische Texte im Gangsta-Rap mit antisemitischen Einstellungen bei jungen Hörerinnen und Hörern von Gangsta-Rap zusammen?
Die durch die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger beauftragte und im Mai 2021 veröffentlichte Studie der Universität Bielefeld, bei der 500 junge Menschen zwischen 12 und 24 Jahren zum Thema Gangsta-Rap befragt wurden, lässt keine eindeutige Aussage über die Wechselwirkung von Antisemitismus und Gangsta-Rap zu. Also, ob die Hörer zu Antisemitismus neigen, weil sie Gangsta-Rap hören, oder ob sich umgekehrt Jugendliche mit einer antisemitischen Haltung von diesem Genre angezogen fühlen. Antisemitische Themen werden oft von Jugendlichen nicht bemerkt, aufgrund der schnellen Sprache und der vorherrschenden Meinung, dass sozialkritische Themen behandelt würden. Daraus ergibt sich unter anderem die Empfehlung, Jugendlichen das Werkzeug zur Decodierung der Texte an die Hand zu geben. Abschließend kommt die Studie zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit für antisemitische Haltungen in allen gesellschaftlichen Gruppen hoch bleibt. Die Antisemitismusbeauftragte fordert zielgruppen- und altersgerechte Angebote in der Präventionsarbeit. Die Gesellschaft dürfe nicht dabei zusehen, »wie Musiker Antisemitismus propagieren und mit gewaltverherrlichenden und frauenfeindlichen Texten Jugendliche indoktrinieren«.
Welche Verantwortung kommt der Musikbranche bei der Prävention von antisemitischen, aber auch rassistischen und sexistischen Tendenzen im Gangsta-Rap zu?
Alle Akteure im Musikleben stehen in der Verantwortung in der Prävention antisemitischer, rassistischer und sexistischer Tendenzen im Gangsta-Rap und anderswo – allen voran die Musikindustrie in der Abwägung kommerzieller Interessen und gesellschaftlicher Mitverantwortung. Die Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrates hat 2019 in ihrer einstimmig verabschiedeten Resolution »Jüdisches Leben schützen – Bekenntnisse allein reichen nicht« neben einem Forderungskatalog an den Bund und die Länder auf die präventive Bedeutung der kulturellen und politischen Bildung hingewiesen.
Inwiefern bedarf es – analog zu Games- und Filmindustrie – einer unabhängigen bzw. freiwilligen Selbstkontrolle für die Musikbranche, um diesen Tendenzen in der Musik entgegenzutreten?
Eine unabhängige Selbstkontrolle liegt im unmittelbaren Eigeninteresse der Musikindustrie. Das kann aber nur ein Mosaikstein in einem ganzen Maßnahmenbündel sein, denn letztlich handelt es sich bei Indoktrination Jugendlicher durch Gangsta-Rap um Machtmissbrauch. Machtmissbrauch, der in einem gesellschaftlichen Umfeld zunehmender Sexualisierung Raum greift. Machtmissbrauch, der mit einer vermutet hohen Dunkelziffer mehr und mehr auf vielen Ebenen im Kulturbereich sichtbar wird. Deshalb sollte das Thema »Machtmissbrauch im Kulturbereich« in einem weiteren Zusammenhang gesehen werden. Die Themis-Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt könnte dafür einen Ausgangspunkt liefern.