Digitale Daten zu materiellen und immateriellen Kulturgütern sind ein wesentlicher Bestandteil des täglichen Lebens, der Kommunikation und der kulturellen Erfahrung. Bereits 1916 schrieb der Berliner Komponist und Publizist Herwarth Walden in seiner Kunstzeitschrift »Der Sturm«: »Die Kunstgeschichte sammelt Daten. Die Daten des äußeren Lebens. Das innere Leben sammelt der Künstler selbst.«  

Digitale Kulturdaten ermöglichen beständige Transferprozesse zwischen Kunstschaffenden, Forschenden, der Kulturwirtschaft und der Zivilgesellschaft. Die Werke der Avantgardisten der 1910er und 1920er Jahre hinterlassen längst ihre Spuren im Datenozean der sozialen Medien – Marc Chagall, Franz Marc, Wassily Kandinsky – sie alle sind im Rahmen eines »Kulturhacker-Projektes« zu Twitter Bots geworden, die auf Basis einer künstlichen Intelligenz Digitalisate mit 5.2 Millionen Followern teilen. In Analogie eines von Viktor Mayer-Schönberger und Kenneth Cukier 2013 für »Big Data« geprägten Begriffes wurde die Avantgarde »datafiziert«. 

Die Kulturgutdigitalisierung, also das Umwandeln von analogen Artefakten in digitale Repräsentationen sowie deren Speicherung und systematische Erschließung in global verfügbaren Informationssystemen hat 100 Jahre nach Herwarth Walden zu einem grundlegenden Wandel geführt. Mit der Deutschen Digitalen Bibliothek, fachspezifischen Angeboten wie arthistoricum.net oder musiconn und internationalen Plattformen wie der Europeana stehen riesige Datenreservoire mit einer immensen Fülle digitalisierter Kulturgüter zur Verfügung. Und dennoch handelt es sich nur um digitale Inseln des kulturellen Erbes. Täglich entstehen wertvolle Daten an Kulturinstitutionen jeder Größe, von den großen Bibliotheken, Archiven, Museen und Universitäten bis hin zu kleinen Institutionen, in einzelnen Projekten ebenso wie in der individuellen künstlerischen und wissenschaftlichen Praxis.  

Diese Daten in einem gemeinsamen Datenraum zu erschließen, zu verknüpfen und standardisiert auffindbar zu machen, hat sich NFDI4Culture, das Konsortium für Forschungsdaten zu materiellen und immateriellen Kulturgütern in der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) zur Aufgabe gemacht. NFDI4Culture setzt seine Schwerpunkte in der Architektur, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Medienwissenschaft und den Darstellenden Künsten. Zum Datenspektrum gehören 2D-Digitalisate von Gemälden, Fotografien und Zeichnungen ebenso wie digitale 3D-Modelle kulturhistorisch bedeutender Gebäude, Denkmäler oder audiovisuelle Daten von Musik-, Film und Bühnenaufführungen. Hierbei stehen insbesondere auch die mit digitalen Kulturgütern zusammenhängenden komplexen datenrechtlichen und datenethischen Aspekte im Blick. 

NFDI4Culture wird von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, den Universitäten zu Köln, Heidelberg, Marburg und Paderborn, dem FIZ Karlsruhe, der TIB Hannover, der SLUB Dresden und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz getragen und zählt deutschlandweit über 60 Partner aus Wissenschaft und Kultur. In den interdisziplinären Nachnutzungsmöglichkeiten digitaler Kulturdaten liegt dabei das große Innovationspotenzial, das NFDI4Culture für die Nutzenden der involvierten Fachdisziplinen, aber auch für Kunst- und Kulturschaffende unterschiedlichster Tätigkeitsbereiche und Vertreter der Zivilgesellschaft aufschließen möchte. Rufus Pollock, der Gründer der Open Knowledge Foundation, hat dies einmal wie folgt formuliert: Das Beste, was man mit den eigenen Daten machen könne, werde häufig von jemand anderem erdacht. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2022.