Wir arbeiten alle noch in dichtem Nebel. Einen harten, langen Sturm haben wir hinter uns, aber vor uns noch lange keine klare Sicht. Wir sehen nicht genau, welche bleibenden Schäden es gegeben hat, wo umgestürzte Bäume immer noch den Weg versperren und wo es langgehen könnte. Vielleicht sind diese meteorologischen Metaphern etwas windschief, aber so ist nicht nur meine Stimmungslage. Die Pandemie und die langen Lockdowns haben das kulturelle und damit auch das kirchliche Leben schwer und nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und zunehmende soziale Ängste tun das Ihre dazu, damit das »Danach« keine Rückkehr zum »Vorher« wird.
Umso dankbarer – trotz der schlech-ten Botschaften – lese ich deshalb jede Untersuchung, die Licht ins Diffuse bringt. Beispielsweise die aktuelle Studie des Instituts für kulturelle Teilhabeforschung, auf die mich kürzlich ein Freund aufmerksam gemacht hat. Unter dem Titel »Die Pandemie als Brandbeschleuniger« hat sie die strukturellen Veränderungen beim Berliner Kulturpublikum zwischen 2019 und 2022 erhoben. – Sie finden die Studie leicht mithilfe der Suchmaschine Ihres Vertrauens. – Es geht also nicht bloß um akute Coronaeinbrüche, sondern um fundamentale Tendenzen, die durch die Pandemie einen extremen Schub erhalten haben.
Die Studie kommt zu differenzierten Aussagen. Erstens kam es beim klassischen Kulturpublikum, Menschen ab 60 Jahren, zu erheblichen Einbrüchen, inzwischen aber auch zu Erholungen. Allerdings dürften wir eine große Zahl der Älteren ganz verloren haben. Ich weiß von Menschen über 75, die den Weg zurück ins kulturelle Leben nicht mehr finden. Zudem höre ich aus der Kinobranche, dass ernste und ruhige Filme, die stark auf die älteren Semester angewiesen sind, es immer noch schwer haben.
Zweitens haben die Kultureinrichtungen, die stark von einem touristischen Publikum leben – also die großen und bekannten –, massiv gelitten. Doch wenn ich heute durch Berlin gehe, bemerke ich hier eine erstaunliche Normalisierung. Die Gäste aus anderen Teilen Deutschlands und dem Ausland – vielleicht nicht gerade Russland oder China – sind längst wieder da.
Drittens haben sich die Hoffnungen auf digitale Angebote nicht erfüllt. Sie ersetzen weder inhaltlich noch finanziell, noch was Publikumsgewinnung und -bindung angeht, die alten Veranstaltungen von Angesicht zu Angesicht. Als Werbemittel und Kundenservice sind sie selbstverständlich geworden, mehr aber auch nicht. Ich finde, dass das eigentlich eine gute Nachricht ist.
Bedenklicher und des Nachdenkens würdiger scheinen mir andere Ergebnisse zu sein. Nämlich viertens, dass sich die soziale Ungleichheit überdeutlich im kulturellen Teilhabeverhalten widerspiegelt. Das heißt aber nicht, dass man wenigstens weiterhin auf das Bildungsbürgertum zählen könnte. Denn hier zeigt sich fünftens, dass es der Generation der Älteren nicht gelungen ist, ihr Teilhabeverhalten an die Folgegeneration weiterzugeben. Das klingt jetzt nach einem Erziehungsversagen, greift aber tiefer. Auch die Bessergestellten unter den Jüngeren gehen nicht mehr selbstverständlich in Theater, Kino oder Museum. Hier ist etwas grundsätzlich ins Rutschen geraten.
Sehr wichtig finde ich deshalb das letzte, sechste Ergebnis: Kultureinrichtungen, die nicht eingeübt haben, ein diverses Publikum anzusprechen, haben schlicht keine Zukunft. Das gilt nicht nur für die berühmten Einrichtungen in den Metropolen, sondern besonders für Institutionen, die sich in der Fläche der kulturellen und Erwachsenenbildung widmen. Von den Volkshochschulen, die für uns in der evangelischen Kirche gute Partner und Referenzgrößen sind, habe ich kürzlich gehört, dass ihre Zahlen dauerhaft um 50 Prozent gesunken seien. Was sie rettet, sind die Integrations- und Deutschkurse.
Welche Konsequenzen sind aus all dem zu ziehen? Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass es schon wieder wird. Wir sollten uns realistisch auf kleinere Zahlen einstellen. Wir müssen mutig und neugierig Neues versuchen: neue Formen und neue Inhalte für neue Menschen. Wir sollten aber auch nicht verzweifeln. Denn gute, lebendige, gemeinschaftliche Kulturveranstaltungen lassen sich durch nichts adäquat ersetzen.