Kunst braucht kreative Freiheit. Für die teure Filmkunst heißt das: Sie bedarf neben dem kulturellen Anspruch auch einer soliden wirtschaftlichen Basis. Die zweite Seite der Medaille wird in der filmpolitischen Debatte jedoch zu oft vergessen.

»Papas Kino ist tot« – dieser berühmte Slogan umschrieb das Oberhausener Manifest 1962, das den Neuen Deutschen Spielfilm begründete und einen Schub inhaltlicher, technischer und kreativer Innovationen beförderte. Nachdem Roberto Rossellini und Vittorio de Sica das neue italienische Kino schon in den Ruinen des Zweiten Weltkrieges begründet hatten und die Nouvelle Vague das französische Kino bereits in den 1950er Jahren revolutionierte, wagte auch in Deutschland endlich eine neue Generation Filmschaffender den Aufbruch. Doch die Erinnerung daran ist heute einseitig: Während die künstlerische Erneuerung unbestritten ist, wird die ökonomische Perspektive der Unterzeichner meistens ausgeblendet. Das Manifest steht auch für die Idee, dass künstlerischer Ausdruck und ein tragfähiges wirtschaftliches Fundament bei der Filmproduktion zusammengehören.

Schauen wir auf den letzten Absatz des Manifests: »Wir haben von der Produktion des neuen deutschen Films konkrete geistige, formale und wirtschaftliche Vorstellungen.« Dies war eine Generation nach dem Ende der NS-Diktatur die Kampfansage an die Ausnutzung bewegter Bilder zur Unterhöhlung der Demokratie und der programmatische Kern des Manifests. Die wirtschaftlichen Vorstellungen wenden sich gegen reine Kommerzialisierung auf der einen Seite und Bevormundung der Kreativen auf der anderen. Die Filmautoren wollten eine echte Förderung der Filmkultur. Diese auf eine reine Forderung nach staatlichen Subventionen zu reduzieren, ist jedoch verkürzt. Weiter heißt es: »Wir sind gemeinsam bereit, wirtschaftliche Risiken einzugehen.« Dieser Satz unterstreicht den heute vergessenen Teil des Manifests: das produzentische Selbstverständnis der Unterzeichner. Und er verweist damit auf einen auch heute noch wesentlichen Bestandteil medialer Demokratie: Mediendemokratie kann nicht durch staatliche Förderung allein gewährleistet werden. Zu ihrem Wesen gehören immer auch Eigeninitiative und -engagement. Kurz: die Bereitschaft, ein ökonomisches Risiko einzugehen, um Kreativität, Innovationen und Freiheit entwickeln und leben zu können.

Mit ihrer Forderung nach einer Förderung der Filmkultur waren die Oberhausener erfolgreich. Nach einem Tiefpunkt im Jahr 1961 – damals wurde mangels geeigneter Filme kein Deutscher Filmpreis verliehen – brachten sie Schwung in die Filmförderdiskussion und prägten neu geschaffene Förderinstitutionen mit ihren Ideen. Doch wenn wir heute auf die Werke dieser Autoren zurückschauen, war es vor allem das Denken über die Filmwirtschaft hinaus, das den Aufbruch zum Erfolg führte. Die Oberhausener Filmemacher – und übrigens auch sehr bald die Filmemacherinnen des Neuen Deutschen Films – fanden in den Redaktionen des jungen öffentlich-rechtlichen Rundfunks Verbündete und die nötigen finanziellen Mittel. Mutige Redakteure ermöglichten Filmexperimente, die zu Meilensteinen der Filmgeschichte wurden.

Es ist dieses Engagement, das die Sender als ihre Aufgabe innerhalb der Mediendemokratie verstehen sollten: Das Selbstverständnis der Oberhausener konsequent weitergedacht bedeutet, dass nicht nur Nachrichten, Dokumentationen oder entsprechende Programme einen Beitrag zur medialen Demokratie leisten sollten, sondern auch und gerade fiktionale Programme.

Für die Sender und die Autoren waren die engagierten Produzenten die entscheidende Schaltstelle: Es waren vor allem die Risikobereitschaft und das Durchsetzungsvermögen der Produzenten unter den Oberhausenern, wie Haro Senft, die den Filmemachern die Grundlage für ihre Arbeit boten. Damals wie heute gilt: Produzentinnen und Produzenten sind die kreativen Motoren, die ein jedes Team braucht – von der Bearbeitung des Drehbuchs über die Besetzung von Schlüsselstellen bis hin zur Schaffung der Solidität der Produktion. In der modernen Arbeitswelt ist dieses Verständnis unter dem Begriff Agilität längst bekannt. Die Filmwirtschaft denkt schon immer projektbezogen und entwickelt so ihre Stoffe und Produktionen. In einer sich rasant verändernden Medienwelt ist dies längst ohne Alternative – und die produzentische Rolle noch wichtiger geworden.

Auch die Rolle der Sender in der medialen Demokratie ist ganz besonders in einer global vernetzten Welt zentral. Dies kommt im kürzlich neu formulierten Auftrag an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Tragen. Hier heißt es: »Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen.« Damit ordnen die Länder dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine klare Aufgabe zu: Dieser soll die Meinungsvielfalt bei den Bürgerinnen und Bürgern fördern und zugleich durch programmliche Vielfalt eine breite Akzeptanz sichern.

Im Verhältnis dieser ungleichen Partner liegt der Schlüssel zum Erfolg. Auch hier zeigt der Blick in die Geschichte, dass dies am besten im Zusammenspiel aus starken öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und kreativer Produktionswirtschaft gelingt: Mit Koproduktionen für das Kino ermöglichten die Sender nicht nur besonders hochwertiges Programm, sondern z. B. auch die ersten feministischen oder schwul-lesbischen Filme – und zeigten damit endlich die Vielfalt unserer Gesellschaft. Für die umfassenden Anforderungen an einen zeitgemäßen öffentlich-rechtlichen Rundfunk im rasanten technologischen und gesellschaftlichen Wandel ist die innovative und agile Produktionswirtschaft die ideale Partnerin. Daher lohnt es sich, nach neuen Wegen der Zusammenarbeit zu suchen. Denn klar ist auch: Der Rückzug des starken Partners öffentlich-rechtlicher Rundfunk schwächt die Produktionslandschaft. Sinkende Mittel für Kino-Koproduktionen hinterlassen auf beiden Seiten ein Loch. Die Regisseurin Julia von Heinz brachte die Bedeutung des Films in der Mediendemokratie auf den Punkt: »Um wichtige gesellschaftliche Fragen künstlerisch auszuloten, braucht es jedoch den Kinofilm, das freie Format ohne Längen- und Genrebegrenzung, das Experiment mit ungewissem Ausgang.«

Das Zusammenspiel von Filmwirtschaft und Fernsehanstalten war immer konfliktreich, das soll hier nicht ausgeblendet werden. Doch dort, wo beide Branchen gemeinsame Wege fanden, wurden die Bemühungen stets belohnt. So wurde die Grundlage für die Kino-Koproduktionen mit dem Film-Fernseh-Abkommen gelegt. Einer der maßgeblichen Architekten dieses Branchenkompromisses war der »Oberhausener« Alexander Kluge. Dieser politische Gestaltungswille der Oberhausener und die Bereitschaft, über vermeintliche Branchengrenzen hinwegzudenken, sollte uns im heutigen konvergenten Medienumfeld Vorbild sein. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda bringt den notwendigen Ansatz treffend auf den Punkt: »Ins Zentrum gehören nicht die Sendeanstalten, sondern die Inhalte.«

Mit den Rezepten von gestern werden wir die Herausforderungen unserer Zeit nicht bewältigen. Es kann auch heute nur um das mühsame Ausloten gemeinsamer Wege gehen. Damit werden wir der geteilten Verantwortung für unsere Mediendemokratie gerecht und schaffen sowohl für die Sender- als auch die Produktionsseite einen wirtschaftlichen Mehrwert.

Zuerst ist hier die Branche selbst gefragt. Denn als Kreativbranche sind wir auf die besten Köpfe angewiesen. Das bedeutet, die Jobs in der Branche müssen im Wettbewerb um Fachkräfte und kreative Talente mithalten können. Die Produzentenallianz wird diesen Bereich nachhaltig in den Fokus nehmen. Aber es wird darauf ankommen, gemeinsam mit allen Partnern für unsere Kreativbranche zu werben. Dafür brauchen wir eine Arbeits- und Fachkräftestrategie.

Zweitens braucht es faire Wettbewerbsregeln, die das Zusammenspiel von starken Auftraggebern und einer vielfältigen, von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägten Produktionslandschaft fördern. Erhalt und Ausbau einer breiten Landschaft unabhängiger Produktionsunternehmen ist nötiger denn je. Der aus produzentischer Sicht entscheidende Baustein ist dabei die faire Rechteteilung. Denn produzentisches Wachstum bedingt Eigentum, mindestens aber Teilhabe am Erfolg. Die Beteiligung an der Auswertung des eigenen Film- und Fernsehprodukts ist gerade in der digitalen Welt die Basis für wirtschaftliches Fortkommen und kreatives Risiko. Nur wer verlässliche Marktperspektiven besitzt, ist bereit, Investitionen zu tätigen – mutige zumal. Daher sollten wir das Potenzial der Rechteteilungen zwischen Sendern und Produzentinnen und Produzenten noch mehr in den Blick nehmen. Wenn hierdurch das Eigenkapital der Produktionsunternehmen gestärkt wird, werden wir damit auch ihre Risikobereitschaft erhöhen.

»Wir sind gemeinsam bereit, wirtschaftliche Risiken einzugehen.« Dieser kreative Mut ist auch heute gefragt – gerade auch im Sinne eines mediendemokratischen Gemeinwohles.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2023.