Museen sind Teil der Gesellschaft. In ihrem Auftrag bewahren, vermitteln und entwickeln wir kulturelles Erbe. Als öffentliche Kultur- und Gedächtnisinstitutionen verstehen wir uns zunehmend auch als »Dritte Orte« der Begegnung und des Austauschs in einer offenen Gesellschaft. Doch sind wir dafür wirklich gerüstet? Gestalten wir soziale Räume, in denen generations- und milieuübergreifend, interkulturell und barrierefrei Kunst und Geschichte wahrgenommen, über Werte, Identität und Zukunft gestritten werden kann? Unser Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung könnte hochpolitisch sein, wenn es uns gelänge, das eigene Bewusstsein des Reformbedarfs in Taten umzusetzen. Warum ist es so schwer, auf neue inhaltliche Anforderungen produktiv zu reagieren und spürbare Veränderungen in der Museumspraxis auszuprobieren?

Komplexe Organisationen wie die Klassik Stiftung Weimar oder die Potsdamer Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg – von Trägergemeinschaften mit Millionenbeträgen öffentlich gefördert – tragen eine besondere Verantwortung in dieser Umbruchszeit. Unser hybrides Aufgabenspektrum reicht vom populären Programm über die außerschulische Bildung bis zur Forschung am Objekt; sie umschließt neben dem Museums- und Ausstellungsbetrieb die wissenschaftliche Erschließung und Digitalisierung von Sammlungen sowie die Garten- und Baudenkmalpflege. Deshalb könnten wir ideale Versuchsfelder für den fälligen Strukturwandel in der deutschen Kulturlandschaft sein.

Wandel im Selbstverständnis

Mit unseren Erfahrungshorizonten in Potsdam und Weimar plädieren wir zunächst für einen Wandel im Selbstverständnis der Museen. Forschung muss auch im gesellschaftlichen Sinne eine angewandte, gemeinsame Wissensschöpfung mit Besucherinnen und Nutzern zur Norm werden. Dabei geht es nicht um Qualitätssteigerung in der Vermittlung unserer Themen in Ausstellungen und Programmen, sondern um einen Perspektivwechsel. Wir hinterfragen eben diese Themen und unsere Herangehensweisen selbst. Es gilt, möglichst rasch die Autorität der Kathederposition aufzugeben und nicht nur uns, sondern vor allem unser Publikum und die übergroße Gruppe der Nicht-Besuchenden zu fragen, zu welchen Themen in welchen Formaten sich die Gesellschaft heute überhaupt verständigen will.

Ein Beispiel: Museen werden zu Recht an ihrer Haltung und Rolle in der aktuellen Dekolonialisierungsdebatte gemessen. Für die Potsdamer Schlösserstiftung ist das hochrelevant, da die Rolle des preußischen Hofes in der Geschichte des deutschen Kolonialismus wesentlich war. Im Team ist Eigeninitiative und Engagement groß. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe bringt Wissen zusammen, organisiert den Austausch, steht für externe Initiativen bereit und setzt Prioritäten in der Forschung. Innerhalb kurzer Zeit gab es konkrete Ergebnisse: Fortbildung, Online-Präsentation von Objekten, Informationen vor Ort. Eine Ausstellung im Schloss Charlottenburg wird das Thema erstmals umfassender darstellen.

Räume für eine offene Gesellschaft

Schwieriger ist es, innerhalb bestehender Strukturen, Routinen und Überzeugungen eine physische Transformation der Weimarer und Potsdamer Schloss- und Parkdenkmale zu »Dritten Orten« zu bewirken und unsere historischen Räume direkt im Alltagsleben der Menschen zu verankern: einfach zugänglich, zu Entspannung und Geselligkeit einladend. Die Klassik Stiftung Weimar schafft seit 2021 neuartige Kontaktzonen unter freiem Himmel. Der kühnste Vorstoß ist mit dem nachhaltigen Co-Labor gelungen: Der unkonventionelle Maker Space mit großer Terrasse als offener Bühne dient nicht nur als Bildungsplattform, sondern wird mit regionalen Künstler- und Sozialinitiativen geteilt.

In der Praxis werden Erkenntnisse zu zentralen Fragen gesammelt: Welche Bedürfnisse lassen sich in einem Denkmal beherbergen? Wie stellt man die gastronomische Grundversorgung sicher? Wie halten es Museen aus, ihre Deutungshoheit abzugeben? Widerstände und Bedenken in den Teams werden moderiert. In traditionellen Stellenplänen jedoch fehlen Expertisen zum aktiven Einbinden externer Akteure in die Programm- und Ausstellungsarbeit. In den Museen mangelt es an flexiblen, offenen Räumen. So bedarf es letztlich einer Umwidmung vorhandener Planstellen und Raumressourcen, im Klartext kann dies heißen: statt eines Kustoden eine »Outreach«-Spezialistin einzustellen, die Vitrinengalerie für Keramik zur offenen Werkstatt umzufunktionieren.

Flexibilisierung der Organisationsstrukturen

Die größte Herausforderung besteht darin, den öffentlichen Dienst im Kultursektor zügig und spürbar reformfähig und flexibler zu machen, ohne die für das Kulturerbe notwendige Stabilität und Qualität sowie unseren sozialen Anspruch aufzugeben. Diese Aufgabe können Kultureinrichtungen allein nicht lösen, weil sie an rechtliche Rahmenbedingungen gebunden sind. Starre Stellenpläne und Vergütungsstrukturen, tiefgestaffelte Hierarchien und fixe Geschäftsordnungen sind Hindernisse für Veränderung. Für den Anschluss an den Gesellschaftswandel brauchen wir in vielen Bereichen Menschen, deren Ideal nicht eine lebenslange Laufbahn am selben Ort ist, sondern die erproben wollen, wie sich die Bastion Museum für neue gesellschaftliche Ansprüche öffnen ließe. Dafür müssen wir für grundsätzlich andere Biografien und Erfahrungen Zugänge ins System schaffen.

Im Moment helfen wir uns mit Projektstrukturen, die – im definierten Umfang – Funktions- und Ressourcenfixierungen zeitweise aussetzen. Im Rahmen eines mit Sondermitteln des Bundes finanzierten Modellprojekts zum Strukturwandel konnte in Weimar eine Querschnittsdirektion »Digitale Transformation« etabliert, die Linienorganisation durch Matrixstrukturen und agile Arbeitsmethoden ergänzt werden. In Potsdam wurden in der fachübergreifenden Arbeit zur kolonialen Geschichte plötzlich Vorkenntnisse sichtbar, die vorher nicht gefragt waren, z. B. eine Afrikanistik-Ausbildung. Abteilungsstrukturen und Hierarchien sind dann effektiv, wenn sie Aufgaben möglichst direkt abbilden, etwa bei Restaurierungen oder der Erschließung von Bibliotheksbeständen. Bei komplexen und innovativen Themen ist dagegen interdisziplinäre Kooperation und strategisches Denken gefragt. Doch auch wenn in der Personalgewinnung mehr Diversität angestrebt, in der Forschung gesellschaftlich virulente Themen verfolgt oder Denkmäler barrierefrei umgestaltet werden sollen, ist systematisches Prozessmanagement über innere und äußere Grenzen hinweg notwendig.

Mehr Diversität in den eigenen Reihen

Neben dem Strukturwandel ist ein Umdenken in den Kulturinstitutionen selbst notwendig. Hier geben bis heute bildungsbürgerliche Schichten den Ton an. Der Abstand zwischen gesellschaftlicher Realität und Kultursoziotop nimmt weiter zu. Menschen mit transkulturellem Hintergrund oder aus bildungsferneren Milieus schaffen es bislang kaum in Führungsebenen. Das erschwert grundlegend eine Neuausrichtung. Somit müssen wir paradoxerweise einen Prozess gestalten, der die eigene Machtposition systematisch zur Disposition stellt. Die Kulturstiftung des Bundes hat mit Programmen wie »360°« Hilfe angeboten; beteiligte Einrichtungen bestätigen, wie notwendig und schwierig die Aufgabe ist.

Neue Aktionsformen brauchen ein neues Selbstverständnis, das sich primär auf die externen Adressaten bezieht, nicht auf die Traditionen des eigenen Berufsstands. Klassische Museumsberufe werden sich grundlegend wandeln, weil Spezialforschung ohne Anschluss an gesellschaftliche Fragestellungen nicht mehr zentral sein wird. Das bedeutet auch, klassische Qualifikations- und Stellenanforderungen zu ändern. In der universitären Ausbildung zeichnen sich transdisziplinäre und transkulturelle Aspekte oder der Kompetenzaufbau in Netzwerk-, Outreach- und Demokratiearbeit noch nicht ausreichend ab. Hier ist ein bundesweiter Anstoß unter Beteiligung der Länder, Universitäten, großer Stiftungen und der Kulturinstitutionen als Praxispartner sinnvoll. Ein erster Schritt wäre, Planstellen in der Vermittlung in die gleiche Eingruppierung wie wissenschaftliche Kustodenpositionen zu heben – das museumsinterne Äquivalent zur Misere der Pflegeberufe.

Museen in Zeiten des Klimawandels

Auch für die Museen wird der verantwortliche Umgang mit dem Klimawandel in den kommenden Jahren zu einer zentralen Aufgabe, wobei es zunächst nüchterner Analyse des eigenen Fußabdrucks statt vollmundiger Versicherungen bedarf. Unser Beitrag muss spezifisch sein.

Museen sind nicht nur Opfer des Klimawandels, sondern als Energiefresser Teil des Problems. Kulturproduktion und -präsentation sind mit struktureller Ressourcenverschwendung verbunden. Vollklimatisierte Museumsgebäude, aufwendige Kunsttransporte, die Wegwerfkultur im Ausstellungswesen – nur wenn Museen ihre zwiespältige Rolle in der Klimaproblematik offenlegen, können sie glaubwürdig an der Diskussion teilnehmen. Strategische Ziele müssen neu definiert, ressourcenschonende, stärker auf die eigenen Sammlungen bezogene Aktivitäten mit globalen Horizonten entwickelt werden. In der Bewahrung und Umnutzung bestehender Bausubstanzen, beim schonenden Technikverzicht und mit dem Primat des historischen Klimas können Denkmalpflegeeinrichtungen allerdings zu Recht eine Vorreiterrolle beanspruchen. In Potsdam ist Nachhaltigkeit bereits seit 2008 das zentrale Kriterium des Sonderinvestitionsprogramms. 2024 wird der Park Sanssouci Ort eines Themenjahres zum Klimawandel. Die Klassik Stiftung saniert unter diesen Prämissen seit 2020 das UNESCO-Weltkulturerbe »Klassisches Weimar«.

Die Institution Museum musste sich im Laufe ihrer Geschichte immer wieder neu erfinden, um weiterhin für Menschen bedeutsam zu bleiben. In unserer Epoche verlangt der dramatische Wandel neue Konzepte, sonst droht schleichender Abbau und substanzieller Bedeutungsverlust. Deshalb ist es notwendig, alte Gewissheiten infrage zu stellen. Dies muss zuerst in den Institutionen selbst geschehen – dort, wo Veränderung konkret umgesetzt wird. Beginnen wir besser heute als morgen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2022.