Vor gut einem Jahr veröffentlichte »Politik & Kultur« einen kulturpolitischen Kommentar, den ChatGPT im Auftrag von Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, geschrieben hatte. Der erste Satz lautete: »Die Bedeutung von Kultur in unserer Gesellschaft kann nicht genug betont werden.« Und zum Schluss hieß es: »Insgesamt ist Kultur ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft und ihrer Identität. Die Förderung der Kultur und ihrer Vielfalt sollte daher ein wichtiger Bestandteil der politischen Agenda sein.« Das ist alles richtig, aber so banal, dass man solche Texte in dieser Zeitung nicht gewohnt ist. Für »Politik & Kultur« hat die Künstliche Intelligenz so keinen Mehrwert gebracht. Im künstlerischen Alltag sieht das aber bereits anders aus.
ChatGPT löste vor über einem Jahr den Hype um Künstliche Intelligenz aus. Diese KI-Chatbots werden mit großen Datenmengen gefüttert und formulieren so Texte annähernd auf dem Sprachniveau eines Menschen, indem sie Informationen zusammenfassen. Mit der im Moment neuesten Version der KI-Software lassen sich nun auch gefakte Bilder erstellen.
Künstliche Intelligenz hat bereits in allen künstlerischen Branchen Fuß gefasst und sorgt für teilweise heftige Diskussionen um Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit, künstlerische Kompetenz, Urheberrechte, Verwertungsgebühren und künftige Arbeitsplätze. Künstliche Intelligenz ist für die einen die Zukunft, für die anderen der Untergang.
Der amerikanische Maler Arup J. Paul, der in Hamburg lebt, hat monatelang eine KI-Software mit seinen Farben, Formen und Pinselstrichen gefüttert. Das Ergebnis konnte 2023 in Hamburg-Wilhelmsburg in einer Ausstellung bestaunt werden, über die das »Hamburg Journal« des NDR berichtete. Besucher, die in dem Bericht interviewt wurden, vermochten die KI-Bilder von den »real« produzierten nicht zu unterscheiden. »Ich habe die Künstliche Intelligenz so programmiert, dass sie wie ich denkt und malt, meine Komposition versteht und meinen Pinselschlag nutzt. Sie malt nun so wie ich«, sagt der Maler. Mithilfe der KI könne er nun Dimensionen seiner Bilder erreichen, für die er sonst viele Jahre malen müsste. Die Besucher hatten grundsätzlich keine Einwände gegen den Einsatz der KI in der Malerei.
Eine andere Erfahrung machte das Mauritshuis-Museum in Den Haag: Als das Gemälde »Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge« von Jan Vermeer ausgeliehen war, startete das Museum einen Aufruf für eine »Kopie«, um die Lücke zeitweise zu füllen. 3.500 neue Interpretationen des um 1665 entstandenen Bildes erhielt die Galerie daraufhin. Ein Bild, mithilfe von KI entstanden, sorgte für Proteste. Doch die Jury entschied sich dafür, weil es ihr am besten gefiel.
Ähnliche Beispiele finden sich inzwischen überall im Kunstbereich: So berichtete ZDFheute im März über die Software »Suno AI«. »Die neue Version des KI-Modells gilt als Maßstab für Songs per Mausklick«, so das Nachrichtenmagazin. Der österreichische Musikproduzent Thomas Foster war von der Qualität des Ergebnisses sehr überrascht. Diese KI-Software könne, so der Komponist elektronischer Musik, einen kompletten Song erstellen, der sich anhöre, als hätte ihn jemand geschrieben, der Musik studiert hat und seit 20 Jahren Musik komponiert und produziert.
Was ist Künstliche Intelligenz?
Es existieren für »Künstliche Intelligenz« verschiedene Definitionen, je nachdem, ob sie aus dem technischen, dem wissenschaftlichen oder dem gesellschaftspolitischen Spektrum stammen. Das Europäische Parlament hatte KI im vergangenen Jahr so definiert: »Künstliche Intelligenz ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren. KI ermöglicht es technischen Systemen, ihre Umwelt wahrzunehmen, mit dem Wahrgenommenen umzugehen und Probleme zu lösen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Der Computer empfängt Daten (die bereits über eigene Sensoren, zum Beispiel eine Kamera, vorbereitet oder gesammelt wurden), verarbeitet sie und reagiert. KI-Systeme sind in der Lage, ihr Handeln anzupassen, indem sie die Folgen früherer Aktionen analysieren und autonom arbeiten.«
Die Geschichte der Künstlichen Intelligenz beginnt im Jahr 1943 mit der Veröffentlichung des Artikels »A Logical Calculus of Ideas Immanent in Nervous Activity« von Warren McCullouch und Walter Pitts. Da stellten die Wissenschaftler das erste mathematische Modell für die Erstellung eines neuronalen Netzes vor. Snarc, der erste Computer mit neuronalem Netzwerk, wird 1950 von zwei Harvard-Studenten entwickelt: Marvin Minsky und Dean Edmonds. Im selben Jahr veröffentlicht Alan Turing den Turing-Test, der auch heute noch zur Bewertung von KI herangezogen wird. 1952 entwickelte Arthur Samuel eine Software, die selbstständig das Schachspielen erlernen konnte. Der Begriff »Künstliche Intelligenz« hingegen wird zum ersten Mal während der Konferenz »Dartmouth Summer Research Project on Artificial Intelligence« von John McCarthy im Jahr 1956 ausgesprochen.
In der Bevölkerung sind, auch aufgrund einer breiteren gesellschaftlichen Debatte und einer umfangreichen Berichterstattung in den Medien, die Erwartungen an die KI ambivalent. Rund drei Viertel der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger (73 Prozent) sehen nach einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom vom November 2023 in Künstlicher Intelligenz eher Vorteile als Risiken. Demgegenüber hält nur knapp ein Viertel (24 Prozent) KI für eine Gefahr. Vor fünf Jahren war KI noch für 34 Prozent eine Gefahr und nur für 62 Prozent eine Chance. Rund zwei Drittel (65 Prozent) der Deutschen halten KI für die wichtigste Zukunftstechnologie, nur 29 Prozent halten das Thema für massiv überschätzt und einen Hype, so eine aktuelle Erhebung.
Etwas anders sieht das Stimmungsbild aus, wenn man nach den Auswirkungen für den Arbeitsmarkt fragt. Nach einer aktuellen Umfrage von statworx, einem Unternehmen, das KI-Services anbietet, blicken Menschen in verschiedenen Branchen bei diesem Thema pessimistisch in die Zukunft. 55 Prozent sagen, dass sie eher besorgt als begeistert von KI seien. Etwas mehr als die Hälfte der befragten Personen gab sogar an, Angst vor der »allgemeinen Entwicklung« im Bereich KI zu haben. Auch gegenüber dem Institut für Demoskopie Allensbach sagten 40 Prozent, dass generative KI sie beunruhige. Einer weiteren Studie zufolge finden sogar 58 Prozent der Deutschen KI »unsympathisch«. Das deutet darauf hin, dass ein großer Anteil der Bevölkerung diffuse Ängste und negative Assoziationen in Bezug auf KI hat.
Künstliche Intelligenz: Sorgen und Proteste von Künstlern
Diese sorgenvolle Grundhaltung deckt sich mit vielen Einschätzungen und Protesten in jüngster Zeit aus dem Kulturbereich. Dazu gehören Fragen, wem die KI-generierten Kunstwerke gehören oder ob die KI-Modelle mit urheberrechtlich geschütztem Material trainiert wurden. Auch die Musikverwertungsgesellschaft Gema sieht offene Fragen sowie Risiken für die Branche: »Die größte Sorge der Musikurheberinnen und -urheber ist, dass KI-generierte Musik in vielen Bereichen die menschlich gemachte Musik ersetzt.« Die Gema fordert in einer Erklärung deshalb mehr Transparenz von den KI-Firmen, einheitliche Kriterien für die Offenlegung der Trainingsdaten sowie eine Beteiligung der Urheber an den Erlösen. Bei Musikschaffenden überwiegt die Einschätzung, dass generative KI eher ein Risiko als eine Chance darstellt – wie eine Ende Januar veröffentlichte Studie zeigt: Im Auftrag der Gema (Deutschland) und Sacem (Frankreich) hat Goldmedia eine Studie zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Musikbranche in Deutschland und Frankreich durchgeführt. Wesentlicher Bestandteil war eine Online-Befragung der Mitglieder Ende 2023. Insgesamt nahmen über 15.000 Personen teil, die haupt- oder nebenberuflich als Komponisten, Textdichter oder für Musikverlage tätig sind. Viele der Befragten arbeiten zugleich auch als ausübende Künstler, Produzenten oder für Musiklabels. Besonders betroffen von generativer KI sei laut Gema der Bereich der sogenannten »production music« wie Hintergrundmusik, Gebrauchsmusik, aber auch Filmmusik. KI als Tool soll kreative Arbeit unterstützen, so die Gema, und nicht ersetzen.
Mehr als 200 Musikerinnen und Musiker haben im April in einem offenen Brief den verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz in derMusikindustrie und eine Wahrung der Rechte von Musikschaffenden im digitalen Raum angemahnt. Bands wie Bon Jovi, R.E.M. und Künstler wie Stevie Wonder und Katy Perry warnen vor der Verwendung von KI im Musikgeschäft. Sie wollten nicht zulassen, dass ihre Talente und Stimmen überflüssig werden. Die berühmten Stars und Bands befürchten, dass künstlerisches Schaffen von Musikern, damit ihre Lebensgrundlage und letztlich auch ihre Identität, in Gefahr seien, wenn KI »unverantwortlich eingesetzt wird«. Die zentrale Forderung ist, dass sich Musikplattformen und Tech-Firmen dazu verpflichten, keine Technologie einzusetzen oder zu entwickeln, die das künstlerische Schaffen von Musikern und Songschreibern untergräbt oder überflüssig macht. Zudem fordern sie Rechtsgrundlagen, beispielsweise dass Songschreiber Tantiemen dafür erhalten, dass Künstliche Intelligenz anhand von existierender Musik lernt.
In einer ähnlichen von Sorgen bestimmten Lage befinden sich auch Schauspielerinnen und Schauspieler. Wie die »taz« berichtet, verhandelt diese kreative Berufsgruppe gegenwärtig mit der Produzentenallianz über Regeln, wenn Daten von Darstellern digitalisiert, ihre Präsentation bearbeitet, und künstliche Abbilder erschaffen werden. Der Schauspieler Heinrich Schafmeister und seine Kollegen fordern bei diesen Punkten ein Mitspracherecht sowie eine zusätzliche Vergütung: »Große Schwierigkeiten haben wir mit Replikaten, die uns letztlich arbeitslos machen würden. Wir werden alles dafür tun, damit Kreativität gefördert wird und Kreative nicht abgeschafft werden«, so Schafmeister. Das sei laut »taz« das Ziel, über das er als Tarifverhandlungsbevollmächtigter der Schauspielergewerkschaft Bundesverband Schauspiel (BFFS) mit deutschen Kino- und TV-Produzenten diskutiere. Wie die »taz« schreibt, werte die Produzentenallianz die Befürchtungen wegen der Künstlichen Intelligenz als »zu kurz gedacht« und sei bemüht, die darstellenden Künstler mit Hinweis auf »die Mehrwerte« zu beruhigen: Etwa mit der Möglichkeit, noch im hohen Alter via Klon beruflich aktiv sein zu können. Oder mit der Aussicht, in anderen Weltregionen oder -märkten erfolgreich zu sein, weil sie die jeweilige Sprache generieren könnten.
Es ist fraglich, ob diese »Argumente« die Schauspieler überzeugen können, auf ihre Rechte an den durch KI generierten Inhalten zu verzichten. Monatelang hatten 2023 US-Drehbuchautoren und -Schauspieler gestreikt und gezeigt, dass sich Kreative erfolgreich gegen die Unbilden von KI wehren können. Das Bedürfnis nach mehr Geld und Schutz vor KI sei ein »goldenes Zeitalter« für die Schauspielergewerkschaft SAG-AFTRA, erklärte deren Präsidentin Fran Drescher. »Noch nie war unsere Gewerkschaft so stark wie heute.« Die Gewerkschaft vertritt die Interessen von rund 160.000 Schauspielern, Stuntleuten, Tänzern und anderen Darstellern im Filmgeschäft. Die Einigung umfasst mehr als eine Milliarde Dollar (umgerechnet 930 Millionen Euro) an neuen Vergütungen und Leistungen sowie den Schutz der Schauspieler vor dem Einsatz Künstlicher Intelligenz durch die Studios. Zuvor hatten auch die US-Drehbuchautoren mit den Studios eine Einigung erreicht.
EU-Kommission reagiert auf Bedenken gegenüber Künstlicher Intelligenz
Die vielen offenen Fragen, Verunsicherungen und Sorgen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz hat auch die EU-Kommission zu dem Versuch einer entsprechenden Regulierung veranlasst. Im März dieses Jahres wurde ein »AI Act« als Teil ihrer digitalen Strategie beschlossen. Es sei das weltweit erste umfassende KI-Gesetz, heißt es aus Brüssel. Bereits im April 2021 hatte die Kommission einen ersten Entwurf für einen KI-Rechtsrahmen vorgestellt. Der AI Act legt fest, dass KI-Systeme, die in verschiedenen Bereichen zur Anwendung kommen, je nach dem Risiko, das sie für die Nutzer darstellen, analysiert und eingestuft werden. Die verschiedenen Risikostufen unterliegen mehr oder weniger einer Regulierung. So werden KI-Systeme mit inakzeptablem Risiko verboten. Hierunter fallen z. B. Social Scoring oder die Echtzeit-Überwachung öffentlicher Räume mittels biometrischer Identifikation. Herzstück der Verordnung sind »Hochrisiko-KI-Systeme«. Sie unterliegen spezifischen Anforderungen und einer Zertifizierung. Betroffen sind KI-Systeme, wenn sie in einem bestimmten Bereich angewandt werden (z. B. Strafverfolgung oder Arbeitnehmermanagement) und gleichzeitig ein erhebliches Risiko für Gesundheit, Sicherheit oder Grundrechte betroffener Personen darstellen. KI-Systeme mit einem gewissen Risiko sind Anwendungen, die in irgendeiner Form direkt mit Menschen interagieren, z. B. Chatbots. Hier muss dem Nutzer transparent gemacht werden, dass nicht mit einem Menschen, sondern mit einer KI kommuniziert wird. Die Verordnung wird 20 Tage nach der Veröffentlichung im Gesetzblatt in Kraft treten. Das ist nach aktuellem Stand bereits Ende Mai 2024. Die Pflichten der Verordnung werden dann nach und nach greifen. In den ersten sechs Monaten haben Mitgliedstaaten verbotene Systeme schrittweise abzuschalten.
Ob dieses EU-Gesetz ausreicht, die Bedenken der Kreativen zu zerstreuen, ist zweifelhaft. Entscheidend wird sein, wie die Unternehmen der Kreativwirtschaft durch angemessene Vergütungen und den Schutz geistigen Eigentums Vertrauen in ihre Geschäftsmodelle und die Anwendung der neuen Technologie schaffen können.