Über 15 Jahre gestaltete Günter Winands Kulturpolitik in führenden Funktionen auf Bundesebene aktiv mit. Mit Beginn seines Ruhestandes ist er an die Universität Bonn, seine Alma Mater, zurückgekehrt, um die im Berufsleben gewonnenen Kenntnisse und Praxiserfahrungen an Studierende weiterzugeben. Theresa Brüheim spricht mit ihm über die Vermittlung von Kulturpolitik an deutschen Universitäten.
Theresa Brüheim: Sie waren viele Jahre als Ministerialdirektor Leitender Beamter bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Nun sind Sie Lehrbeauftragter für Kulturpolitik am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität in Bonn. Wie ist es dazu gekommen?
Günter Winands: Das war lange für meinen Ruhestand geplant. Hinzu kam, dass es bis dato in Bonn, wie an fast allen großen deutschen Universitäten, kein explizites Studienangebot zur Kulturpolitik gab. In den letzten Jahren ist zwar eine beträchtliche Zahl von kulturbezogenen Studiengängen an Hochschulen entstanden, insbesondere in den Bereichen Kulturmanagement, -pädagogik und -vermittlung. Mit dem Institut für Kulturpolitik verfügte die Universität Hildesheim lange Zeit über ein Alleinstellungsmerkmal. Daran hat sich bis heute nur wenig geändert.
Kulturpolitik ist in erster Linie ein Diskursfeld zivilgesellschaftlicher Akteure, namentlich des Deutschen Kulturrates, der Kulturpolitischen Gesellschaft und von politischen Bildungsstätten. Seit dem letzten Wintersemester können Bonner Studierende der Politikwissenschaft Seminare zur Kulturpolitik belegen. Interdisziplinär sind diese Lehrveranstaltungen zudem für Studierende der Kunstgeschichte geöffnet. Es geht also nicht um einen eigenständigen Studiengang. Angestrebt wird vielmehr, Kulturpolitik wie andere Politikfelder, z. B. die Bildungs- oder Sozialpolitik, als originären Gegenstand der politikwissenschaftlichen Forschung und Lehre zu verankern. Bonn könnte hier beispielgebend für andere Universitäten sein. Sich in einem Politik- oder Kunstgeschichtsstudium mit Kulturpolitik auseinanderzusetzen sollte selbstverständlich sein.
Inwieweit bestehen zu wenig Kenntnisse über Kulturpolitik bei Studierenden? Was ist Ihr Eindruck und auch Ihre Intention?
Wir haben derzeit in der universitären Lehre durchaus eine Lücke. Das Thema Kulturpolitik wird in dem politikwissenschaftlichen Bereich kaum beleuchtet. Dort stehen Dinge wie Regierungslehre, internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik im Vordergrund. Allerdings richte ich mein Seminar inhaltlich nicht ausschließlich auf Kulturpolitik aus, sondern ich werfe auch Fragen auf, die generell für Politikwissenschaftler interessant sind: Wie verlaufen etwa politische Entscheidungsprozesse im Kulturbereich? Sind diese per se anspruchsvoller als in anderen Politikfeldern? Ist Kulturpolitik gar eine besonders hohe Kunst der Politik? Welchen Einfluss können Kulturschaffende, Künstlerpersönlichkeiten, Kulturverbände oder das Feuilleton ausüben? Ich versuche am Beispiel der Kulturpolitik zu einem besseren Verständnis politischer Zusammenhänge und Abläufe in Parlament und Regierung beizutragen.
Das Interesse bei den Studierenden ist sehr hoch. Im zurückliegenden Sommersemester war das Seminar mehr als doppelt überbucht. Vielen ist bewusst, dass sie, falls sie später in Politik-, Gedächtnis- oder Kultureinrichtungen, staatlichen Institutionen, Verbänden oder im Medien- und Kommunikationsbereich arbeiten sollten, mit Fragestellungen der Kulturpolitik in Berührung kommen werden. Neugierde weckt zudem die bunte Palette kulturpolitischer Themen, die im Studium eher ungewöhnlich sind: von den Grenzen politischer Aktionskunst und Satire über den Umgang mit umstrittenen Denkmälern und Kunstwerken bis hin zu aktuellen Kontroversen über Cancel Culture. Als besonders bereichernd werden Exkursionen zu Bonner Kultureinrichtungen und dort geführte Gespräche wie z. B. mit der Intendantin der Bundeskunsthalle, Eva Kraus, oder dem Direktor des Beethoven-Hauses, Malte Boecker, wahrgenommen.
Ich versuche, die Studierenden zu ermuntern, außerhalb eingetretener Pfade eigene kreative Lösungswege zu entwickeln. Viele kulturpolitische Fragen sind derart kontrovers, dass es die eine Lösung nicht gibt.
Wie wählen Sie die kulturpolitischen Fragestellungen aus, die in Ihren Seminaren vermittelt werden?
Im Wintersemester 2022/23 habe ich mit einem Seminar zu den Grundlagen der Kulturpolitik in Deutschland begonnen. Es wurden Themen wie Kulturföderalismus, staatliche und private Kulturförderung, rechtliche Rahmenbedingungen der Kultur beleuchtet, aber auch Detailfragen wie Wege zur mehr Nachhaltigkeit und zum Umgang mit der Kultur in der Coronakrise. Im Sommersemester habe ich ein Seminar zu den aktuellen Herausforderungen der Kunstfreiheit in Deutschland angeboten.
Heute ist die Kunstfreiheit nicht mehr durch staatliche Eingriffe substanziell gefährdet, vielmehr müssen sich öffentliche Stellen immer häufiger dafür rechtfertigen, weshalb sie bei umstrittenen Kunstwerken, Aktionen oder Aufführungen nicht oder zu spät einschreiten und diese womöglich sogar aus Steuermitteln fördern. In der staatlichen Kulturförderung steht die Kunstfreiheit in einem systemimmanenten Spannungsfeld mit der politischen Letztverantwortung des öffentlichen Geldgebers. So haben wir am Beispiel der documenta fifteen untersucht, ob und wie antisemitische oder andere die Menschenwürde tangierende Auswüchse in der Kunstwelt verhindert werden können und wer dafür die Verantwortung trägt: Ausstellungsmacher, Geschäftsführung, Einrichtungsträger oder die Politik? Wir haben weitere Beispiele umstrittener Kunstaktionen thematisiert sowie generell die Frage diskutiert, wie politisch Kunst sein kann und welche Einflussmöglichkeiten sie im politischen Meinungskampf besitzt.
Im kommenden Wintersemester werden wir das Thema Kulturpolitik und Nachhaltigkeit anfassen, sprich die Etablierung einer nachhaltigen Entwicklung in Kunst und Kultur. Als Amtschef der BKM habe ich mich dafür eingesetzt, Nachhaltigkeit und insbesondere eine umweltgerechte Entwicklung im Kulturbereich voranzubringen. Die BKM hat 2020 einen ersten Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt. Seit 2020 gibt es auch ein von mir mitinitiiertes und von der BKM gefördertes Aktionsnetzwerk »Nachhaltigkeit in Kultur und Medien«. Der Kultur ist zwar in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung kein eigenständiges Ziel gewidmet, aber die globalen Nachhaltigkeitsziele erfassen selbstverständlich auch diesen Bereich. Deren Verwirklichung erfordert an vielen Stellen in Kunst und Kultur noch ein erhebliches Umdenken und grundlegende Veränderungsprozesse, obgleich per se hier eine besondere Affinität zur Nachhaltigkeit besteht.
Welche Rolle spielt Kulturpolitik an deutschen Universitäten? Und welche Rolle sollte sie Ihres Erachtens spielen?
Bei den kulturbezogenen Studiengängen, die überall entstanden sind, fehlt mir grosso modo eine vertiefte Beschäftigung mit dem Thema Kulturpolitik als solche. Die Lehrangebote sind meist auf Teilbereiche der kulturellen Praxis ausgerichtet und stark anwendungsorientiert ausgerichtet. Das ist auch richtig. Aber es bedarf ebenso einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den politischen Rahmenbedingungen und Entscheidungsprozessen: Wie ist unsere Kultur aufgebaut? Woran liegt es, dass wir diesen Föderalismus haben? Was bedarf es an gesetzlichen Änderungen? Welche satzungsmäßigen Umgestaltungen in Einrichtungen sind nötig? Was kann man politisch verändern?
Kulturarbeit besteht nicht nur daraus, praktisch vor Ort zu wirken, sondern auch darin, immer wieder die politischen Dimensionen zu sehen. Das haben wir auf Bundesebene in den letzten Jahren zunehmend stärker verdeutlicht. Der Bund hat nicht mehr nur gefördert, sondern auch gezielt politische Akzente gesetzt. Das muss man ebenso an den Universitäten diskutieren. Wenn ich mir die politikwissenschaftlichen Lehrstühle anschaue, so kommt Kulturpolitik thematisch indes eben kaum vor. Es reicht nicht, an kleineren Universitäten Studiengänge zur Kulturvermittlung einzurichten, sondern wir brauchen an den großen Universitäten, da dort die meisten Studierenden ausgebildet werden, die Verankerung von Kulturpolitik in die universitäre Forschung und Lehre.
Vielen Dank.