Mit der Eröffnung des Ostflügels des Humboldt Forums im September 2022 sind das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin mit ihren Ausstellungen vollständig ins Zentrum Berlins umgezogen. Dieser Umzug von Dahlem auf die Museumsinsel erfordert ein in vielerlei Hinsicht neues, kritisches kuratorisches Arbeiten. Die Ausstellungen sind einem breiten vor allem auch internationalen Publikum einfacher zugänglich, befinden sich jedoch auch in einer Replik des ehemaligen Berliner Schlosses mit einer unter anderem an Zeiten des Kolonialismus mahnenden Fassade. Die Ausstellungen müssen mit ebendiesen kolonialen Kontexten, aus denen sie zu einem erheblichen Teil stammen, konfrontieren, gleichzeitig muss die Bedeutung der Objekte für die unterschiedlichen Kulturen thematisiert und ein Bezug zu einer globalen Gegenwart hergestellt werden.
Die Bestände des Ethnologischen Museums lassen sich ebenso wie die des Museums für Asiatische Kunst bis in das 17. Jahrhundert auf die brandenburgisch-preußische Kunstkammer im Berliner Schloss zurückverfolgen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts veränderte sich in Verbindung mit evolutionistischen Theorien die Konzeption vor allem ethnografischer Sammlungen grundlegend. 1873 wurde ein Antrag der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte auf ein eigenes Museumsgebäude bewilligt und ein »selbstständiges ethnologisches und anthropologisches Museum in Berlin« gegründet, das 1886 an der Königgrätzer Straße, heute Stresemannstraße, unter dem Namen »Königliches Museum für Völkerkunde« eröffnete. Unter dem Gründungsdirektor Adolf Bastian setzte eine organisierte Sammeltätigkeit mit dem Ziel ein, Kulturen in historischen wie gegenwärtigen Ausprägungen so vollständig wie möglich zu dokumentieren. Es entstanden umfangreiche Objektsammlungen, um für die damals vorherrschende kulturvergleichende Methode Objekte zur Verfügung zu haben. Über die Zeiten hinweg veränderten sich die Forschungsfragen und Ziele und damit auch die Sammlungsstrategien immer wieder. Heute gehören das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst international zu den größten und bedeutendsten ihrer Art mit mehr als 500.000 ethnografischen, archäologischen, kunst- und kulturhistorischen Objekten aus Afrika, Asien, Amerika, Australien und Ozeanien. Hinzu kommen 140.000 musikethnologische Tondokumente, 285.000 ethnografische Fotografien, 20.000 Filme und 200.000 Seiten Schriftdokumente.
Seit 2018 befinden sich das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst unter einer Direktion, agieren aber inhaltlich weiterhin als eigenständige Institutionen, die im Humboldt Forum eigene Ausstellungsbereiche präsentieren, dabei freilich das synergetische Potenzial der beiden Sammlungen nutzend. Dies führt zu einer neuen Organisationsstruktur, in der neben getrennten Zuständigkeiten für spezielle Sammlungsbereiche übergeordnete Kuratorinnenstellen geschaffen wurden. Dazu zählen Positionen für transkulturelle Zusammenarbeit, zeitgenössische Kunst, visuelle Anthropologie und Provenienzforschung. Das positive, jedoch gleichzeitig herausfordernde Spannungsfeld zwischen dem Standort Dahlem mit seinen umfangreichen Depotflächen – lediglich drei Prozent der gesamten Bestände werden in den Ausstellungen präsentiert – und dem Humboldt Forum als Ausspielungsort mit einer über die Stiftung Humboldt Forum in Kooperation umgesetzten Verzahnung von Ausstellungen unterschiedlicher Art – Dauerausstellungen, Wechselausstellungen, Sonderausstellungen – und einem großen Programmbereich im Gebäude erfordert eine neue Ausrichtung der kuratorischen Praxis. Exemplarisch seien an dieser Stelle die Wechselausstellungsflächen genannt, die circa ein Drittel der gesamten Ausstellungsfläche im Humboldt Forum ausmachen. Grundlage ist hier stets die enge Zusammenarbeit mit internationalen Partnerinnen und Partnern sowie mit Herkunftsländern und -kulturen, wobei je nach Ausrichtung des Ausstellungskonzepts die inhaltliche Verantwortung bei den Partnerinnen und Partnern liegt. Derzeit existieren beispielsweise Kooperationen mit Institutionen sowie mit wissenschaftlichen und Community-Vertreterinnen und -Vertretern aus Namibia, Tansania, Nigeria, Brasilien, Venezuela, Kolumbien, Mexiko, den USA, Kanada, China, Japan, Indien, Korea, Palau und Fidschi.
Nachdem zur Eröffnung des Westflügels im Herbst 2021 aufgrund der weltweit angespannten Situation im Zusammenhang mit dem Coronavirus nur wenige Kooperationspartnerinnen und -partner anreisen konnten, war bei allen Beteiligten die Freude enorm, dass es ein Jahr später zur Eröffnung des Ostflügels des Humboldt Forums weit mehr als 80 Personen waren. So wurde die Möglichkeit geschaffen, in der Eröffnung vorgelagerten, zehntägigen Workshops über die Gestaltung der zukünftigen Arbeit intensiv zu diskutieren. Aus diesen Diskussionen entstand ein von den Partnerinnen und Partnern gemeinsam erarbeitetes Papier mit dem Titel »Dignity – Continuity – Transparency«. Dieses Abschlussdokument macht sehr deutlich, dass kontinuierliches kollaboratives Arbeiten den Kernbereich zukünftiger kuratorischer Praxis darstellen sollte. Die hier gestellten Forderungen gilt es zu erfüllen und umzusetzen, wenn die Museen auch in Zukunft glaubwürdig sein wollen. Zu betonen ist an dieser Stelle, dass in den zahlreichen Diskussionen vonseiten der Partnerinnen und Partnern klar formuliert wurde, dass es ihnen zunächst und vor allem um nachhaltige Kooperationen geht – die hierzulande so im Vordergrund stehenden Restitutionen wurden mehrheitlich als ein Teilaspekt solcher langfristigen Kooperationen betrachtet.
Dies soll und kann nicht davon ablenken, dass insbesondere Ethnologische Museen mit inhaltlichen Schwerpunkten auf diversen globalen Kulturen sich mit Aneignungs- und Eigentumsfragen und in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch mit Rückgaben auseinandersetzen müssen. Zentrale Ausgangspunkte sind dabei die Sammlungen materieller und immaterieller Kulturen.
Zukünftige kooperative Arbeitsfelder im musealen Umfeld sind die gemeinsame Erforschung und Befragung der Sammlungsbestände sowie die Auseinandersetzung mit ihren Kontexten von Erwerb, Aneignung, Translokation, Bewahrung, ggf. Restitution, Erweiterung und Vermittlung. Dies soll und muss zu einer Intensivierung von Dekolonisierung sowie Diversifizierung aller Aspekte der sammlungsbasierten Museumpraxis führen: Angestrebt wird dabei die größtmögliche Transparenz von Sammlungen, Dokumenten und Wissensstrukturen und ihre damit verbundene Zugänglichkeit für interessierte Stakeholder und Communitys, insbesondere auch für Partnerinnen und Partnern in den Herkunftsländern, angepasst an deren Lebens- und Arbeitsrealitäten. Dem in nichts nach steht im Übrigen auch die Einbeziehung von Akteuren der diversen Stadtgesellschaft, sprich von diasporischen Communitys, Kulturinitiativen, Kunstprojekten etc. Dies alles erfordert eine radikale Umstellung vieler Museumsbereiche wie Forschung, Ausstellungsplanung, Restaurierung sowie auch von Verwaltungsvorgängen. Neben dieser Umstellung und einer digitalen Zugänglichmachung von Beständen und Dokumenten ist für eine stärkere Öffnung des Museums ebenso ein gut funktionierendes Residency-Programm von ausschlaggebender Bedeutung. Die Herausforderungen, die dabei an die transkulturelle Kommunikation unter der Prämisse »Erst zuhören, dann handeln« gestellt werden, sind besonders arbeits- und zeitintensiv, wie die Erfahrungen der in zahlreiche Kooperationsprojekte involvierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst gezeigt haben. Mit den bislang vorhandenen personellen und organisatorischen Ressourcen sowie den einsetzbaren Mitteln lässt sich nur ein begrenztes Maß an produktiver Zusammenarbeit realisieren. Hier muss strukturell neu gedacht werden.
Zusammenfassend bestehen die mittelfristigen Ziele des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in einer intensivierten Provenienzforschung, umfangreichen Digitalisierungsmaßahmen sowie der Etablierung von Strukturen für Austausch- und Residency-Programme in europäischen wie in globalen Vernetzungsstrukturen. Eine zentrale Rolle spielt die Klärung von Eigentumsfragen, um damit eventuell zusammenhängende Restitutionen oder andere Lösungen herbeizuführen und so Möglichkeiten zu nachhaltigen kollaborativen Programmen inklusive gemeinsamer Ausstellungsprojekte zu eröffnen.