Bewegt sind die Besucherinnen und Besucher aus dem Krönungskutschensaal der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin am 12. Februar dieses Jahres nach Hause gegangen. Bewegt auch, weil »Ohren auf für Hanau!« nicht nur das Motto des Wettbewerbs und des Begegnungskonzertes war, sondern weil die Schülerinnen und Schüler des Feudenheim-Gymnasiums Mannheim ihren selbst komponierten und getexteten Song so genannt haben. Der Song war eine gelungene Mischung aus Popsong und Rap. Aber nicht nur diese Klasse überzeugte, jeder einzelne Musikbeitrag eines jeden Ensembles sprach Ohr, Auge und Herz an. Mehr als einmal standen den Zuschauenden und Zuhörenden die Tränen in den Augen ob der berührenden Beiträge.
Der Wettbewerb wurde von der Initiative kulturelle Integration in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Musikunterricht verwirklicht. Im April 2024 wurden die Musiklehrerinnen und -lehrer der allgemeinbildenden Schulen adressiert, sich gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern mit dem rassistischen Attentat in Hanau am 19.02.2020, bei dem neun Menschen getötet wurden, auseinanderzusetzen und ein musikalisches Statement gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu setzen. Gewünscht waren selbst komponierte und getextete Songs – also keine Interpretation vorhandener Werke, sondern eigenes kreatives Schaffen. Die Präsidenten des Bundesverbandes Musikunterricht, Georg Biegholdt und Jürgen Oberschmidt, haben beim Begegnungskonzert und am Abend vorher betont, dass ihnen das bei diesem Wettbewerb besonders am Herzen gelegen habe. Es ging nicht um die perfekte Interpretation eines bekannten oder auch weniger bekannten Werkes der Musikgeschichte, sondern um die Auseinandersetzung mit dem Thema und die musikalische Übersetzung; dass diese auch noch mitreißend aufgeführt wurde, war ein besonderer Genuss.
Mit der kompositorischen Eigenleistung ordnet sich der Wettbewerb »Ohren auf für Hanau!« in die Reihe der bisherigen Wettbewerbe im Gedenken an den rassistischen Anschlag in Hanau ein. Im Schuljahr 2022/23 stand das Schulfach Theater im Mittelpunkt. Am 7. Februar 2023 führten 12 Schultheatergruppen selbst erarbeitete Szenen im Deutschen Theater Berlin auf. Im Schuljahr 2023/24 stand das Schulfach Kunst im Fokus. Eine Ausstellung mit 84 Arbeiten, Zeichnungen, Fotografien, Collagen u. a. wurde am 13. Februar 2024 im Kulturforum der Staatlichen Museen zu Berlin eröffnet und konnte zwei Wochen lang dort besucht werden. Anschließend wurden die Arbeiten in der Jugendkunstschule Atrium in Berlin ausgestellt. Im Schuljahr 2024/25 dann das Schulfach Musik und die erwähnte Aufführung am 12. Februar in Anwesenheit von Kulturstaatsministerin Claudia Roth.
Andrea Tober, Rektorin der Musikhochschule Hanns Eisler, hielt in ihrer Begrüßungsrede ein leidenschaftliches Plädoyer für die kulturelle Vielfalt, für die Kraft der Musik und für die Bedeutung des Schulfaches Musik – denn damit werden alle Kinder und Jugendlichen erreicht, egal, ob musikinteressiert oder nicht. Mit Nachdruck verwies sie darauf, dass Musik eine Sprache mit einem eigenen Vokabular und grenzüberschreitend ist. Allein an ihrer Musikhochschule lehren und studieren Menschen aus 50 Nationen. Claudia Roth verwies in ihrer Begrüßung ebenfalls auf die emotionale Bedeutung von Musik. Sie unterstrich den Wert des Zuhörens und machte deutlich, dass Musizieren ohne Zuhören nicht möglich ist. Sie forderte dazu auf, die Ohren aufzumachen und zuzuhören.
Das Zuhören, Aufeinanderhören stand auch im Mittelpunkt des Begegnungsabends, der vor dem Konzert am 11. Februar in Berlin stattfand. Vertreterinnen und Vertreter dreier Initiativen, der Bildungsinitiative Ferhad Unvar, der »Schülerpaten« und der Initiative »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« stellten ihre Arbeit den anwesenden 100 Schülerinnen und Schülern vor. Sie unterstrichen, dass Rassismus, Antisemitismus und Hass kein Raum gegeben werden dürfe. Serpil Temez Unvar, die nach der Ermordung ihres Sohnes Ferhad Unvar in Hanau die Bildungsinitiative gegründet hat, beeindruckte einmal mehr die Anwesenden. Sie unterstrich, dass, obwohl ein deutscher Rassist ihren Sohn getötet hat, sie niemals auf den Gedanken gekommen sei, alle Deutschen als Rassisten zu bezeichnen. Umso bedrückender sei es für sie, wenn manche unterstellten, alle Migranten seien Islamisten oder unterstützten diese. Im Gegenteil, gerade Migranten wie sie setzen sich gegen Islamismus ein und werben für Zusammenhalt in Vielfalt. Sie setzt ihre Hoffnung in die engagierten jungen Menschen und zieht Kraft aus dem Engagement von Schülerinnen und Schülern. »Ihr seid die Zukunft«, rief sie ihnen zu. Sanem Kleff, Direktorin von »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« berichtete, dass inzwischen viele Lehrerinnen und Lehrer sich an sie wenden, weil sie sowohl von Schülerinnen und Schülern als auch von Eltern unter Druck gesetzt werden, wenn sie sich gegen Rassismus, Antisemitismus oder andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wenden. Einsatz für Demokratie, Einsatz gegen das Vergessen, Einsatz für Vielfalt verlangen vielerorts Mut, so sehr haben Hass und Spaltung Platz gegriffen. Umso wichtiger sind ihres Erachtens die Schulwettbewerbe im Gedenken an den Anschlag in Hanau. Sie ermutigen Lehrerinnen und Lehrer, sich weiterhin für die Demokratie stark zu machen, sie ermöglichen, sich in den künstlerischen Schulfächern kreativ mit den Themen auseinanderzusetzen, und sie stärken die Stimme der Schülerinnen und Schüler.
Ganz in diesem Sinne heißt es für das kommende Jahr »Film ab für Hanau!«. Schülerinnen und Schüler aller Schularten und aller Klassenstufen werden aufgefordert, sich mit einem filmischen Beitrag mit dem Anschlag in Hanau auseinanderzusetzen. Im April dieses Jahres wird die Ausschreibung veröffentlicht. Ich bin gespannt auf die dann zu sehenden und zu hörenden Beiträge.
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