In vielen Debatten geht es derzeit aufgeregt ans Eingemachte. Die Krisen und Konflikte in unserer Gesellschaft haben sich mittlerweile so weit in die soziale Struktur unseres Zusammenlebens hineingefressen, dass sie längst bis an den sozialen Zusammenhalt und an kulturelle Sinnfragen heranreichen. Und wie so oft, wenn es grundsätzlich wird, droht die Gefahr, dass in guter Absicht unkluge Entscheidungen getroffen werden.

Die Künste sind ja immer ein Schauplatz erbitterter Deutungskämpfe. Und doch droht hier eine qualitative Veränderung, seit die extreme Rechte den Kampf um die kulturelle Hegemonie im Land viel grundsätzlicher aufgenommen hat. Rechtspopulisten und -extreme arbeiten konsequent daran, kulturelle Koordinaten zu verschieben. Kunst ist für sie kein freier Raum der ästhetischen Positionierung und diskursiven Auseinandersetzung, sondern eine strategische Ressource für politisches Handeln. Sie streben eine »Kulturrevolution von rechts« (Alain de Benoist) an und wollen mithilfe einer sinnstiftenden Erzählung kulturelle Hegemonie erlangen.

Angesichts dessen ist es kein Wunder, dass der Druck auf die Kultur wächst. Schon vor mehr als fünf Jahren veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung eine Recherche zu rechten Aktionen gegen die Künste. Das Bündnis »Die Vielen« organisierte damals als Reaktion auf die Übergriffe übergreifende Solidarität zwischen den Kulturinstitutionen. Aber falls bei den anstehenden Kommunalwahlen rechtspopulistische und rechtsextreme Politikerinnen und Politiker an die Macht kommen und in der Folge lokale Kulturetats und -einrichtungen gestalten, wird das die Lage abermals verändern.

Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass sie diese Gelegenheit nutzen werden, um mit inhaltlichen Vorgaben in die Freiheit der Künste einzugreifen, um beispielsweise Bekenntnisse zu einer vermeintlichen Leitkultur zu verlangen. Im Programm zur letzten Bundestagswahl schrieb die AfD, dass die staatliche Kulturförderung nicht dazu missbraucht werden dürfe, die politische Willensbildung zu beeinflussen. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt forderte sie, dass Museen und Theater einen »positiven Bezug zur eigenen Heimat« zu befördern hätten. Öffentlich geförderte künstlerische Programme sollen sich demnach nicht mehr in aktuelle Debatten und Diskurse einmischen, sondern vorgegebene Traditions- und Wertebestände vermitteln.

Was das heißt, hat die AfD-Bundestagsfraktion Anfang 2023 verdeutlicht, als sie die Bundesregierung unter anderem aufforderte, »die aktuelle Reduktion kultureller Identität auf eine Schuld- und Schamkultur, die die Regierungspolitik und weite Teile der öffentlichen Meinung dominiert, durch positive Bezugspunkte kultureller Identität zu korrigieren, um die aktive Aneignung kultureller Traditionen und identitätsstiftender Werte wieder in den Vordergrund zu rücken«. In solchen reaktionären Positionierungen haben kulturelle Angebote bloß noch die Aufgabe, völkische Werte und Gesellschaftsvorstellungen zu verbreiten.

Es wird höchste Zeit, dass die freiheitlichen und demokratische Kräfte diese Herausforderung annehmen. Nicht indem sie bloß abwehrend erklären, warum die Vorstellungen der Rechtspopulisten und -extremen falsch sind, sondern indem sie die Freiheit der Künste und deren positive Kraft selbst zum Thema machen. Es lohnt, noch einmal die Rede zu lesen, in der Heinrich Böll bereits 1966 anlässlich der Eröffnung des Wuppertaler Schauspielhauses die Konsequenzen freier Kunst ausgelotet hat. »Kunst«, so sagte der Schriftsteller damals, »ist Freiheit; es kann ihr einer die Freiheit nehmen, sich zu zeigen – Freiheit geben, kann ihr keiner; kein Staat, keine Stadt, keine Gesellschaft kann sich etwas darauf einbilden, ihr das zu geben oder gegeben zu haben, was sie von Natur aus ist: frei.« Böll zog daraus eine klare Konsequenz: »Die Kunst muss zu weit gehen, um herauszufinden, wie weit sie gehen darf.«

Wer diese Bestimmung der immanenten Freiheit der Kunst ernst nimmt, weiß, wie sich die Künste gegen Instrumentalisierungsversuche von rechts verteidigen lassen. Und zwar, indem sie ausdrücklich nicht als gesellschaftlicher Kitt verstanden werden. Sie können nicht zusammenhalten, was kulturell, sozial oder politisch zerrissen ist. Aber künstlerische Arbeiten können vehement darauf aufmerksam machen, dass es wichtig ist, im Bereich des Ästhetischen und Spielerischen auch gegen allgemeine Überzeugungen zu arbeiten, sie zu testen, ihre Begründungen unter Stress zu setzen und alle herauszufordern, sich immer wieder neu über das zu verständigen, was ihnen wichtig ist.

Noch komplizierter wird die aktuelle Lage, wenn wir sehen, dass auch demokratische Kräfte regelmäßig Gefahr laufen, die Künste in den Dienst einer Sache nehmen zu wollen. Es gibt etliche Beispiele dafür, dass versucht wird, Zuwendungen an Auflagen zu knüpfen. Das ist grundsätzlich ein heikles Unterfangen. Denn natürlich ist es sinnvoll, dass die öffentliche Hand technische Hinweise z. B. zur Nachhaltigkeit von Produktionsprozessen formuliert. Aber es wäre kaum aushaltbar, wenn sie wünschenswerte Themen, Positionen oder gar inhaltliche Setzungen in der künstlerischen Arbeit quasi bestellen würde.

Doch genau das passiert zunehmend. Zweifellos aus guter Absicht heraus, aber deshalb noch längst nicht ohne problematische Folgen. Ein Katalysator dieser Entwicklung ist das öffentliche Entsetzen über den Terrorangriff der Hamas auf Jüdinnen und Juden in Israel am 7. Oktober und noch mehr über die hiesigen Reaktionen darauf. Das öffentliche Wiederaufflammen des niemals verschwundenen Antisemitismus in unserer Gesellschaft fordert uns in der Tat heraus, noch engagierter aktiv zu werden, um eine Gesellschaft, in der wir ohne Angst verschieden sein können, auch für alle zu sichern. Doch nicht wenige auch im kulturellen Leben brauchten nach dem 7. Oktober lange (sicherlich auch zu lange), um entsprechend zu reagieren. Die Künste gerieten bei manchen gar unter den Generalverdacht, antisemitischen Narrativen Vorschub zu leisten.

In der Folge beginnen Kulturverwaltungen nun, konkrete Bekenntnisse zur Grundlage positiver Förderentscheidungen zu machen. Sie versuchen so, einen gewünschten politischen Konsens zu festigen. Bei aller inhaltlichen Zustimmung kann man nur hoffen, dass die potenziellen Folgen solcher Entscheidungen gründlich bedacht werden. Denn auch wer in guter Absicht – dem berechtigten Kampf gegen den Antisemitismus – mit einem konstitutiven Prinzip (der Kunstfreiheit) bricht, bricht am Ende das Prinzip. Und das bleibt auf der grundsätzlichen Ebene nicht ohne Konsequenzen, sondern nimmt den Verteidigern freiheitlicher Kunst die Möglichkeit, künftige vielleicht weniger guten Absichten folgende Eingriffe öffentlich zu kritisieren.

Wenn die Verwaltung über die geltende Gesetzeslage hinaus in Zuwendungsbescheiden nun auch konkrete politisch-inhaltliche Vorgaben formuliert, die öffentlich geförderte Kunstproduktion zu bestimmten Bekenntnissen verpflichten, dann stößt diese Praxis nämlich eine Tür auf, durch die rechtspopulistische und rechtsextreme Kulturpolitiker nur allzu bereitwillig gehen werden – dann allerdings mit Vorgaben, die wir inhaltlich nicht mehr begrüßen würden. Gleiches gilt übrigens auch für rechtlich nicht bindende, sondern lediglich auffordernde und ermunternde Beschlüsse von Parlamenten oder Ministerkonferenzen, die ebenfalls einen Bereich auszufüllen versuchen, den wir in der Vergangenheit klugerweise der Verantwortung der frei arbeitenden Künste und der öffentlichen Debatte überlassen haben.

Während wir hier lange Zeit keine politischen Vorgaben gemacht haben, sondern öffentlich über richtig und falsch, über wahr und unwahr diskutiert und gestritten haben, soll jetzt ein wünschenswerter Stand der Erkenntnis vorab zur Spielregel gemacht werden. Es hat Folgen, wenn die notwendigen Regeln nicht mehr nur die Verfahren der öffentlichen Debatte, sondern zunehmend auch deren Inhalte normieren. Denn dann, so jüngst der Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung │ Hans-Bredow-Institut, Wolfgang Schulz, müsse man sich bewusst machen, »dass man hier die Ebene der kommunikativen Auseinandersetzung verlässt«.

Gesellschaftliche Konflikte lassen sich erfahrungsgemäß nicht durch Vorgaben beenden. Dadurch verändert niemand seine Meinung. Wer einen Konsens verbreitern und festigen will, braucht Diskurse und kommunikative Auseinandersetzung. Wir müssen uns öffentlich und diskursiv einlassen – auch und gerade auf die Inhalte künstlerischer Produktionen. Wenn es denen nämlich gelingt, uns in unseren Gewissheiten zu erschüttern, auch indem sie im Sinne Bölls mal zu weit gehen, hätten wir einiges zu gewinnen. Dann könnten wir nämlich mal wieder in der Sache streiten und nicht nur darüber, wer das Recht hat, welche Position in der Öffentlichkeit zu beziehen.

Wenn jetzt betont wird, dass die Kunst nicht regellos sei, dann stimmt das. Klare und transparente Regeln für den Umgang mit offensichtlich antisemitischen, rassistischen oder generell gruppenbezogen menschenfeindlichen Anträgen und Projekten sind sinnvoll. Gerade wenn es sich noch nicht um Fälle für das Strafrecht und die Gerichte handelt, braucht es transparente Maßstäbe. Bekenntnisse zu vorgegebenen Definitionen helfen hier nicht weiter. Diese Normen sollten von den geförderten Einrichtungen und Projekten aus ihrer künstlerischen Programmverantwortung heraus selbst erarbeitet und öffentlich zur Debatte gestellt werden. Daran wird aktuell auch vor dem Hintergrund des Fiaskos bei der documenta 15 vielerorts gearbeitet.

Wenn wir die dazu notwendige kulturpolitische Contenance nicht zu wahren wissen und jetzt staatlich vorpreschen, werden wir in ein paar Monaten dastehen wie Goethes Zauberlehrling. Der wird schließlich der in guter Absicht entfesselten Kräfte nicht mehr Herr und muss am Ende seinen Meister rufen: »Herr, die Not ist groß! / Die ich rief, die Geister / Werd’ ich nun nicht los.« In der Ballade aber geht es nur um einen nassen Fußboden. Wir haben dafür zu sorgen, dass das Fundament unserer Verfassung nicht durch bloß gute Absichten aufgeweicht wird. Wir brauchen festen Grund, wenn wir die inhaltlichen Übergriffe vom rechten Rand abwehren und die Freiheit der Künste sichern wollen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2024.