Manchmal wäre es verführerisch, wenn alles vereinfacht werden könnte, nach dem Motto: Alle Künstlerinnen und Künstler sind arm, und die Politik ist aufgerufen, ausschließlich für diese Gruppe sozialpolitische Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Doch so einfach ist es – zum Glück – nicht.
Im neuen Datenreport zur wirtschaftlichen und sozialen Lage im Arbeitsmarkt Kultur »Baustelle Geschlechtergerechtigkeit«, den wir für den Deutschen Kulturrat verfasst haben, wird ein besonderes Augenmerk auf die Geschlechtergerechtigkeit und insbesondere auf den Gender-Pay-Gap im Kultursektor gelegt. Um den Gender-Pay-Gap zu untersuchen, ist es selbstverständlich erforderlich, sich mit den Einkommensdaten von Frauen und Männern zu befassen. Damit gibt der Bericht über Fragen der Geschlechtergerechtigkeit hinaus insgesamt Auskunft zur wirtschaftlichen Lage im Arbeitsmarkt Kultur. Dem Thema wird sich aus drei verschiedenen Blickwinkeln genähert:
- den Erwerbstätigen in Kulturbranchen
- den Selbstständigen im Kulturbereich
- den abhängig Beschäftigten in Kulturberufen
Erwerbstätige in Kulturbranchen
Unter Erwerbstätigen werden abhängig Beschäftigte, Selbstständige, mithelfende Familienangehörige, Beamtinnen und Beamte sowie geringfügig Beschäftigte verstanden. Im Jahr 2022 waren rund 43 Millionen Personen erwerbstätig. Sie werden 21 Wirtschaftszweigen zugeordnet, beginnend beim verarbeitenden Gewerbe bis zu den Exterritorialen Organisationen und Körperschaften. Bei der Betrachtung der Wirtschaftszweige interessiert nicht, ob jemand einen bestimmten Beruf ausübt, sondern es geht um die Tätigkeit in einem Betrieb, der einer bestimmten Branche zuzuordnen ist. Oder um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Juristinnen in einem Verlag werden bezogen auf »Kulturwirtschaftszweige« genauso dem Kulturbereich zugeordnet wie Lektoren. In drei von den erwähnten 21 Wirtschaftszweigen werden besondere viele Unternehmen bzw. Selbstständige versammelt, die aus Kulturbetrieben stammen:
- Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen (z. B. Architekturbüros oder Designstudios)
- Information und Kommunikation (z. B. Verlage oder Rundfunkunternehmen)
- Kunst, Unterhaltung und Erholung (z. B. Künstlerinnen und Künstler oder Bibliotheken)
Nur die Wirtschaftszweige Information und Kommunikation sowie Kunst, Unterhaltung und Erholung lassen sich statistisch sinnvoll auswerten. Im Wirtschaftszweig Information und Unterhaltung sind etwas mehr Männer als Frauen beschäftigt, im Wirtschaftszweig Kunst, Unterhaltung und Erholung ist das Verhältnis nahezu ausgeglichen. Wird das Bruttojahresdurchschnittseinkommen in den genannten Wirtschaftszweigen mit dem Durchschnitt aller Wirtschaftszweige verglichen, ist es unterdurchschnittlich. Wird allerdings genauer hingeschaut, wird in Teilbereichen wie z. B. dem Verlegen von Büchern und sonstigem Verlagswesen sowohl von Männern als auch von Frauen über dem Durchschnitt verdient. Solch genaues Hinschauen lohnt sich auch mit Blick auf den Gender-Pay-Gap. Er beträgt im Anforderungsniveau Experten in allen Wirtschaftszweigen 26 Prozent, bei den Rundfunkveranstaltern 12 Prozent, bei den kreativen, künstlerischen und unterhaltenden Tätigkeiten 18 Prozent und in Bibliotheken, Museen und Archiven 12 Prozent. Wird das Anforderungsniveau Spezialisten betrachtet, liegt der Gender-Pay-Gap in allen Wirtschaftszweigen bei 19 Prozent, bei den kreativen, künstlerischen und unterhaltenden Tätigkeiten bei 11 Prozent und bei den Rundfunkveranstaltern bei 6 Prozent, werden die Fachkräfte in den Blick genommen, liegt der Durchschnitt bei 11 Prozent, bei kreativen, künstlerischen und unterhaltenden Tätigkeiten bei 11 Prozent und bei Bibliotheken, Museen und Archiven bei 6 Prozent.
D. h. ein genaues Hinschauen ist erforderlich. Nicht zuletzt auch deshalb, um bereits erreichte Verbesserungen hinsichtlich der Angleichung der Bezahlung von Frauen und Männern sichtbar zu machen und aufzuzeigen, dass der Kultursektor nicht in allen Fällen das Schlusslicht bildet. Nichtsdestotrotz gilt es festzuhalten, dass je höher die Qualifikation der Beschäftigten ist, desto größer ist der Gender-Pay-Gap.
Selbstständige im Kulturbereich
Sehr hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Selbstständigkeit die vorherrschende Erwerbsform im Kulturbereich sei. Das ist mitnichten der Fall. Wird nur die Kultur- und Kreativwirtschaft, also der marktwirtschaftlich orientierte Sektor des Kulturbereiches betrachtet, erweist sich, dass die Mehrzahl der Erwerbstätigen (64 Prozent) abhängig beschäftigt sind. Dabei sind große branchenspezifische Unterschiede vorhanden. So sind in der Games-Industrie 86 Prozent Angestellte tätig und im Kunstmarkt nur 15 Prozent. Von den Selbstständigen der Kultur- und Kreativwirtschaft sind die Mehrzahl sogenannte Mini-Selbstständige mit einem Jahresumsatz unter 22.000 Euro.
Wird die Gruppe der in der Künstlersozialkasse Versicherten, also die selbstständigen Künstlerinnen und Künstler sowie Publizistinnen und Publizisten, in den Blick genommen, fällt als Erstes auf, dass deren Zahl gesunken ist. Diese Veränderung ist zu einem erheblichen Teil demografisch bedingt. Im Jahr 2013 waren 10 Prozent der Versicherten über 60 Jahre alt, im Jahr 2023 sind es 24 Prozent. Oder anders ausgedrückt: Fast ein Viertel der Versicherten wird in den nächsten Jahren das Rentenalter erreichen. Dies zeigt sich insbesondere in der Berufsgruppe Wort mit einem Rückgang von 7.751 Versicherten im Jahr 2023 gegenüber dem Jahr 2013, hätte die Berufsgruppe Darstellende Kunst nicht einen Zuwachs an 5.813 Versicherten zu verzeichnen, wäre der Rückgang der Gesamtversichertenzahl noch größer geworden.
Das Jahresdurchschnittseinkommen der in der Künstlersozialkasse Versicherten ist bekanntermaßen sehr niedrig. Es liegt im Jahr 2023 in der Berufsgruppe Wort bei 24.251 Euro, in der Berufsgruppe Darstellende Kunst bei 20.731 Euro, in der Berufsgruppe Bildende Kunst bei 20.269 Euro und in der Berufsgruppe Musik bei 15.822 Euro. Diese Unterscheidung, dass in der Berufsgruppe Wort am meisten und in der Berufsgruppe Musik am wenigsten verdient wird, ist bereits seit Jahrzehnten festzustellen. Wird aber genauer hingeschaut, zeigen sich deutliche Einkommensdifferenzen, so erreichen Moderatoren ein Jahresdurchschnittseinkommenvon 47.404 Euro und Sängerdarstellerinnen von 9.336 Euro.
Der Einkommensunterschied besteht nicht nur zwischen verschiedenen Tätigkeitsbereichen, sondern auch hinsichtlich der Einkommen von Männern und Frauen. Der Gender-Pay-Gap beträgt 2023 in der Berufsgruppe Wort 18 Prozent, in der Berufsgruppe Bildende Kunst 28 Prozent, in der Berufsgruppe Musik 22 Prozent und in der Berufsgruppe Darstellende Kunst 32 Prozent. Der höchste Gender-Pay-Gap besteht im Tätigkeitsbereich Libretto mit 52 Prozent und der geringste im Tätigkeitsbereich Tanz (Ballett) mit minus 2 Prozent, d. h. Frauen verdienen mehr als Männer.
Tendenziell gilt auch bei den Selbstständigen, der Gender-Pay-Gap ist in jenen Tätigkeitsbereichen besonders hoch, in denen am meisten verdient wird. Also in den Tätigkeitsbereichen: Libretto, Moderation, Kabarett, Öffentlichkeitsarbeit, Mediendesign oder auch Industrie-/Modedesign.
Abhängig Beschäftigte in Kulturberufen
Abschließend soll sich den abhängig Beschäftigten in den Kulturberufen zugewandt werden. Hier wird der Blick auf diejenigen gerichtet, die in einem Kulturberuf tätig sind, ganz unabhängig von der Branche. D. h. hier werden u. a. auch Designerinnen und Designer, die in der Automobilwirtschaft tätig sind, in den Blick genommen. Im Jahr 2022 waren 507.600 Personen in Kulturberufen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das ist ein Zuwachs, im Jahr 2018 waren es noch 483.970. Die Mehrzahl davon sind sogenannte Spezialisten, d. h. sie üben gehobene Fach- und Führungsaufgaben aus und haben einen Meister- bzw. Technikerabschluss oder einen Bachelor. 2022 gehörten zu dieser Gruppe 203.360 Beschäftigte. 161.330 Fachkräfte, die Fachaufgaben wahrnehmen und eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, sind in Kulturberufen tätig. Die Experten, die Leitungs- und Führungsaufgaben wahrnehmen und mindestens einen Master- oder vergleichbaren Abschluss aufweisen, sind mit 145.930 Personen die kleinste Gruppe an abhängig Beschäftigten. In 10 Berufsgruppen liegt der Frauenanteil über 50 Prozent und in 6 unter 50 Prozent. Die Kulturberufe sind also tendenziell weiblich besetzt.
Wird das Einkommen betrachtet, zeigt sich auch hier, dass Männer das höchste Einkommen, nämlich in der Berufsgruppe Öffentlichkeitsarbeit, und Frauen das geringste, nämlich im Musikinstrumentenbau, erzielen. Durch alle Anforderungsniveaus hindurch erreichen Männer jeweils das höchste und Frauen das geringste Einkommen.
Der Gender-Pay-Gap ist wiederum sehr unterschiedlich. Werden die Beschäftigten aller Berufe im Anforderungsniveau Fachkräfte betrachtet, liegt der Gender-Pay-Gap bei 6 Prozent. In den Kulturberufen beträgt der höchste Gender-Pay-Gap bei den Fachkräften 19 Prozent (Kunsthandwerk) und der niedrigste 7 Prozent (Bühnen- und Kostümbild). Bei den Spezialisten liegt der Gender-Pay-Gap aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei 21 Prozent, in der Theater-, Film- und Fernsehproduktion bei 21 Prozent als höchstem Wert unter den Spezialisten und im Bühnen- und Kostümbild bei 9 Prozent als geringstem Wert. Bei den Experten liegt der Gender-Pay-Gap bezogen auf alle Beschäftigten bei 22 Prozent, im Produktdesign erreicht der Wert 27 Prozent und in Museumstechnik und -management minus 1 Prozent. Auch diese Werte belegen, dass eine differenzierte Betrachtung des Kultursektors geboten ist.
Tendenzen
Gleichwohl lassen sich einige allgemeine Tendenzen festhalten:
- je technischer ein Beruf, desto weniger Frauen sind darin tätig,
- je höher die erforderliche Qualifikation und das erreichte Einkommen sind, desto größer wird der Gender-Pay-Gap,
- je mehr das Einkommen frei verhandelt wird, desto eher ist ein hoher Gender-Pay-Gap anzutreffen.
Ein Befund, der im Übrigen nicht allein auf den Kulturbereich, sondern auch auf andere Branchen zutrifft. D. h. Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation von Frauen in der Kulturbranche, ganz unabhängig von der Erwerbsform, müssen im Kontext der gesamten Debatte um mehr Geschlechtergerechtigkeit gesehen werden. Zusätzlich zu den generell erforderlichen Maßnahmen, um das grundgesetzlich verbriefte Ziel der Gleichberechtigung von Mann und Frau zu erreichen, ist es erforderlich, auf die spezifischen Herausforderungen im Kultursektor einzugehen. Dazu mehr in der nächsten Ausgabe von Politik & Kultur.