In den Tagen vor Redaktionsschluss fanden in zahlreichen großen, aber auch in vielen kleinen Städten Demonstrationen für Vielfalt und gegen Rechtsextremismus statt. Auslöser der Proteste war eine Recherche von Correctiv über ein Treffen von Rechtsextremen und Identitären in Potsdam, an dem auch AfD-Mitglieder teilgenommen haben. Bei diesem Treffen soll, so die Berichte von Correctiv, darüber gesprochen worden sein, dass Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte Deutschland verlassen sollten. Als Begriff hierfür wird »Remigration« verwandt, und drei Gruppen werden in den Blick genommen: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und »nicht assimilierte Staatsbürger«, also Deutsche.

Die Recherchen von Correctiv brachten das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen. Innerhalb kürzester Zeit organisierten Bürgerinnen und Bürger sowie unterschiedliche Organisationen Demonstrationen und meldeten diese an. Die Resonanz bei den Bürgerinnen und Bürgern war so überwältigend, dass beispielsweise in Hamburg am 20. Januar und in München am 21. Januar die Demonstrationen vorzeitig beendet werden mussten, weil so viele anwesend waren und noch kommen wollten, dass die Orte viel zu klein waren.

Das ist ein beeindruckendes Zeichen einer lebendigen Demokratie, und es ist ein klares Signal, dass die Bürgerinnen und Bürger zu einer vielfältigen Gesellschaft stehen. Verschiedene Unternehmen machen unmissverständlich klar, dass sie nicht nur für Vielfalt einstehen und daher Remigrationspläne entschieden ablehnen, sondern vielmehr um Zuwandererinnen und Zuwanderer aus der EU und aus Drittstaaten werben. Vertreterinnen und Vertreter von Kirchen beziehen klar Stellung für die Vielfalt in unserer Gesellschaft. Die Vorsitzenden der im DGB zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften haben in einem gemeinsamen Video-Statement wenige Tage vor den Demonstrationen des Wochenendes 20. und 21. Januar unterstrichen, wie wichtig das Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft ist.

Das alles zeigt die wache Zivilgesellschaft, das Engagement der Bürgerinnen und Bürger, der Religionsgemeinschaften, Sozialpartner und vieler anderer.

Bereits seit 2016 gibt es die Initiative kulturelle Integration, in der unter der Moderation des Deutschen Kulturrates vier Bundesministerien (Bundesministerium des Innern und für Heimat, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration), die Kulturministerkonferenz, die kommunalen Spitzenverbände, die Sozialpartner, die Medien, die Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie die Zivilgesellschaft einschließlich Migrantenorganisationen zusammenarbeiten. Im Jahr 2017 haben die 28 Mitglieder der Initiative kulturelle Integration 15 Thesen »Zusammenhalt in Vielfalt« vorgelegt. Sie bilden seither die Referenz für Tagungen, Wettbewerbe und anderes mehr.

Im Jahr 2023 wurden die Thesen von den Mitgliedern der Initiative kulturelle Integration einer gründlichen Revision unterzogen. War die erste Fassung vor allem von dem Impetus getragen, angesichts der Ankunft vieler Geflüchteter in den Jahren 2015 und 2016 das Bild einer solidarischen Gesellschaft zu zeichnen, die auf die Kraft der Integration vertrauen kann, geht es jetzt darum, die Demokratie als solche in den Mittelpunkt zu rücken. In These 3 »Die parlamentarische Demokratie lebt durch Engagement und Respekt vor Entscheidungen« lautet der erste Satz »Die parlamentarische Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit«. Dieser Satz unterstreicht, dass Demokratie kein Wohlfühlprogramm ist, in dem der Staat als Dienstleister auftritt, der mehr oder weniger gut seine Arbeit macht. Nein, die Demokratie ist auf die Bürgerinnen und Bürger angewiesen, die sich engagieren in Vereinen, in Kirchen und Religionsgemeinschaften, in Gewerkschaften, in Arbeitgeberorganisationen, in den Parteien, in den Ortsräten und Kommunalparlamenten und anderen Orten mehr – auch im Kultursektor. Bürgerinnen und Bürger, die Verantwortung übernehmen und unser Gemeinwesen gestalten. Die erwähnte These 3 endet mit dem Satz »Die parlamentarische Demokratie lebt vom Wettbewerb um die besten Ideen und Konzepte für die Gesellschaft von heute und morgen«. Dieser Satz drückt aus, dass es in der Demokratie auch mal ungemütlich werden kann, es aber immer um den Respekt voreinander geht. In These 2 »Debatten- und Streitkultur zeichnet die Demokratie aus« formuliert die Initiative kulturelle Integration darum auch unmissverständlich: »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie Antisemitismus, Rassismus und alle anderen Formen der Diskriminierung und Ausgrenzung gefährden die Grundlagen der demokratischen Kultur. Sie haben in einer freiheitlichen Demokratie keinen Platz. Wer gegen Menschen hetzt oder gar Gewalt anwendet, muss mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.« Klare Worte, die hier gemeinsam im demokratischen Diskurs lebhaft, streitbar, aber immer konsensorientiert formuliert wurden.

Am 18. Dezember trafen sich Vertreterinnen und Vertreter der Initiative kulturelle Integration auf Einladung von Kulturstaatsministerin Claudia Roth im Bundeskanzleramt. Sie brachten zum einen zum Ausdruck, wie sie in ihren eigenen Institutionen sich für Demokratie und Zusammenhalt in Vielfalt einsetzen. Zum anderen wurden offene Fragen und Wunden wie z. B. die oftmals fehlende Bereitschaft, sich im lokalen Kontext politisch zu engagieren, oder auch die Bedrängung von ehrenamtlichen Politikerinnen und Politikern in den Gemeinden angesprochen. Es wurde deutlich, an vielen Stellen und Orten wird für Zusammenhalt in Vielfalt eingetreten. Die Demonstrationen der letzten Tage sind ein Signal, dass dies nicht nur auf dem Papier formuliert, sondern von den Bürgerinnen und Bürgern gelebt wird. Am 18. Dezember konnten die Mitglieder der Initiative kulturelle Integration ihre 15 Thesen »Zusammenhalt in Vielfalt« Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt überreichen, der den erkrankten Bundeskanzler vertrat.

Die Mitglieder sind mit der gegenseitigen Zusage auseinandergegangen, sich weiterhin gemeinsam für die lebendige Demokratie und den Zusammenhalt in Vielfalt einzusetzen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2024.