In der Politik gibt es immer kurze Zeitabstände, in denen man lange als unmöglich durchsetzbar geltende Anliegen doch durchsetzen kann. Solche offenen Fenster gab es auch immer mal wieder in der Kulturpolitik. Beispielsweise Anfang der 1980er Jahre mit der Gründung der Künstlersozialversicherung oder 1998 mit der Berufung des ersten Staatsministers für Kultur und Medien in der Bundesregierung. Alle diese Maßnahmen waren vor ihrer Verwirklichung extrem umstritten, ihre Umsetzungen haben sich aber als kulturpolitische Glücksfälle erwiesen.

Heute stehen wir wieder vor einem solchen geöffneten Fenster. Die Coronapandemie hatte den Kulturbereich in die Knie gezwungen. Besonders die soloselbstständigen Künstlerinnen und Künstler sind in kurzer Frist in existenzielle Not geraten. Die Politik hat gehandelt und hat große Hilfsprogramme zur Verfügung gestellt, die die aktuelle Not gelindert haben. Aber, es wurde überdeutlich, dass es im Kulturbereich strukturelle Probleme gibt, die durch die Pandemie sichtbar wurden, aber nicht von ihr ausgelöst wurden. Künstlerinnen und Künstler, das ist das Grundproblem, haben einfach ein viel zu geringes Einkommen. Im Durchschnitt verdienen die Mitglieder der Künstlersozialversicherung aktuell 1.600 Euro brutto im Monat. Das monatliche Bruttodurchschnittsgehalt eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers liegt deutlich über 4.000 Euro, ist also mehr als zweimal höher.

Diesen Missstand will die Politik jetzt ändern und plant die Einführung von Basishonoraren für künstlerische Leistungen, die von der öffentlichen Hand beauftragt werden. Die Kulturverbände sind aufgefordert, konkrete Vorschläge zu erarbeiten, wie hoch für die verschiedenen künstlerischen Leistungen diese Basishonorare ausfallen sollen. Eine zugegeben nicht einfache Aufgabe, aber eine große Chance, den ersten Schritt zu machen, die Künstlereinkommen signifikant zu erhöhen. Wenn erst einmal die öffentliche Hand verpflichtend Basishonorare bezahlt, ist der Weg nicht mehr weit, diese Honoraruntergrenze als allgemeingültig zu erklären und sie damit auch in der Privatwirtschaft zur Anwendung zu bringen. Doch jetzt verlässt manchen Künstlerverband der Mut. Was passiert, wenn die öffentliche Hand die höheren Honorare in der Zukunft bezahlen muss und dann weniger Geld für allgemeine Kulturförderung zur Verfügung hat? Ich sage, da müssen wir jetzt durch, ohne Risiko kein Erfolg.

Die Not der Coronazeit verblasst immer mehr, das geöffnete Fenster in der Politik fängt an, sich zu schließen. Wenn jetzt nicht schnell gehandelt wird, werden die Mindesthonorare für Künstlerinnen und Künstler nicht kommen.