Seit einem Jahr arbeitet Breschkai Ferhad als Referentin beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) in der Abteilung »Gesellschaftliche Verantwortung« in den Bereichen Nachhaltigkeit sowie Diskriminierung und Rassismus. Ende März überreichte Kulturstaatsministerin Claudia Roth im Auftrag des Bundespräsidenten das Verdienstkreuz am Bande an Breschkai Ferhad, Robert Kreis, Margaret Ménégoz und Hortensia Völckers. Alle Ausgezeichneten haben wichtige Impulse für die Kultur in Deutschland gesetzt. Sucht man – neugierig geworden – die Ausgezeichneten mit der obligaten Google-Suche, dann stößt man gleich auf deren Wikipedia-Einträge. Nur bei Breschkai Ferhad gibt es zwar viele Treffer im Bereich des ehrenamtlichen Engagements, der migrantischen Selbstorganisation, der Menschenrechtspolitik, der Toleranz im Sport oder der NGOs wie den neuen deutschen organisationen, aber keinen Wikipedia-Eintrag. Das sei ihr nicht wichtig, sagt sie und winkt ab. Wer ist diese unermüdliche Kulturarbeiterin, die sich engagiert um die Sichtbarkeit von Minderheiten bemüht, aber auf die eigene nur wenig Wert legt? Wer ist diese kulturpolitische Aktivistin, die eine war, Jahre bevor es diesen Begriff überhaupt erst gab?

Geboren wurde sie in Berlin-Wilmersdorf als Kind afghanischer Eltern. Die Ferhads kamen als Studierende nach Berlin: »Ich bin gebürtige Westberlinerin und sehr behütet in Wilmersdorf groß geworden.«

Mit dem Begriff der »Zweiheimischkeit«, der Bindestrich-Identität deutsch-afghanischer Einwanderer, identifiziert sich die Wilmersdorferin nicht so sehr: »Nee, ich bin hier geboren und krass in Berlin sozialisiert. Meine Schwester und ich haben zu Hause immer nur Deutsch gesprochen, denn meine Eltern wollten nicht, dass wir Nachteile in der Schule haben. Ich erlebte Afghanistan nur alle zwei Jahre, wenn die Familie in den Sommerferien nach Kabul fuhr. Es gab ja damals kein easyJet, und als vierköpfige Familie und für Studenten in den 1960er und 1970er Jahren nach Kabul zu kommen, das musste man sich leisten können. Dass ich jetzt zweiheimisch wäre, kann ich nicht sagen – also, ich würde mich eher als gar nicht heimisch oder als in Berlin heimisch bezeichnen, aber natürlich liegt mir Afghanistan am Herzen, und ich beobachte mit Abscheu, wie sehr dieses Land immer wieder im Stich gelassen wurde.«

Nach dem Abitur studierte Breschkai Ferhad Deutsch und Englisch. Noch als Studentin kam ihr Sohn zur Welt, und sie musste Arbeit und Kindererziehung unter einen Hut bringen. Später setzte sie ein Weiterbildungsstudium zur Kulturmanagerin, mit der Absicht, sich noch mal komplett neu zu orientieren, darauf.

Die Zeit schien günstig: In den 2000er Jahren postulierte die Politik – an der Regierung waren Gerhard Schröder und Otto Schily – den Aufstand der Anständigen, und in diesem Zusammenhang gründete das Bundesministerium des Inneren (BMI) ein Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt (BfDT). Ferhad bewarb sich damals erfolgreich und schrieb an der Geschichte des Bündnisses mit.

Fast zehn Jahre arbeitete Breschkai Ferhad für das Bündnis für Demokratie und Toleranz, vieles geschah auch im Ehrenamt. So oder so, immer war sie für ihr Engagement bekannt und für die Entwicklung neuer Formate gut: So schlug sie 2006, als das noch keinen interessierte, ihrem Chef vor, er solle sich um das Thema Antiziganismus kümmern, in welchem sie bis heute ehrenamtlich tätig ist. Oder sie initiierte als eine der Ersten Gesprächsreihen mit jungen Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte. »Wir haben in den 2000er Jahren dann zwar viel über Demokratie und Toleranz geredet, aber so richtig weit waren wir mit den Themen nicht. Und ich kann mich erinnern, dass immer wieder Leute zu mir kamen und sagten: ›Eigentlich sind Sie total okay, Frau Ferhad, wenn Sie nur nicht immer mit diesen anstrengenden Themen kommen würden.‹«

Ab 2007 lernte sie erstmals die gesellschaftspolitische Arbeit der Fußballverbände kennen und ging später zum Berliner Fußballverband, zuständig für den Bereich Toleranz im Sport. »Ich bin auch Fußballfan: Das ist eventuell noch ein weiteres Alleinstellungsmerkmal, dass es vielleicht nicht so viele Frauen mit familiärer Einwanderungsgeschichte und Fußballsachverstand gibt.«

Das Jahr 2015 und folgende waren »Gründerjahre«: Breschkai Ferhad schlug wieder ein neues Kapitel auf als Mitbegründerin der neuen deutschen organisationen, einem bundesweiten Netzwerk von knapp 200 Vereinen, Organisationen und Projekten. Die Mitglieder sind Nachkommen von Arbeitsmigrantinnen und -migranten, Geflüchteten, Sintize und Roma, afrodiasporische Menschen, jüdische, muslimische und andere dialogsuchende Engagierte. Man versteht sich als postmigrantische Bewegung gegen Rassismus und für ein inklusives Deutschland. Ferhad besorgte Geld, organisierte Strukturen und setzte sich für eine Verstetigung ein. Die feste Stelle in der Vereinsführung, die sie mitgeschaffen hatte, machte dann aber jemand anderes.

In diese Zeit fiel auch die Gründung des Netzwerkes »Kultur öffnet Welten« (von 2015 bis 2020), das Ferhad mit aufsetzte und wo sie in der Jury des BKM-Sonderpreises saß. »Kultur öffnet Welten« gilt bis heute als das bundesweit größte Netzwerk für Diversität und kulturelle Teilhabe – initiiert von Bund, Ländern und Kommunen, künstlerischen Dachverbänden und der Zivilgesellschaft inklusive Organisationen von Migrantinnen und Migranten.

2016 ging sie dann als stellvertretende Bundesgeschäftsführerin zum Bundesverband Netzwerke von Migrant*innenorganisationen (NeMO). Als dort nach zwei Jahren ihr Vertrag nicht verlängert wurde, gründete sie den Verein gesellschaftgestalten e. V. und arbeitete weiter ehrenamtlich und freiberuflich. Sie begleitete das BMI bei einigen Kapiteln im nationalen Aktionsplan Integration der Bundesregierung und kreierte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen für den DFB das Projekt »Fußball Verein(t) Gegen Rassismus«.

Nach vielen Jahren Arbeit im NGO-Bereich hat sich für Ferhad »der Kreis geschlossen«, seit sie hauptamtlich beim DFB in der Abteilung »Gesellschaftliche Verantwortung« arbeitet, und sie genießt die Wertschätzung, die ihr vonseiten des DFB entgegengebracht wird. Privates, Politisches und Persönliches ist ganz eng verwoben, denn Fußball begleitet Breschkai Ferhad ihr Leben lang: »Ich bin tatsächlich seit mehr als 30 Jahren BVB-Fan: Als alte Westberlinerin kuck ich mir an, wie die Hertha gespielt hat, aber im Kern bin ich tatsächlich BVB-Fan, ja.«

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2023.