Für die UNESCO stehen sie in ihrer kulturellen Bedeutung auf gleicher Stufe wie die Begräbnisstätten des Taj Mahal oder der Pyramiden: die Welterbe-Friedhöfe in Deutschland. Gleich sieben tragen diese UNESCO-Auszeichnung, so viele Friedhöfe wie in keinem anderen Land der Welt. Herausragend sind dabei der »Heilige Sand« in Worms und der »Judensand« in Mainz als prägende Stätten des SchUM-Welterbes sowie der »Historische Friedhof« mit der »Fürstengruft« in Weimar als zentraler Ort des Welterbes »Klassisches Weimar«. Zu den Titelträgern zählt auch der »Jüdische Friedhof auf dem Pfingstberg« in Potsdam, der auf der Welterbeliste der »Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin« steht. Erst jüngst hinzugekommen sind drei Friedhöfe in den Welterbegebieten »Bedeutende Kurstädte Europas«: der »Kapellenfriedhof« und der »Jüdische Friedhof« in Bad Kissingen sowie der »Hauptfriedhof« in Baden-Baden.

Bemerkenswert ist, dass vier dieser sieben Friedhöfe jüdisch sind und somit nachdrücklich belegen, wie tief jüdisches Leben in der Kulturgeschichte dieses Landes – aber auch Europas – verankert ist. Als ältester in situ erhaltener jüdischer Friedhof des Kontinents verkörpert der Heilige Sand in Worms fast 1.000 Jahre jüdische Trauerkultur, nicht zuletzt abzulesen an den acht Grabsteinen aus dem 11. Jahrhundert. Darunter befindet sich einer der ältesten überhaupt, der noch an seinem Ursprungsort steht: Der gut ein Meter hohe Sandstein von 1076/1077 hält mutmaßlich die Erinnerung an einen ehemaligen Rabbiner wach. Zu lesen ist auf Hebräisch: »Das ist der Leichenstein des Jakob haBachur, welcher verschied im Jahr 4837 (nach jüdischer Zeitrechnung). Seine Seele ruhe im Bündel des Lebens!«

Der Stein des Jakob ist nur einer von über 2.500 historischen Steinen auf dem Heiligen Sand, welcher sicherlich zu den berührendsten und faszinierendsten Friedhöfen unseres Landes gehört. Unweit der Stadtmitte mit Blick auf den nahen Wormser Dom gelegen, verschmelzen auf dem leicht hügeligen, unerwartet großen Areal die uralten Grabsteine mit der Natur zu einer parkartigen Gedächtnislandschaft. Von Mauern umgeben und geschützt, entpuppt sich der Friedhof als Ort der Ruhe und Kontemplation, und das vor allem für jüdische Pilger aus aller Welt. Sie kommen, um den Gräbern zweier der bedeutendsten Rechtsgelehrten des Judentums, Rabbi Meir von Rothenburg und Alexander ben Salomon Wimpfen, ihre Referenz zu erweisen. Viele derer Lehren haben bis heute Bestand, so die Wahrung des Briefgeheimnisses oder die Tatsache, dass Frauen bei Scheidungen gehört werden müssen.

Im Hochmittelalter war die Bedeutung des jüdischen Gemeindebundes SchUM, zu dem neben Worms auch Speyer und Mainz zählten, so groß, dass man vom »Jerusalem am Rhein« sprach. Zu den bis heute erhaltenen Gedenkstätten an diese großartige Zeit deutscher Kulturgeschichte zählt auch der »Judensand« in Mainz. Anders als sein Pendant in Worms liegt er nicht versteckt hinter Mauern, sondern offen an einer belebten Straße in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof. Auch hier stehen die uralten Steine in einer wunderbaren Parklandschaft, die als Kultur- und Naturoase gleichermaßen zum Erinnern und Entspannen einlädt. Und genau dies trifft auch auf den Historischen Friedhof in Weimar zu. Ebenfalls mitten in der Stadt gelegen, erinnert diese romantische Gedächtnislandschaft – hier in christlicher Prägung – vor allen an bedeutende Köpfe der Klassik, nämlich an Schiller und Goethe. Ihre Sarkophage sind die Attraktion der Fürstengruft, des auf einer kleinen Anhöhe gelegenen Mausoleums des Hauses Sachsen-Weimar.

In den Särgen, die neben denen der Herzogsfamilie stehen, hat allerdings nur Goethe seine letzte Ruhestätte gefunden – der Sarg von Schiller ist nämlich seit 2008 leer. Als der berühmte Dichter 1805 starb, waren sogenannte »Stille Beerdigungen« üblich: Die Verstorbenen wurden nachts in einer Sammelgruft beigesetzt, was selbst einflussreiche Schiller-Verehrer wie der spätere Weimarer Bürgermeister Carl Leberecht Schwabe nicht verhindern konnten. 15 Jahre später gelang es Leberecht jedoch, die sterblichen Überreste, allen voran den Schädel Schillers, sichern zu lassen – oder zumindest das, was er zusammen mit Sachverständigen seiner Zeit dafür hielt. 1820 wurden dann die Gebeine von »Schiller« in die repräsentative Fürstengruft überführt. Aber es kam, wie es kommen musste: 2008 zeigte ein Gentest, dass es nicht Schiller war, der in dem Eichensarg lag. Die Gebeine des Unbekannten wurden daraufhin in ein anonymes Grab umgebettet – der leere Sarkophag mit Schillers Aufschrift aber verblieb an seinem Ort. Und so ist er nach wie vor eine der Sehenswürdigkeiten des Klassik-Welterbes in Weimar, zusammen mit dem Sarg Goethes, der auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin neben seinem Freund Schiller beigesetzt wurde.

Diese Geschichte ist aber nur eine von vielen, die die Welterbe-Friedhöfe in Deutschland erzählen können. Alle sieben sind herausragende Kulturorte, die vor allem zeigen, wie maßgeblich die Friedhofskultur in Deutschland unsere kulturelle Identität mitgeprägt hat, was Friedhöfe für wunderbare Orte sind und wie bedeutend diese Erinnerungslandschaften nicht nur für unser Land sind.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2023-1/2024.