Am 28. April ließ eine Pressemeldung die Filmbranche aufhorchen: Der französische Film- und TV-Produzent Mediawan übernimmt die Produktionsfirma Leonine, eines der führenden unabhängigen Medienunternehmen Deutschlands und ein Hoffnungsträger der deutschen Filmwirtschaft. Die Leonine Holding GmbH, die ihren Sitz in München hat, wurde erst 2019 gegründet. Mit seinen drei Geschäftsbereichen Leonine Production, Leonine Distribution und Leonine Licensing deckt das Unternehmen die gesamte Wertschöpfungskette des Bewegtbild-Marktes ab. Leonine Studios produziert Spielfilme, Serien, TV-Shows, Entertainment-Formate, Infotainment-Formate sowie Content für Social-Media-Kanäle und koproduziert nationale und internationale Fiction-Formate. Die marktführende Lizenzbibliothek umfasst Programme aller Formate und Genres. Mediawan wurde Ende 2015 gegründet und ist eines der führenden unabhängigen europäischen Studios für die Produktion audiovisueller Inhalte. Die Gruppe ist in der gesamten Wertschöpfungskette tätig: Produktion von fiktionalen und nicht fiktionalen Stoffen, Dokumentarfilmen, Kinofilmen und Zeichentrickfilmen. Es existieren mehr als 70 Produktionslabels in Frankreich, Deutschland, England, Italien, Spanien, USA, Niederlande, Finnland und Senegal. Dazu gehören der Vertrieb von audiovisuellen Inhalten, die Verbreitung von Kanälen und digitalen Diensten sowie die Entwicklung und Produktion von digitalen Inhalten. Seit 2020 war Mediawan mit 25 Prozent an Leonine beteiligt. Hauptgesellschafter beider Unternehmen ist die Fondsgesellschaft KKR, das Unternehmen gehört weltweit zu den größten Beteiligungsfirmen. Gegenwärtig soll ein Vermögen von fast 430 Milliarden Dollar verwaltet werden. KKR ist an mehr als hundert Firmen beteiligt, die zusammen 750.000 Mitarbeiter beschäftigen. Parallel zur Beteiligung an Leonine hat KKR auch 42,5 Prozent an der Berliner Axel Springer AG übernommen. Nach dem Zusammenschluss, der noch von den Kartellbehörden genehmigt werden muss, wird die fusionierte Gruppe mit einem Umsatz, der die Milliarden-Marke übersteigt, zu den großen internationalen Playern im Filmbusiness zählen. Die drei größten US-Studios wie Universal Film erreichten 2023 1,8 Milliarden US-Dollar, Walt Disney Studios 1,5 Milliarden und Warner Bros. 1,4 Milliarden.
Innerhalb von fünf Jahren zum größten deutschen Film- und TV-Produzenten
Innerhalb von fünf Jahren hat sich – gemessen am Umsatz – Leonine mit 390 Millionen Euro auf Platz eins der deutschen Film- und TV-Produzenten katapultiert. Platz zwei nimmt die Constantin Film mit 350 Millionen Euro ein. Drittgrößtes deutsches Produktionsunternehmen ist die NDR-Tochter Studio Hamburg mit 330 Millionen Euro. Auf Platz vier folgt die öffentlich-rechtliche Tochter Bavaria Film mit 305 Millionen Euro. Auf Platz fünf liegt die RTL-Tochter UFA mit geschätzten 290 Millionen Euro, Platz sechs belegt Beta Film mit 206 Millionen Euro.
Die Constantin Film drehte im vergangenen Jahr in Rom die teuerste Serie, die bisher in Europa entstand. Bei Roland Emmerichs zehnteiligem Gladiatoren-Epos »Those About to Die«, das 2023 in Rom gedreht wurde, kostete die erste Staffel über 150 Millionen US-Dollar, pro Episode 15 Millionen Dollar. Im Geschäftsjahr 2022 machten Auftragsproduktionen für TV und Streaming den Löwenanteil am Gesamtumsatz aus, nämlich 66 Prozent oder 232 Millionen Euro. Zu den TV-Produktionen 2023 gehören: »Cassandra« (Netflix), »Dahoam is dahoam« (BR), »Der Kroatien-Krimi« (ARD), »Die Heiland« (ARD), »Justizpalast« (ARD), »LOL« (Prime Video), »Shopping Queen« (Vox), »Those About to Die« (Prime Video), »Ulrich Wetzel – Das Strafgericht« (RTL).
Studio Hamburg ist sowohl als Kino- als auch als TV-Produzent aktiv, erwirtschaftet gut zwei Drittel seiner Erlöse mit Produktion und Distribution, ein knappes Drittel mit Studios und Technik. Die Messlatte lag zuletzt hoch, weil die NDR-Tochter im Geschäftsjahr 2022 ihre konsolidierte Gesamtleistung auf rund 330 Millionen Euro und den Umsatz auf rund 320 Millionen Euro gesteigert hatte – ein Wachstum um 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr und neuer Firmenrekord. Studio Hamburg ist bekannt durch Serien und Reihen wie »Großstadtrevier«, »Notruf Hafenkante«, »Die Kanzlei«, »SOKO Wismar«, »WaPo Elbe«, »Traumschiff« oder »Rote Rosen«.
In den vergangenen fünf Jahren war für die Bavaria Film die Sky-Produktion »Das Boot« das mit Abstand aufwendigste High-End-Projekt mit hoher Umsatzrelevanz. Gesellschafter sind die WDR Mediagroup (33,35 %), SWR Media Services (16,67 %), Bavaria Filmkunst (16,67 %), LfA Gesellschaft für Vermögensverwaltung (16,67 %), MDR Media (16,64 %). Die Produktionsfirmen sind Bavaria Entertainment, Bavaria Fiction, Satel Film, Saxonia Media, Story House. Zu den wichtigsten Produktionen 2023 gehören: »Der Parkhausmord« (Sky), Die »Giovanni Zarrella Show« (ZDF), »Die Rosenheim-Cops« (ZDF), »Die Toten von Salzburg« (ZDF), »In aller Freundschaft« (ARD), »Rentnercops« (ARD), »SOKO Donau« (ZDF), »SOKO Stuttgart« (ZDF), »Sturm der Liebe« (ARD), »WaPo Berlin« (ARD) und »WaPo Bodensee« (ARD).
2017 feierte die UFA ihr 100-jähriges Bestehen und gehört damit zu einer der ältesten Unterhaltungsmarken der Welt. Mit jährlich mehr als 3.500 gesendeten Programmstunden präsentiert sich die heutige UFA-Gruppe als leistungsstarker Programmzulieferer in den Bereichen Film und Fernsehen. Unter dem Dach der UFA agieren die Produktionsunits UFA Fiction, UFA Serial Drama, UFA Show & Factual und UFA Documentary. Mit aktuell mehr als 30 seriellen Programmmarken hat die UFA mehr langlaufende Formate im Markt als jeder andere Produzent. Zu den Produktionen 2023 gehören: »ArcWatch – Hoffnung im Eis (ARD)«, »Charité« (ARD), »Deutschland sucht den Superstar« (RTL), »Die Eifelpraxis« (ARD), »Gute Freunde« (RTL+), »GZSZ« (RTL), »Ich bin! Margot Friedländer« (ZDF), »Mord im Revier« (RTL), »SOKO Leipzig« (ZDF), »Wanda« (Apple TV+).
Jan Mojto, langjähriger Programmchef der Kirch-Gruppe, hatte die Beta Film 2004 aus der Insolvenzmasse seines Ex-Arbeitgebers übernommen und zu einem einzigartigen Verbund entwickelt. Über 70 Prozent des Umsatzes kommen aus dem Produktionsgeschäft, nur noch knapp 24 Prozent aus dem Programmvertrieb. Die Beta Film ist mehr ein Netzwerk mit Beteiligungen an über 30 mittelständischen Produktionsfirmen als ein Produktionskonzern. Die Synergien zwischen Produktion und Programmvertrieb liegen darin, dass immer mehr kreative Lieferanten die Vertriebspipeline füllen. Zwar vertreibt Beta auch etliche Programme externer Produzenten, und die eigenen Töchter werden in der Regel nicht dazu gezwungen, den Konzernvertrieb zu nutzen. Doch von den internen Verwertungsketten profitieren auch die kleineren Firmen.
Deutscher Produzentenmarkt ist stark zersplittert
Diese sechs großen Produzenten sind aber die Ausnahme. Die deutsche Filmproduktionsbranche besteht aus einer Vielzahl von überwiegend kleinen, unabhängigen Produktionsfirmen und weist eine geringe Marktkonzentration auf. Viele Unternehmen konzentrieren sich auf Unterhaltungsproduktionen, da diese auf dem Markt am stärksten nachgefragt werden. Die Anzahl der Unternehmen schwankt stark. Waren es nach der Produzentenstudie von 2018 etwa 900, gab es nach einer Studie des Beratungsunternehmens Goldmedia 2020 noch insgesamt 736 aktive Film- und Fernsehproduktionsfirmen in Deutschland. Der Output deutscher Produktionsunternehmen für die Bereiche TV, VoD und Kino verteilte sich 2022 ähnlich wie im Jahr 2020 so auf die deutschen Bundesländer: In Nordrhein-Westfalen wurde mit insgesamt 42 Prozent der größte Anteil des Produktionsvolumens erzeugt. Bayern lieferte insgesamt 21 Prozent und damit rund ein Fünftel aller Produktionsminuten. Die dritt- und viertmeisten TV-, VoD- und Kinoproduktionen entstanden in Berlin mit zwölf Prozent und in Hamburg mit zehn Prozent. Die vier Bundesländer mit den größten Produktionsvolumina stellten im Jahr 2022 rund 85 Prozent aller in Deutschland produzierten TV-, VoD- und Kinoproduktionen her. Betrachtet man das gesamte Volumen, das für TV-Sender bzw. deren Mutterkonzerne produziert wurde (inkl. Mediatheken), so gab es 2022 eine geringfügige Verschiebung in Richtung der öffentlich-rechtlichen Veranstalter: 45 Prozent des Gesamtvolumens wurden durch sie beauftragt. Das Kinoproduktionsvolumen konnte sich 2021 und 2022 leicht erholen, nachdem es 2020 infolge der Einschränkungen durch die Pandemie stark abgesunken war. Insgesamt 20.289 Minuten wurden 2022 in den deutschen Kinos erstveröffentlicht. Mit rund 13.300 Minuten lag das Produktionsvolumen für Kino-Spielfilme wieder auf dem Niveau von 2019. Berlin ist mit rund 173 Unternehmen das Bundesland mit den meisten Produktionsfirmen. Es folgen Nordrhein-Westfalen mit 162 aktiven Firmen und Bayern mit 144 Produktionsunternehmen. Nie wurde in Deutschland mehr gedreht als 2022.
Umsatz und Ergebnis sind rückläufig
2023 schlug die Entwicklung aber um: Die großen Streamingplattformen verringerten ihre Neuproduktionen, die TV-Sender vergaben weniger Aufträge und orientierten stärker auf preiswerte Produkte für die Mediatheken und zudem erhöhten sich aufgrund der Inflation die Kosten deutlich. Die Kinozahlen des vergangenen Jahres weisen zwar durch Preiserhöhungen ein deutliches Plus beim Umsatz von fast 30 Prozent gegenüber 2022 aus. Aber die Zahl der verkauften Tickets lag noch fast 20 Prozent unter dem Vor-Corona-Wert und der Umsatz um fast zehn Prozent. Der Marktanteil einheimischer Filme sank von 27 auf 24 Prozent. Die Produktionsallianz rechne damit, dass es 2024 zu einem weiteren Rückgang der Produktionen um zehn Prozent komme, so der Hauptgeschäftsführer Björn Böhning. Die Produktion von Kinofilmen sei 2023 um die Hälfte, die der TV-Filme um knapp die Hälfte zurückgegangen. Dagegen seien die Produktionskosten um 18 Prozent gestiegen, die nur zu 50 Prozent von den TV-Sendern übernommen würden. Deshalb hoffen die Produzenten auf die Reform der deutschen Filmförderung bis Ende des Jahres, die vor allem den Produktionsfirmen durch ein Steueranreizmodell und Investitionsverpflichtungen von Streamingplattformen höhere Budgets sichern soll. Doch ob es bis zum Januar 2025 zu den entsprechenden Gesetzen, die die Produktionsfinanzierung auf eine neue Basis stellen sollen, kommen wird, ist nicht sicher.
Zudem müssen sich die deutschen Produktionsfirmen darauf einstellen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk wie auch die privaten Sender ab 2025 weniger Content in Auftrag geben werden. Die Anstalten müssen den Rundfunkbeitrag sparsamer einsetzen, und die Werbeumsätze von RTL, ProSiebenSat.1 und Co. werden kaum steigen, die Kosten gehen allerding weiter in die Höhe. Kein Wunder, dass die deutschen Produzenten ein Krisenjahr mit Stellenabbau und Pleiten erwarten.
Konzentrationsprozess bei Streamingplattformen und TV-Sendern
Dabei muss die deutsche Produktionswirtschaft auf den Konzentrationsprozess bei TV-Anbietern und Streamingplattformen reagieren. Wie der 24. Jahresbericht der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) resümierte, war in den letzten Jahren eine beträchtliche Zunahme von nationalen und grenzüberschreitenden Fusionen im Bereich der Medienkonzerne und die Herausbildung neuer Kooperationsformen zu beobachten. Die Entwicklungen bei Bertelsmann, bei ProSiebenSat.1, Warner Media, die Fusion der beiden führenden kommerziellen Fernsehgruppen TF1 und M6 in Frankreich sind Beispiele für diesen Prozess. Der Grund für diese Welle von Fusionen liege in einer neuen Dynamik, die die schon länger anhaltende Digitalisierung von Produktion und Vertrieb bei Medieninhalten erhalten habe. Insbesondere der Marktzutritt von neuen Anbietern habe zu einem disruptiven und sich beschleunigenden Wandel der Wertschöpfungskette im Bereich des linearen Fernsehens geführt.
Die Geschwindigkeit, so die KEK-Experten, habe dabei erheblich zugenommen. Netflix begann seine Streaming-Aktivitäten 2001. Im Jahr 2014 erreichte die Plattform weltweit rund 57 Millionen Abonnenten. 2017 war diese Zahl mit 117 Millionen schon mehr als verdoppelt, 2020 lag sie bei 203 Millionen. Disney trat Ende 2019 in den Streaming-Markt ein und hatte innerhalb von sechs Monaten 54 Millionen Abonnenten weltweit. Im dritten Quartal 2021, also knapp zwei Jahre nach Markteintritt, lag die Abonnentenzahl bei 116 Millionen.
Dazu stellt der 24. KEK-Bericht fest: »Traditionell erfolgte die Produktion der Inhalte auf einem Wettbewerbsmarkt mit einer großen Zahl kleinerer Produzenten, die es den Programmveranstaltern erlaubte, einen starken Kostendruck auf die Anbieter auszuüben. Die Aggregation der Inhalte erfolgte durch die TV-Programmveranstalter, wobei sich hier im Wesentlichen die zwei öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und zwei große private Sendergruppen gegenüberstanden. Die Distribution erfolgte auf drei Arten, terrestrisch, über Satellit oder über Kabel, wobei im Gegensatz zu den USA in Deutschland kein TV-Veranstalter eigene Distributionskanäle hatte. Die Monetarisierung erfolgte bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten über Gebühren, bei den privaten Anbietern über Werbung. Der dadurch geprägte Wettbewerbsmarkt im linearen Fernsehen war durch einen zwar vorhandenen, aber geringen Wettbewerbsdruck und eine hohe Profitabilität bei den privaten Fernsehveranstaltern charakterisiert.« Dieses Wertschöpfungssystem wird durch drei radikale Änderungen wie neue Technologien, Marktzutritte neuer Konkurrenten und Änderungen des Zuschauerverhaltens gefährdet. Insgesamt hat sich der Wettbewerbsdruck also erheblich verschärft, aus einem nationalen Wettbewerb wurde ein globaler Kampf um Zuschauer, Werbeeinnahmen, Inhalte, Talente und Kundendaten. Die Produzenten sind von dieser Veränderung der Wertschöpfungskette massiv betroffen. Die Fusion von Leonine und Mediawan ist eine der möglichen Antworten auf den Konzentrationsprozess bei den Sendern und Plattformen.