Social Media erlebte bei den Spielen in Paris einen Olympia-Hype. TikTok-Videos bekamen rund um die Spiele zum Teil Millionen Klicks. Auch Videos von den Wettkämpfen selbst waren auf TikTok zu sehen. Eigentlich sind die Übertragungsrechte für die Wettkämpfe durch das IOC streng geschützt. Aber das interessiert TikTok nicht. Die chinesische Plattform verstieß damit gegen Urheberrechte und hätte die Inhalte sperren müssen. Doch das Videoportal gewann auf diese Weise an Medienpräsenz und neue Nutzer. »Social Media hat eine Art Parallel-Olympia geschaffen. Hier verstehe ich den Sport besser. Und ich kann ihn fühlen, weil Emotionen entstehen. Wenn mich etwas elektrisiert, möchte ich dranbleiben. Wie viele Muffins kann der norwegische Schwimmer Christiansen noch essen? Wie geht die Karriere von Rugbyspielerin Maher nun weiter? Das will ich jetzt unbedingt wissen«, schrieb dazu Aleksandra Janevska am 3. August im Spiegel.
Es waren vor allem die Jüngeren, die per TikTok, Facebook, YouTube, Instagram oder Pinterest »Emotionen« erleben und sich weniger über die Ergebnisse informieren wollten. Diese Analyse deckt sich mit zahlreichen Studien der jüngsten Zeit über die zunehmende Bedeutung von Social Media für Information und Meinungsbildung: Insgesamt nutzen 93 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren soziale Netzwerke. Gut die Hälfte (51 Prozent) nutzt TikTok und ist meist täglich dort unterwegs. Das sind Ergebnisse einer Studie des Digitalverbands Bitkom vom Juli dieses Jahres. Ein Drittel (33 Prozent) kann sich nach eigenen Angaben ein Leben ohne Social Media nicht vorstellen. »Was junge Menschen in sozialen Netzwerken sehen und tun, beeinflusst sie auch in ihrer Persönlichkeitsbildung. Soziale Prägung findet heute zu einem großen Teil in sozialen Netzwerken statt«, sagt Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst.
Nutzung sozialer Medien insgesamt leicht rückläufig
Ein interessanter Trend zeigt sich bei einem Vergleich der Bedeutung dieser Netzwerke zwischen der jungen Generation und der im mittleren Alter: Während bei den Jungen bis 24 Jahre Social Media einen immer größeren Platz einnimmt, betrachten die 40- bis 49-Jährigen deren Inhalte mit zunehmender Skepsis. Erstmals seit Beginn der Coronapandemie ist 2024 die Social-Media-Nutzung in Deutschland in der Gesamtbevölkerung wieder zurückgegangen. Aktuell sind 80 Prozent der deutschen Internetnutzer ab 16 Jahren bei Facebook, YouTube oder WhatsApp unterwegs. Im Vorjahr waren es noch vier Prozentpunkte mehr, ergab die repräsentative Studie »Social-Media-Atlas 2024«. Wissenschaftler führen diesen Rückgang auf die gestiegene Anzahl von Hasskommentaren und nachgewiesenen Fake News zurück. Nicht nur die Zahl der User ist rückläufig, sondern auch ihre Aktivität. Besonders stark fiel der Rückgang bei den 40- bis 49-Jährigen aus. Bei ihnen sank die durchschnittliche Nutzung um 6,4 Stunden auf 16,3 Stunden pro Woche.
Vertrauen in soziale Medien wieder gesunken
Doch nicht nur der Konsum ist gesunken, sondern auch das Vertrauen in diese Portale. Das zeigt eine Studie des Hamburger Leibniz-Instituts für Medienforschung. Nur 35 Prozent der Nutzer halten Posts für glaubwürdiger als redaktionelle Nachrichten. Das sind vier Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Besonders deutlich ist der Rückgang mit zehn Prozentpunkten wiederum bei den 40- bis 49-Jährigen. 41 Prozent der Nutzer von TikTok haben beispielsweise Schwierigkeiten, dort zwischen vertrauenswürdigen und nicht vertrauenswürdigen Nachrichten zu unterscheiden. Der wichtigste Aspekt für das Vertrauen in Nachrichtenmedien aus Sicht der Studie ist die Frage, ob sie transparent kommunizieren, wie Nachrichten entstehen. Ebenfalls als wichtig werden hohe journalistische Standards, eine (un)voreingenommene Berichterstattung und eine faire Repräsentation von »Menschen wie mich« bewertet.
Internet als wichtigste Nachrichtenquelle
Das Internet ist nicht nur eine regelmäßig genutzte Quelle für Nachrichten; es stelle auch erstmals mehrheitlich die wichtigste Nachrichtenquelle der erwachsenen Online-Bevölkerung in Deutschland dar, so das Leibniz-Institut. 42 Prozent bezeichnen das Internet als ihre Hauptnachrichtenquelle, dicht gefolgt von linear ausgestrahlten Fernsehsendungen mit 41 Prozent. 15 Prozent der Befragten erhalten Nachrichten hauptsächlich in sozialen Medien. Dieser Anteil ist im Langzeitverlauf kontinuierlich angestiegen und mit 35 Prozent unter den 18- bis 24-Jährigen am größten. Für 16 Prozent der 18- bis 24-Jährigen stellen soziale Medien sogar die einzige Nachrichtenquelle dar. In der jüngsten Altersgruppe werden Nachrichten vor allem in jenen sozialen Medien konsumiert, die einen Fokus auf Bewegtbild haben wie YouTube und TikTok.
Social Media mit unterschiedlicher Bedeutung für die Meinungsbildung
Die AfD ist in den sozialen Netzwerken sehr aktiv, und deshalb ist es kein Wunder, dass Wähler dieser Partei mit 86 Prozent die höchste Nutzung von Social Media aufweisen, so der »Social-Media-Atlas 2024«. AfD-Wähler vertrauen vor allem Informationen aus Foren, WhatsApp, Telegram und Blogs. Damit haben Beiträge auf der jeweiligen Plattform eine erhöhte Chance, das Meinungsbild der Nutzer zu beeinflussen. Das zeigen auch die Ergebnisse der Europawahl 2024: So erzielte die AfD bei den jungen Wählern 16 Prozent, was einem Anstieg von 11 Prozent gegenüber 2019 entspricht. Die Grünen, die in den letzten Jahren als äußerst beliebt bei jungen Menschen galten, erlebten hingegen erhebliche Verluste und verloren 23 Prozent ihrer jungen Wählerschaft.
Über das destruktive Potenzial von Social Media herrscht in der Wissenschaft Konsens. »Social-Media-Plattformen haben einen zutiefst negativen Effekt auf Demokratien«, konstatiert etwa Laura Manley, Direktorin des Technology-and-Public-Purpose-Projekts an der Harvard University. Als Initialzündung für die politische Instrumentalisierung und Schwächung der Demokratie durch diese Plattformen kann der US-Wahlkampf 2016 gelten. »Antidemokratische Bewegungen sind eine zentrale Herausforderung für moderne Demokratien und gesellschaftlichen Zusammenhalt«, sagt Annett Heft, Leiterin der Forschungsgruppe »Dynamiken der digitalen Mobilisierung« am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft in Berlin. »Die Bewegungen bestehen üblicherweise aus kollektiven Akteurinnen und Akteuren, die autoritäre nationale Weltbilder durchsetzen wollen. Dabei lehnen sie zentrale Grundpfeiler von Demokratien wie die Gleichwertigkeit aller Menschen oder die Legitimität demokratischer Institutionen ab. Bei der Durchsetzung ihrer Ziele profitieren antidemokratische Akteure und Akteurinnen stark von neuen Kommunikationsplattformen, auf denen sie die Mobilisierung ihrer Anhängerschaften vorantreiben können. Diese Angebote ermöglichen eine größere öffentliche Sichtbarkeit als traditionelle Medien und eignen sich dafür, ideologische Ansichten zu popularisieren. So werden antidemokratische Ansichten in die Mitte der Gesellschaft getragen.«
Inzwischen mangelt es nicht an Versuchen, Social Media zu regulieren. Im Medienstaatsvertrag finden sich entsprechende Paragrafen, und mithilfe des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) sollen Hasskriminalität, Falschnachrichten und andere strafbare Inhalte wirksamer bekämpft werden. Am 17. Februar 2024 trat das Gesetz der EU zu Digitalen Diensten vollständig in Kraft. Damit sollen illegale Inhalte wie Hassreden schneller entfernt werden. Doch viele Experten bezweifeln, dass das ausreicht. »Heute bestimmen Algorithmen, welche Inhalte wir konsumieren und wie wir miteinander kommunizieren«, sagt Kai Dittmann von der Organisation Gesellschaft für Freiheitsrechte gegenüber ZDFheute. Dittmann und weitere Organisationen wie Reporter ohne Grenzen oder Wikimedia Deutschland fordern die Digitalminister der Bundesländer deshalb auf, digitale Plattformen effektiv zu regulieren. Unter anderem müssten hohe Standards für die sogenannten Newsfeeds von Social Media gelten.