Sie sind wahre Hotspots des Umwelt- und Naturschutzes: Friedhöfe im urbanen Raum. Aufgrund ihrer geringen Lärm- und Lichtemissionen haben sie sich zu den innerstädtischen Grünflächen mit der höchsten Biodiversität entwickelt – so findet man selbst zwischen den Grablandschaften von Metropolen Tier- und Pflanzenarten, die vom Aussterben bedroht sind oder auf der Roten Liste stehen. Nicht selten sind die Friedhöfe auch die größten Grünflächen der Städte. Damit tragen sie maßgeblich zur Luftreinigung bei, sind unverzichtbar für die Stadtbelüftung und senken bei Hitze die Temperaturen. Dank der geringen Bodenverdichtung wirken sie sich nicht zuletzt auch äußerst positiv auf den Grundwasserspiegel aus. Kurzum: Friedhöfe sind diejenigen öffentlichen Kulturräume, die am effektivsten und nachhaltigsten dem Klimawandel entgegenwirken.

Da verwundert es nicht, dass Friedhofsverwaltungen allerorts den grünen Wert dieser Gedächtnislandschaften immer stärker in den Fokus rücken. So z. B. bei Flächen, die nicht mehr für Bestattungen benötigt werden – und davon gibt es immer mehr, weil die populären Urnengräber weitaus weniger Platz benötigen als die herkömmlichen Sarggrabstellen. Auf diesen sogenannten Überhangsflächen lässt man vielerorts der Natur freien Lauf – es entstehen Biotope, die Flora und Fauna beste Entwicklungsmöglichkeiten bieten.

Mehr noch: Auf vielen Friedhöfen denkt man Natur- und Umweltschutz bei der täglichen Arbeit aktiv mit und ergreift unterschiedliche Maßnahmen, um der Natur optimal gerecht zu werden. Das gilt besonders auch für christliche Friedhöfe, ermöglichen die Gottesacker doch, sich einer der wichtigsten biblischen Aufgaben zu stellen: Schöpfung zu bewahren.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Friedhof der evangelischen Kirchengemeinde Lennep, einem Stadtteil von Remscheid. Über die Jahre sind dort im Bergischen Land Natur und Kultur zu einer so beeindruckenden Symbiose verschmolzen, dass man nicht anders als von einem kleinem Stück Eden auf Erden sprechen kann. Die 36.000 Quadratmeter große Grünfläche gleicht einem liebevoll gestalteten Garten, der Menschen nicht nur einen besonders würdigen letzten Ruheort bietet: Auch jenseits von Trauern und Erinnern kann man hier die Welt als lebenswert und schön erfahren, Natur genießen und Kultur leben.

Vieles, was man auf diesem über 200 Jahre alten Friedhof für den Natur- und Umweltschutz tut, tut man andernorts auch – aber eben hier ausgenommen gut. Das begründet sich auch darin, dass die Friedhofsverwaltung als eine der ersten dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) beitrat. Dank fachlicher Unterstützung gelang es, den gewachsenen Kulturraum im Einklang mit der Natur weiterzuentwickeln. Seitdem verfolgt die Kirchengemeinde zusammen mit den Umweltschützenden zahlreiche Ansätze, Biodiversität zu fördern und den Friedhof als Refugium für Flora und Fauna zu gestalten.

So entstanden z. B. große Benjeshecken aus Totholz, die vielen Kleintieren, Vögeln und Insekten ideale Lebensbedingungen bieten. Während man dazu andernorts einfach nur Äste und Zweige wild aufstapelt, hat man diese in Lennep zunächst sorgsam ausgesucht und sortiert. Die bis zu 14 Meter langen Hecken wurden dann in verschiedene Abschnitte mit unterschiedlich großen Hölzern gegliedert. So entstanden attraktive, abwechslungsreiche grüne Wände, die ökologisch äußerst sinnvoll sind und sich zugleich harmonisch in die Friedhofsgestaltung als Sichtschutz oder Begrenzung eingliedern.

Auch bei der täglichen Arbeit auf dem Friedhof spielen Umwelt- und Naturschutz eine entscheidende Rolle, wie beim Baumschnitt, den man auf ein Minimum begrenzt hat. So werden beispielsweise immer nur einige der vielen Linden pro Jahr beschnitten, sodass im Frühjahr immer ausreichend Blüten als Insektennahrung verfügbar sind. Selbstverständlich gibt es Wildkräuterwiesen und -streifen, die nur selten sowie zeitversetzt gemäht werden. Und natürlich verwendet man bei der Neubepflanzung ausschließlich heimische Gewächse.

Wie umfassend das grüne Konzept gelebt wird, zeigt sich z. B. bei der Auflösung von abgelaufenen Gräbern: Auf diesem Friedhof werden Grabstein und Pflanzen nicht einfach entsorgt, sondern nach Möglichkeit weitergenutzt. Ein örtlicher Steinmetz arbeitet hochwertige alte Steine so wieder auf, dass sie als Denkmäler für neue Gräber genutzt werden können.

Auch gärtnerisch wird »recycelt«: Die Friedhofsverwaltung prüft einmal im Jahr, welche Pflanzen der abgelaufenen Gräber sich zum Umsetzen eignen, und erstellt eine entsprechende Liste. Dann schaut man, welche öffentlichen Grünflächen auf dem Friedhof mit diesen Pflanzen bereichert werden können. So hat man über die Jahre vor allem zahlreiche Gehölze erhalten und ihnen entlang der Friedhofswege einen neuen Standort zugewiesen – was maßgeblich zum grünen Gesamteindruck beiträgt.

Bei der Gestaltung des Naturraums Friedhof versucht man zugleich, möglichst viele Menschen mitzunehmen. So basteln die Konfirmandinnen und Konfirmanden jedes Jahr neue Nistkästen für Vögel und Fledermäuse; und wer möchte, kann eine Patenschaft für eine der Winterfutterstellen übernehmen. Zudem lädt man Besuchende dazu ein, auf einer der vielen Parkbänke die Natur zu beobachten, wie z. B. die zahlreichen Vögel, die sich hier tummeln. Um diese besser identifizieren zu können, hat die Verwaltung am Friedhofseingang zusammen mit dem NABU eine große Bildtafel zu Stieglitz, Sperling und Co. aufgestellt, die über die einheimischen Vögel auf dem Friedhof informiert.

Vielen Menschen ist es heute wichtig, nachhaltig zu leben oder sich für bestmöglichen Umwelt- und Naturschutz einzusetzen. Friedhöfe wie dieser in Lennep sind so auch ein Spiegelbild des Zeitgeistes. Dabei entsprechen sie zugleich einem tief gehegten Wunsch vieler an ihr Lebensende: einen naturnahen letzten Ruheort in einem schönen Garten der Erinnerung zu finden.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2023.