Das Stuttgarter Linden-Museum ist ein ethnologisches Museum, das heute rund 160.000 historische und zeitgenössische Zeremonial- und Alltagsgegenstände sowie Kunstwerke aus Afrika, Nord- und Lateinamerika, Asien, Australien und Ozeanien beherbergt.

In seinen Anfängen war es eng mit der Zeit des Kolonialismus verbunden. Träger des Museums war der »Württembergische Verein für Handelsgeographie« der 1882 gegründet wurde und schon früh an die Gründung eines Museums dachte. Karl Graf von Linden (1838-1910), Rechtsanwalt und Oberkammerherr des Württembergischen Königs, übernahm nach seiner Pensionierung den Vorsitz des Vereins. Motiviert durch die Aufrufe von Graf von Linden, sind gerade in dieser Anfangszeit, zahlreiche Sammlungen unter umstrittenen oder ethisch verwerflichen Bedingungen in unser Haus gelangt. Das neue Museum wurde 1911 nach dem Tod von Lindens eingeweiht und trägt seitdem seinen Namen.

Zum »schwierigen Erbe« des Kolonialismus zählt auch die grundsätzliche Ausrichtung auf »außereuropäischen« Sammlungen, die wir mit den meisten ethnologischen Museen in Deutschland teilen. Dadurch wurde in der Zeit des Kolonialismus eine klare Trennung zwischen Europa und dem »Rest der Welt« legitimiert, die mit einer eurozentrischen kulturellen Hierarchisierung verbunden war. Es steht wohl außer Frage, dass ein Museum der »außereuropäischen Kunst und Alltagskultur« heute nicht mehr in dieser Form gegründet werden würde, da es unserer Migrationsgesellschaft nicht mehr entspricht.

Aber wie kann ein ethnologisches Museum diese Last des »schwierigen Erbes« überwinden? Wie kann das Museum Zuschreibungen und Stereotype des »Fremden« durch neue Sichtweisen und Netzwerke ersetzen und zu einem gesamtgesellschaftlichen Umdenken beitragen?

Das Linden-Museum stellt sich diesen Fragen seit vielen Jahren in einem reflexiven und selbstkritischen Umwandlungsprozess. Wir experimentieren dabei mit verschiedenen Ansätzen auf der Suche nach einem verantwortungsvollen Umgang mit den Sammlungen und ihrer Geschichte, nach neuen Formen von Präsentations- und Sammlungspraxis sowie nach dialogischen und multiperspektivischen Formaten in Wissenschaft und Ausstellungen.

Neuausrichtung des Museums

Ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Neuausrichtung des Museums ist die Einbindung unterschiedlicher Gruppen der Gesellschaft als integraler Bestandteil der gesamten Museumspraxis. Es geht dabei um multiperspektivische Herangehensweisen in Wissenschaft, Präsentation und Vermittlung, die das Erzählen vieler Geschichten jenseits der eurozentrischen Sichtweisen erlaubt und historisch ignorierten Stimmen Gehör verschafft. Das Museum könnte so Deutungshoheit abgeben und zu einem Ort werden, an dem Bedeutungen und Interessen verschiedener Gruppierungen ausdiskutiert werden.

In einer Reihe von Ausstellungen und Projekten experimentieren wir daher mit verschiedenen Teilhabeformaten in Zusammenarbeit und Partnerschaft mit Vertreterinnen und Vertretern aus den Herkunftsgesellschaften und der lokalen Stadtgesellschaft. Diese umfassen kokuratierte Ausstellungen, gemeinsame Formen des Sammelns (co-collecting), gemeinsame Workshops, Interventionen von Künstlerinnen und Künstlern in Ausstellungen und Projekten oder Residency-Programme.

Aktuelle Beispiele für diese neuen Formate sind die Präsentationen, die im Zuge des von der Bundeskulturstiftung von 2019 bis 2023 geförderten Projektes »Partizipation, Provenienz, Präsentation: Wege in die Zukunft des Linden-Museums« entstanden sind. Bis Ende des Jahres sind drei dieser Kabinettausstellungen mit den Schwerpunkten Maori (Neuseeland), Kamerun sowie Mapuche (Chile) zu sehen, die sich mit der heutigen Bedeutung von Sammlungen, mit Provenienzforschung vor Ort oder mit neuen Formen des gemeinsamen Sammelns befassen.
Zu den partizipativen Ansätzen gehört auch die Auseinandersetzung mit der eigenen, institutionellen Geschichte sowie mit der Geschichte der Sammlungen zur Aufarbeitung des »schwierigen Erbes«.

Auch wenn Provenienzforschung schon immer Teil der Museumstätigkeit war, arbeiten wir seit 2016 an einer systematischeren Aufarbeitung der Provenienzkontexte zu den Sammlungen, seit 2021 sogar mit einer unbefristeten Stelle für Provenienzforschung am Haus. Zur Aufarbeitung unserer institutionellen Geschichte zeigten wir zudem bis Mai 2022 die Sonderausstellung »Schwieriges Erbe. Linden-Museum und Württemberg im Kolonialismus«, in der die Ergebnisse einer eigens vom Museum initiierten historischen Forschung zur Geschichte Württembergs während der Kolonialzeit als Werkstattausstellung präsentiert wurden.

Restitution

Ein weiterer Teil dieser Aufarbeitung ist auch Restitution. Wir befürworten die Restitution von Objekten, die aus gewaltvollen und ethisch verwerflichen Kontexten stammen, als Bestandteil einer verantwortungsvollen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Wenn es von den involvierten Communities gewünscht wird, freuen wir uns, mit dem Restitutionsprozess gemeinsame Projekte zu verbinden, die Brücken für die Zukunft bauen und aus denen wir viel lernen.

Mit der Rückgabe der 1893 von deutschen Truppen erbeuteten Bibel und Peitsche des bekannten Nama-Anführers Hendrik Witbooi durch das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart an die Republik Namibia im Jahr 2019 erfolgte eine der ersten Restitutionen von Kulturgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland. Das Linden-Museum hat sich im Vorfeld der Rückgabe für einen langfristigen Dialogprozess mit Namibia eingesetzt und in Zusammenarbeit mit zahlreichen namibischen Partnerinnen und Partnern das Projekt »With Namibia: Enganging the Past, Sharing the Future« ins Leben gerufen, welches nun Teil der »Namibia Initiative« Baden-Württembergs ist. Im Rahmen dieses Projektes fand im letzten Jahr eine Summer School im Linden-Museum statt, an der jeweils zehn Studierende der University of Namibia und der Universität Tübingen teilnahmen und die sich mit namibischen Sammlungen des Museums befasste.

Auch ist das Linden-Museum seit 2018 in der Benin Dialogue Group engagiert, an der in Deutschland auch die Museen aus Hamburg, Berlin, Leipzig und Köln beteiligt sind. Diese Gruppe, der europäische Museen mit großen Benin-Sammlungen und nigerianischen Vertreterinnen und Vertretern aus dem Edo-Staat, aus dem königlichen Palast und der National Commission for Museums and Monuments angehören, bereitete den Restitutionsprozess der Benin-Objekte vor, die beim Überfall auf den Königspalast von Benin 1897 erbeutet wurden.

Am 14. Dezember 2022 wurde im Linden-Museum ein Vertrag zwischen den Trägern des Linden-Museums – dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart – und der National Commission for Museums and Monuments aus Nigeria unterzeichnet, der die Übertragung des Eigentums aller 70 im Linden-Museum vorhandenen Benin-Objekte an Nigeria festschrieb. In einem zusätzlichen Vertrag wurde der Verbleib von 24 Benin-Objekten als Dauerleihgabe für den Zeitraum von zehn Jahren vereinbart.

Die nun aufkommende Diskussion zur Richtigkeit dieser Restitution nach der Eigentumsübertragung des Staates Nigeria an den Oba (König), kann ich nur schwer nachvollziehen. Es ist eine interne Angelegenheit eines souveränen Staates und relativiert nicht im Mindesten die ethische Entscheidung zur Restitution ohne Bedingungen. Die dabei auch angeführten Argumente über das Unvermögen der afrikanischen Seite, sich professionell um die restituierten Sammlungen zu »kümmern«, zeigen, wie wichtig es ist, die Aufarbeitung des Kolonialismus und seiner Kontinuitäten jenseits des Museumskontextes als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen.

Es sind noch einige inhaltliche und strukturelle Herausforderungen auf dem Weg zur Neuausrichtung des Museums zu meistern. Das Museum ist im Wandel … Es bräuchte vor allem einen baldigen Neubau und dann auch einen neuen Namen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2023.