Nur zu Recht wird das Thema sexualisierte Gewalt in Kultureinrichtungen heutzutage intensiv diskutiert. Glücklicherweise wird nicht nur darüber gesprochen, sondern es werden auch Wege beschritten, präventiv und intervenierend (potenzielle) Betroffene zu schützen. In vielen Beiträgen der März-Ausgabe von Politik & Kultur kann man dies nachlesen. Von den Musikschulen über die Bibliotheken, dem Amateurtheater bis hin zu den künstlerischen Hochschulen reflektiert man intensiv über das Themenfeld. Grundsätzlich scheint ein Bewusstsein dahingehend zu bestehen, dass ausgehend von strukturell bedingten Abhängigkeits- und Machtbeziehungen insbesondere die Lehrenden, Anleitenden und Vorgesetzten kritisch ihr eigenes Tun überprüfen müssen und es Konzepte braucht, um in Einrichtungen konkrete Präventionsmaßnahmen umsetzen und effektiv schützen zu können.
Irritierend anders ist jedoch der Artikel aus dem Bereich der Tanzpädagogik. Hier liest man zwar, dass bestimmte pädagogische Praktiken mit Blick auf mögliche Machtmissbräuche oder sexuelle Belästigungen zu Recht hinterfragt werden müssen und der Deutsche Berufsverband für Tanzpädagogik ein Regelbuch erstellt habe, das einen Verhaltenskodex beinhalte, dem alle Mitglieder verpflichtet seien. Gleichzeitig vermissen wir in dem Beitrag jedoch ein Bewusstsein über institutionelle Hierarchien und Machtstrukturen sowie ein notwendiges Maß an Sensibilität und Wissen um eine grenzsensible Haltung, die entsprechende Methoden reflektiert und auslotet. »Taktiles Arbeiten« wird unhinterfragt als wichtige Methode verteidigt, ohne die die Tanzpädagogik im Klassischen Tanz nicht auszukommen scheint. Sicherlich können taktile Berührungen sinnvoll sein, aber sie brauchen einen sicheren Rahmen, der sich unter anderem durch Absprachen, einen transparenten Umgang und bekannte Regeln auszeichnet. Und wie gewinnbringend wäre es, sein Methodenrepertoire um nützliche Alternativen zu erweitern! Fast schmerzhaft sind jedoch die Beispiele, die in dem Beitrag aufgeführt werden, um zu zeigen, dass die Sensibilität für das Thema der körperlichen Übergriffe auch überzogen werden kann. Die knapp umrissenen Situationen bagatellisieren letztlich das Erleben und die Wahrnehmung der Lernenden, die doch immer sehr unterschiedliche Voraussetzungen und individuelle Erfahrungen wie Empfindungen mitbringen, die sie, gerade im jungen Alter, noch nicht einordnen oder benennen können. Es fehlt an Sensibilität und Interesse am Individuum, am einzelnen Menschen, der mit seinen ihm eigenen Grenzerfahrungen, Erfahrungsprojektionen und Triggermomenten im Tanzunterricht steht. Wer nicht sieht, dass es nicht nur in der Kontaktimprovisation, sondern in allen Bereichen des Tanzes und – nicht zu vergessen – auch in vertrauensvollen Lehrenden-Lernenden-Beziehungen Formen der Berührung geben kann, die als sexuell übergriffig empfunden werden können, bietet keinen reflektierten und geschützten Raum für Menschen, die sich auf einen Tanzunterricht oder ein Training einlassen wollen. Der Verweis auf den Tanz als »komplexeste« Kunstform, in der der Mensch gleichzeitig Subjekt und Objekt sei, scheint die Tanzpädagogik aus dem aktuellen Diskurs entrücken zu wollen. Doch gerade weil der Tanz immer auch körperlich-emotionale Dimensionen einbezieht, braucht es eine umso achtsamere Reflexion über Machtverhältnisse und -beziehungen. Wenn als Fazit das gegenseitige Vertrauen als Basis benannt wird, dann vernachlässigt man sträflich alle Erkenntnisse, die seit Jahren über sexuelle Übergriffe und Missbrauch bekannt sind. Täterinnen und Täter sind oft Vertrauenspersonen, die diese Nähe und mögliche Abhängigkeiten ausnutzen. Dies lässt sich öffentlich auf der Seite der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs nachlesen.
Als Tanzpädagogen und Tanzvermittlerinnen müssen wir uns darüber bewusst sein, dass die Gestaltungs- und Entscheidungsmacht strukturell bedingt bei uns liegt. Je akademischer der Kontext ist und je jünger und ambitionierter die Teilnehmenden bzw. Schülerinnen und Schüler sind, umso größer sind das Machtgefälle und die Abhängigkeitsstrukturen. Körperlichkeit und körperliche Nähe sind besonders im Tanz und in der Tanzvermittlung zentral. Es können intensive und persönliche Vertrauensverhältnisse entstehen, die sehr förderlich, aber auch missbräuchlich sein können. Insofern müssen wir uns über die den Beziehungen inhärenten Machtverhältnisse bewusst sein und in jeder Hinsicht für die Kinder und Jugendlichen, aber auch für die Tanzpädagoginnen und Tanzvermittler Sicherheit schaffen. Dies gilt sowohl für den Einsatz von Berührung als auch für den Gebrauch von Sprache, dem Achten individueller Nähe- und Distanzempfindungen, dem Einsatz von Gesten und jeglicher körperlich-bewegter Interaktion.
Den Beitrag von Jaš Otrin können Sie hier nachlesen.